„Es ist falsch, die Reinheit Orthos zu beflecken.“
achter Grundsatz der Pax Benevola aus dem Buch des Harmoniums
Vierter Untertag von Sakrilegion, 126 HR
Etwa eineinhalb Wochen waren seit dem Tag der Schmerzen vergangen. Zu Amariels Erleichterung hatte ihr Bundmeister bei dem Ritual nur sechs Schnitte davon getragen – die zweitniedrigste Anzahl seit seinem Amtsantritt. Lediglich zwei davon waren tief gewesen, an der rechten Schulter und am linken Bein, was ihm für einige Tage eine Armschlinge beschert und ihn hatte hinken lassen. Doch inzwischen war er wieder fast der Alte und auch sie selber hatte die Erlebnisse dieses Tages einigermaßen verarbeitet. Sarin hatte ihr in seiner unvergleichlichen Direktheit gesagt, dass sie Angst haben sollte – und Recht damit gehabt. Die Ereignisse in der Halle der Schmerzen waren zutiefst beängstigend gewesen, und im Nachgang betrachtet war sie ihrem Bundmeister dankbar, dass er sie nicht in falsche Sicherheit gewiegt hatte. Nun war sie auf der Suche nach Kiyoshi, denn Sarin hatte sie damit beauftragt, den Soldaten über einige Sachverhalte bezüglich Ortho in Kenntnis zu setzen. Sie fand den jungen Mann im Innenhof der Kaserne, bei Kampfübungen mit einem halborkischen Soldaten gleichen Ranges. Als er sie erblickte und sie ihn mit einem Handzeichen zu sich winkte, verneigte er sich höflich vor seinem Übungspartner und kam zu ihr herüber. Er salutierte nach der ihm eigenen Art, indem er auf seinen Brustpanzer schlug. Der Harnisch war an eben jener Stelle schon recht blank, und Amariel vermutete manchmal, dass der Soldat die durch diesen Gruß entstehenden Beulen selbst wieder heraus hämmerte. Die Vorstellung brachte sie innerlich ein wenig zum Schmunzeln, doch da sie ein ernstes Thema zu besprechen hatten, ließ sie sich dies nicht anmerken. Sie nickte dem jungen Mann grüßend zu.
„Kiyoshi, ich muss mich mit Euch unterhalten. Bundmeister Sarin möchte, dass ich Euch über ein paar Dinge ... in Kenntnis setze.“
Seine Miene war unbewegt und schwer zu lesen wie meist. „Ich höre und gehorche, ehrenwerte Adjutantin Amariel-sensei. Mein Geist hungert nach der Weisheit unseres Herrn und Fürsten, des ehrwürdigen Bundmeisters Sarin-gensui.“
Obgleich Amariel inzwischen einigermaßen an Kiyoshis für Sigiler Verhältnisse ungewöhnliche Wortwahl gewöhnt war, ließ diese Antwort sie kurz stutzen. Dann schmunzelte sie jedoch. „Kiyoshi, manchmal seid Ihr schon ein komischer Vogel, wisst Ihr?“
Der junge Mann betrachtete sie aufmerksam und antwortete schließlich: „Verzeiht meine Unwissenheit, ehrwürdige Adjutantin Amariel-sensei, aber ich verstehe Eure Aussage nicht. Es mag daran liegen, dass ich Eure Sprache nicht perfekt spreche, doch es erschien mir, als hättet Ihr mich der Rasse der Vögel hinzugerechnet.“
Amariel musste herzlich lachen. „Kiyoshi, das sagt man doch nur so. Es bedeutet, dass ... dass jemand ungewöhnlich ist. Und ohne das als Angriff zu meinen: Ein bisschen ungewöhnlich seid Ihr für Sigiler Verhältnisse schon. Vielleicht liegt es daran, dass Ihr Materier seid, an Eurer Welt. Aber insgesamt habt Ihr Euch ja anscheinend schon ganz gut hier eingefunden.“
Kiyoshi nickte. „Ich verstehe und ich danke Euch für Eure erleuchtenden Worte, ehrenwerte Adjutantin Amariel-sensei. Ich erwarte nun die Worte unseres Herrn und Fürsten, des ehrwürdigen Bundmeisters des ehrenwerten Harmoniums, Sarin-gensui.“
Er wirkte auch weiterhin vollkommen unberührt. Manchmal fragte die Halbelfe sich, wie es ihm gelang, auch in eindeutig lustigen Situationen so ernst zu bleiben. Ob das einfach seinem Charakter entsprach oder vielmehr harte Arbeit war, weil es nach den Maßgaben seiner Kultur so erwartet wurde. Doch wie auch immer, nach den Turbulenzen, die das Hervorbrechen seines Drachenblutes gewiss in seinem Inneren verursacht hatte und die nicht einmal er ganz hatte verbergen können, schien er nun langsam seine innere Mitte wiederzufinden. Amariel ging mit ihm über den Innenhof der Kaserne, jenen großen, grasbewachsenen Platz, wo Exerzierübungen, Kampftraining und sehr große Versammlungen abgehalten wurden. In der Nähe der Schießstände für Bogen- und Armbrustschützen standen sogar ein paar kleinere Bäume mit einfachen Holzbänken darunter.
