Deine Hingabe an die Götter bedeutet noch lange nicht,

dass sie dir gegenüber auch so empfinden.“

Toriam Osis, Athar

 


 

Vierter Kuratorentag von Savorus, 126 HR

Terrance stand an einem der