Dort ließ Amariel sich nieder und bedeutete Kiyoshi, ebenso Platz zu nehmen. „Sarin hat mir erzählt, dass Lord Valiant demnächst nach Sigil kommen wird.“ Der Gedanke war ihr nicht gerade angenehm und sie vermutete, dass man ihr das auch anmerken konnte. „Er wollte eigentlich bereits letzten Monat kommen, doch unser Bundmeister hat ihn ein wenig hingehalten, indem er sich ausbat, den Besuch auf nach dem Tag der Schmerzen zu verschieben. Aber der ist nun vorbei und somit rückt Valiants Eintreffen näher. Aufgrund dieses Besuches soll ich Euch ein wenig über die Heimatwelt Ortho erzählen. Ich bin mir nicht sicher, was Ihr bereits darüber wisst.“
Kiyoshi dachte kurz nach und antwortete dann: „Nun, ehrenwerte Adjutantin Amariel-sensei, ich weiß bereits von der Oktade und den Positionen, die Delazar Ulan-daigensui und Lord Valiant-sama darin einnehmen. Ich weiß, dass die Heimatwelt ganz in der Hand des Harmoniums ist und daher friedlich und voller Harmonie sein muss.“
Amariel verspürte ein gewisses Unbehagen bei diesen Worten. „Ja ... genau. So ist das ...“ Sie starrte eine Weile vor sich auf den Boden, wo das Gras an dieser weniger beanspruchten Stelle recht dicht wuchs. Dann gab sie sich einen Ruck. „Kiyoshi ... es ist nicht immer alles so perfekt, wie es aussieht. Das trifft auch auf Ortho zu. Oder vielleicht auch auf unseren ganzen Bund. Ihr würdet es ohnehin merken, wenn Ihr länger dabei seid, also kann ich es Euch auch gleich erzählen. Seht Ihr, zwischen dem materiellen und dem planaren Flügel des Harmoniums gibt es Unstimmigkeiten. Und zwar gravierender Art. Differenzen von jenem Ausmaß, die zu politischen Problemen führen.“
Kiyoshi blickte nun ebenso lange vor sich auf den Boden, ehe er antwortete. „Verzeiht, ehrenwerte Adjutantin Amariel-sensei, doch für Politik bin ich nicht ausgebildet worden.“
Die Halbelfe lächelte, wenn auch nicht besonders fröhlich. „Das sind die wenigsten von uns. Zumindest einfache Soldaten und niedrigere Offiziere sollen eigentlich Befehle befolgen und ihre Pflichten erfüllen, nicht die politischen Grundlagen der Heimatwelt hinterfragen. Aber die Wirklichkeit ist nicht immer so, wie wir sie gerne hätten. Und es hilft nicht, die Augen davor zu verschließen. Erst gestern sagte unser Bundmeister mir: Probleme verschwinden nicht dadurch, dass man so tut, als wären sie nicht da. Und in Bezug auf Ortho trifft das ganz sicher zu. Ihr, Kiyoshi, werdet mit all dem in Kontakt kommen, das kann ich Euch versichern. Und besser, Ihr seid darauf vorbereitet.“
„Ich verstehe, ehrwürdige Adjutantin Amariel-sensei,“ antwortete der junge Kamigawaer mit einer angedeuteten Verbeugung. „Ich will also mein Bestes geben, um den Urwald der politischen Verstrickungen mit der Machete Eures Wissens zu lichten, auf dass er mir so heimisch werden soll wie die Dschungel der Jukai Wälder.“
Er blickte sie erwartungsvoll an und einmal mehr musste Amariel lachen, diesmal unbeschwerter. „Sehr nett habt Ihr das gesagt, Kiyoshi. Also gut, es gibt zwischen dem Planaren Harmonium in Sigil und auf Arcadia und dem Materiellen Harmonium auf Ortho und in den Materiellen Kolonien mehrere gravierende Meinungsverschiedenheiten. Ich werde Euch die drei wichtigsten nennen: die Frage der Religion, die Frage der Volkszugehörigkeit und die Frage der politischen Autonomie des Planaren Harmoniums. Worüber möchtet Ihr als erstes etwas hören?“
Kiyoshi wirkte kurzzeitig verwirrt, als Amariel so herzhaft lachte, fasste sich aber schnell wieder und antwortete nach kurzem Überlegen: „Ich denke, besonders bei der letzten Frage wäre es für das ehrenwerte Harmonium von größtem Interesse, dass ich darüber informiert bin, ehrenwerte Adjutantin Amariel-sensei.“
Die Halbelfe nickte. „Wie ich Euch ja bereits erzählte, entstand das Harmonium auf Ortho. Es ist somit der einzige Bund Sigils, der seinen Ursprung auf der Materiellen Ebene hat. Das verschafft uns eine gewisse Sonderstellung, die oft genug auch Komplikationen mit sich bringt. Der Ursprung des Harmoniums liegt etwa fünfhundert Jahre zurück. Damals herrschte eine dunkle Zeit auf Ortho: Dämonen hatten die Welt überfallen, viele Städte lagen in Schutt und Asche, Chaos und Anarchie regierten den Planeten. Damals tat sich eine Gruppe mutiger Abenteurer zusammen, mit dem Ziel, ihrer gepeinigten Welt Ordnung und Frieden zu bringen. Sie nannten sich die Ritter der Harmonie, vor allem Paladine sowie Kämpfer und Kleriker von guter Gesinnung waren unter ihnen. Nun, viele Heldengruppen brechen mit ähnlichen Zielen auf, doch das Entscheidende ist: Es gelang ihnen. Innerhalb nur einer Generation hatten sie Ortho vereint, unter denselben Gesetzen, derselben Regierung und derselben Weltanschauung. Zum ersten Mal herrschte tatsächlich Frieden auf dieser Welt. Die historischen Aufzeichnungen sprechen von einem glorreichen Sieg der Ordnung und der Harmonie. Ein paar wenige, weniger offizielle Quellen erwähnen allerdings, dass damals Völker wie die Elfen und die Feenwesen von Ortho verschwanden. Viele dieser Berichte sprechen davon, dass sie Ortho verließen, weil sie sich nicht in das neue rechtschaffene, aber strenge System eingliedern konnten oder wollten. Es gibt darauf offenbar auch konkrete Hinweise in historischen Aufzeichnungen. Ab und zu werden Meinungen laut, diese Völker seien damals ausgelöscht worden, aber es gibt hierfür keine Beweise, wie ich betonen möchte. Zum heutigen Zeitpunkt besteht die Bevölkerung Orthos zum größten Teil aus Menschen, Zwergen und Orks.“ Amariel machte eine kurze Pause, ehe sie fortfuhr. „So, das war der Beginn. Bald aber verspürte das Harmonium den Wunsch, die Philosophie von Frieden und Ordnung weiter zu verbreiten, über die Welt Ortho hinaus. Die Nachfolger der Ritter der Harmonie verließen ihren Planeten und suchten andere Materielle Welten auf, die sie kolonisierten. Heute hat Ortho insgesamt sieben Koloniewelten auf der Materiellen: Intagril, Eallia, Anoc, Metér, Lucidia, Fjorge und Anara. Außerdem tat das Harmonium den Schritt in die Ebenen. Eine Expedition in die Abyss hatte verheerende Ergebnisse, aber dennoch entschied sich die damalige Oktade vor über dreihundert Jahren, eine Basis in Sigil zu errichten. Schon bald konnten wir uns in der Halle der Redner den Status eines Bundes sichern und die Aufgabe übernehmen, die wir auch heute noch im Käfig erfüllen: die Ordnung in dieser Stadt zu wahren. Bald entstand zudem das Hauptquartier in Melodia auf Arcadia sowie wichtige Niederlassungen in der Torstadt Tapferkeit und auch auf Mechanus und Celestia. So weit, so gut. Aber mit dem Abstand zur Heimatwelt und den unendlich vielen, neuen Einflüssen, denen die planaren Harmoniums-Mitglieder in den Ebenen ausgesetzt waren, entwickelte sich eine Art Parallelkultur. Anfangs waren die Unterschiede zu Ortho noch gering, aber Jahrzehnt für Jahrzehnt wuchsen sie an. Zum Beispiel sind im Planaren Harmonium viele Völker Mitglieder, die es auf Ortho gar nicht gibt. Es werden Götter verehrt, die auf Ortho unbekannt sind. Und inzwischen gibt es sehr viele Mitglieder, die niemals auf Ortho waren und denen die Heimatwelt im Grunde wenig bedeutet. Die Mitglieder des Planaren Harmoniums sehen sich vielmehr als autonomen Bund von Sigil denn als Teil eines Materiellen Imperiums. Und genau das erzeugt auf Ortho Misstrauen und Ängste. Die Oktade möchte gerne alles kontrollieren und lenken, was den Planaren Flügel angeht. Und wir hier wiederum wollen so viel wie möglich selbst entscheiden, unabhängig von Ortho. Der Bundmeister des Planaren Harmoniums ist immer Mitglied der Oktade, aber er ist unter den acht der einzige planare Vertreter. Alle anderen stammen von Ortho oder den Kolonien. Damit steht unser Bundmeister oft auf verlorenem Posten gegen den Rest der Oktade, und vom Planaren Flügel wird dies zunehmend als ungerecht empfunden. Immerhin kommen die Mitglieder des Planaren Harmoniums inzwischen denen des Materiellen zahlenmäßig gleich. Aber trotzdem werden Sigil, Arcadia und alle anderen Ebenen, auf denen wir Einfluss haben, von Ortho genauso behandelt wie eine einzelne Kolonie. Offiziell haben wir keinen anderen Status als die sieben Materiellen Kolonien. Eine Zeitlang war das den planaren Mitgliedern egal, doch in den letzten zwanzig bis dreißig Jahren wuchs der Unmut darüber zusehends.“
Kiyoshi nickte ernst. „Ich verstehe, ehrenwerte Adjutantin Amariel-sensei. Es ist also so, dass die Truppen des ehrwürdigen Bundmeisters Sarin-gensui denen aller anderen Daimyos des Harmoniums gleichkommen. Deshalb sollte es entweder mehr Daimyos aus dem Planaren Harmonium geben oder man sollte Bundmeister Sarin-gensui den Titel des Tenno anbieten.“
Fragend runzelte Amariel die Stirn. „Also, ein wenig habe ich mich ja schon an die Endungen gewöhnt, die Ihr in aller Regel unseren Namen anfügt, Kiyoshi. Was Tenno bedeutet, müsst Ihr mir allerdings erklären.“
„Verzeiht, ehrenwerte Adjutantin Amariel-sensei“, antwortete der junge Mann mit großem Ernst. „Tenno bezeichnet den Kaiser, Herr über alle Daimyos, Samurai und Bürger eines Reiches. In Kamigawa stammten die Tenno stets von der ehrwürdigen Amaterasu-o-mi-kami ab, doch die Linie ist offenbar ausgestorben. Deshalb werden wir von dem ehrwürdigen Ittosai Musashi-tenno geführt. Doch wie ich auf meinen Reisen erfahren habe, scheint nur in Kamigawa die Abkommenschaft von der großen Kami Voraussetzung für diesen Titel zu sein.“
Amariel dachte eine Weile über Kiyoshis Worte nach und lächelte dann. „Ich finde Eure Sichtweise durchaus berechtigt. Und das Problem, über das ich sprach, habt Ihr damit sehr gut auf den Punkt gebracht. Denn es gibt im Orthonianischen Imperium eine Position, die wohl in etwa der eines Tenno, wie Ihr es nennt, entspricht. Und zwar das Oberhaupt der Oktade, gegenwärtig also Ulan Delazar. Das Materielle Harmonium sieht dies als gerechtfertigt an. Und das Planare Harmonium sieht immer weniger ein, warum unser Bundmeister ihm untergeordnet und nicht gleichgestellt sein sollte.“ Sie nickte mit Nachdruck. „Genau, so ist das. Wir haben keine Lust, uns wie eine kleine, Materielle Kolonie-Welt behandeln zu lassen.“ Ihr wurde klar, dass sie sich ein wenig hatte hinreißen lassen, dass sie direkter geworden war, als sie es beabsichtigt hatte. Vielleicht auch direkter als ihr Bundmeister es gewünscht hätte. Als Kiyoshi nichts erwiderte, musterte sie ihn aufmerksam. Hoffentlich war sie nicht zu weit gegangen. „Ihr seid nicht einverstanden mit dieser Einstellung?“, fragte sie daher vorsichtig.
Sein Blick, so hatte sie den Eindruck, wurde für einen kurzen Moment offener als für gewöhnlich. „Ehrenwerte Adjutantin Amariel-sensei“, erwiderte er, „ich schwieg, da ich dem nichts hinzuzufügen habe. Ihr habt die Position des ehrenwerten Planaren Harmoniums hervorragend dargestellt und auch den rechtmäßigen Anspruch unseres ehrwürdigen Bundmeisters Sarin-gensui überzeugend dargelegt.“
Sie lächelte, erleichtert darüber, dass er ihre Haltung verstand und offenbar sogar teilte. „Diese politischen Spannungen wurden unter Ulan Delazars Bundmeisterschaft extrem verstärkt“, erklärte sie. „Einerseits dadurch, dass er sehr viele Soldaten und Offiziere von Ortho mit nach Sigil brachte. Andererseits auch aufgrund seiner Persönlichkeit und seines Verhaltens. Ich weiß nicht genau, was Lord Valiant nun in Sigil will. Wen er mitbringt und wie lange er zu bleiben gedenkt. Aber stellt Euch darauf ein, dass diese Sache dann erneut ein größeres Thema wird.“
Kiyoshi nickte ernst. „Mein Herr und Fürst, der ehrwürdige Bundmeister Sarin-gensui, kann sich jetzt und immerdar meiner vollen Unterstützung versichert fühlen, so lange noch Blut in unser beider Adern fließt. Er besitzt meine volle Loyalität und meinen Gehorsam, bis in den Tod hinein.“ Er wirkte bei diesen Worten außerordentlich entschlossen und um seine Augen herum war ein harter Zug zu erkennen.
„Es ist gut zu sehen, dass Eure Loyalität gegenüber Eurem Bundmeister so stark und kompromisslos ist“, meinte Amariel zufrieden. „Bitte deutet meine Worte nicht falsch: Ich sage nicht, dass es demnächst zwangsläufig zu folgenschweren Differenzen zwischen den beiden Flügeln des Harmoniums kommen muss. Aber wenn Großinquisitor Valiant in die Stadt kommt, besteht die Möglichkeit und daher halte ich es für wichtig, Euch davor zu warnen. - Nun habe ich gerade einiges zu diesem Thema erzählt, Euch aber wenig zu Wort kommen lassen. Habt Ihr noch Fragen?“
„Verzeiht, ehrenwerte Adjutantin Amariel-sensei, doch wie es mir scheint, war ich unaufmerksam“, erwiderte der junge Mann. „Würdet Ihr in Eurer grenzenlosen Geduld noch einmal Eure Ausführungen zur Frage der Volkszugehörigkeit und zur Frage der Religion wiederholen?“
Sie schmunzelte. „Nein, Ihr wart nicht unaufmerksam. Ich habe beide Punkte nur sehr kurz angesprochen. Indem ich erwähnte, dass im Planaren Harmonium Völker Mitglieder wurden, die es auf Ortho nicht gibt und dass diese Mitglieder zu Göttern beten, die auf Ortho unbekannt sind. Das wird in der Heimatwelt misstrauisch beäugt. Zumindest Teile des Materiellen Harmoniums sind der Ansicht, dass Angehörige von überwiegend chaotisch geprägten Völkern grundsätzlich von unserem Bund ausgeschlossen werden sollten. Ich glaube, während Eurer theoretischen Grundausbildung habe ich das schon einmal kurz angesprochen. Es geht zum Beispiel um Elfen. Selbst wenn sie rechtschaffen seien, wäre doch durch ihr Erbe und ihre Kultur die Chance groß, dass sie irgendwann von dieser Gesinnung abfallen oder einzelne, nicht rechtschaffene Taten ausüben. Für manche Leute auf Ortho schließt dies auch Mischlinge ein.“ Sie tippte sich kurz selbst auf die Brust. „Halbelfen, Feyblütige, Chaond, Tieflinge, die von Tanar'Ri abstammen und so weiter. Zusätzlich zur Frage der politischen Autonomie führt das natürlich zu noch mehr Unmut.“
Kiyoshi nickte. „Ich verstehe. Wie werden denn Angehörige böser Völker betrachtet? Wie beispielsweise von Baatezu abstammende Tieflinge oder gar Baatezu selbst? Gibt es diese überhaupt in den Reihen des Harmoniums?“
Diese direkte, aber berechtigte Frage traf durchaus einen wunden Punkt. „Also das ... das ist jetzt ein sensibles Thema“, erwiderte sie seufzend. „Genauso wie die Frage der Autonomie, vielleicht sogar noch mehr. Ich versuche das Ganze erst einmal möglichst neutral zusammenzufassen. Das Harmonium hat, was die Gesinnung seiner Mitglieder angeht, nur eine Vorschrift: Sie müssen rechtschaffen sein. Ob gut, neutral oder böse ist dabei unerheblich. Auf Ortho leben einerseits mehrheitlich gut oder neutral geprägte Völker wie Zwerge oder Menschen, andererseits aber auch vorwiegend böse geprägte wie Orks oder Betrachter. Aber sie alle vereint das Band unserer gemeinsamen Philosophie der Ordnung und des Friedens, so dass es keine Auseinandersetzungen gibt. Im Planaren Harmonium gibt es noch viel mehr Völker und ebenso gute und neutrale wie böse Mitglieder. Es sind nicht wenige Tieflinge in unserem Bund, einige stammen von Baatezu ab, andere aber auch von Tanar'Ri oder anderen Scheusalen. Der hochrangigste Tiefling ist Bürgermeister Mabru, das Oberhaupt unserer Stadt Melodia auf Arcadia. Er ist nur Bundmeister Sarin und Legat Caine unterstellt. Es sind sogar einige wenige Baatezu Mitglieder.“ Amariel seufzte erneut und machte eine längere Pause, ehe sie fortfuhr. „Die Gesinnungsfrage spielt tatsächlich im Gegensatz zu Volkszugehörigkeit und Religion für Ortho keine Rolle. Aber für das Planare Harmonium schon, das kann man einfach nicht wegreden. Unser Hauptquartier befindet sich immerhin auf einer der Oberen Ebenen. Und anders als im Materiellen Harmonium ist die Mehrheit unserer Mitglieder gut oder neutral, nur eine Minderheit ist böse. Zudem hatten wir in den letzten Jahrzehnten - mit Ausnahme von Delazar - immer Bundmeister, die versuchten, den Einfluss böser Mitglieder im Bund erheblich einzudämmen. Es gibt Stimmen, die das Planare Harmonium am liebsten für böse Gesinnungen verschließen würden. Ortho lässt dies nicht zu, aber die Stimmen werden lauter und zahlreicher ...“
Kiyoshi nickte. „Ich verstehe und danke Euch für Eure erleuchtenden Worte. Ich gehe recht in der Annahme, dass der ehrwürdige Bundmeister Sarin-gensui in diesem Fall eine Position gegen Baatezu vertritt? Ist etwas über die Position des ...“ Hier zögerte er kurz. „ … des ehrenwerten Mitgliedes der Oktade Lord Valiant-sama zu diesem Thema bekannt? Immerhin ist er, zumindest seiner äußeren Erscheinung nach, als von den Oberen Ebenen stammend einzuordnen. Ganz davon abgesehen ist er ja zuständig für die Innere Harmonie.“
„Ihr geht recht in der Annahme, dass unser Bundmeister mit den Baatezu im Harmonium nicht sehr glücklich ist.“ Amariel verspürte wie immer, wenn sie über ihn sprach, jenen Stolz und jene Zuneigung für ihren Bundmeister, von denen sie wusste, dass sie sie nicht allzu deutlich zeigen durfte. Sie bemühte sich also um einen möglichst neutralen Tonfall, als sie fortfuhr. „Sarin ist Paladin einer guten Göttin und verabscheut Scheusale. Er nutzt alle Mittel, die ihm offiziell gegeben sind, um ihren Einfluss einzudämmen. Aber er kann sie nicht einfach hinauswerfen, weil die Gesetze und Regeln unseres Bundes das nicht zulassen. Lord Valiant ... Ihr ordnet das ganz richtig ein, er stammt von den Oberen Ebenen, genaugenommen von Celestia. Ich bin ehrlich gesagt nicht ganz sicher, wie seine Einstellung dazu ist. Der Großinquisitor besitzt gewiss nicht das gütige oder gar sanfte Wesen, das viele bei einem Celesten vermuten. Allerdings hatte er in seiner Zeit in Sigil nicht den Eindruck erweckt, besonders viel von den Baatezu zu halten, noch hatte er engeren Kontakt zu ihnen, von dem ich wüsste. Ich glaube nicht, dass er besonders erpicht auf sie ist, allein schon weil er als Celest nur allzu gut um ihre Gefährlichkeit weiß.“ Sie beugte sich etwas näher zu Kiyoshi und senkte die Stimme. „Und wenn wir gerade bei Lord Valiant sind, da ist noch etwas … Er ist ein Celest, aber kein reiner. Valiant ist der Sohn von Ramiel, der derzeitigen Herrscherin von Hebdomias, mit einem halb-menschlichen Celesten, über den jedoch nichts Näheres bekannt ist. Das macht Valiant zu einem Viertel menschlich, aber begeht keinen Fehler: Zu drei Vierteln ist er ein Thron-Archon, und das reicht allemal, um ihn sehr, sehr mächtig zu machen. Anspielungen auf sein menschliches Blut hört er im Übrigen nicht sehr gerne, er scheint es wohl als eine Art Makel zu empfinden.“
Kiyoshi schien jedes ihrer Worte, all ihre Erklärungen gewissenhaft in sich aufzunehmen. Als er keine weiteren Fragen hatte, erhob Amariel sich langsam. „Ich weiß, das war eine Menge“, stellte sie, fast entschuldigend, fest. „Und all das ist sicher erst einmal schwer zu verdauen. Macht Euch in Ruhe Eure Gedanken darüber. Solltet Ihr noch Fragen haben, zögert nicht, Euch an mich zu wenden.“
Er nickte ernst, dann erhob er sich und verneigte sich zum Abschied mit vor der Brust gefalteten Händen. Als Amariel über den Innenhof ging, konnte sie nicht umhin, einen Blick zu jenem Turm zu werfen, in dem sich des Bundmeisters Büro befand. Sarin hatte bezüglich des anstehenden Besuches von Lord Valiant erwartungsgemäß angespannt und wenig begeistert gewirkt. Sie hoffte aus tiefstem Herzen, dass dies nur in den Erlebnissen der Vergangenheit begründet lag und dass die Zukunft seine Befürchtungen nicht bestätigen mochte.
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aus dem Foren-RP mit Kiyoshis Spieler




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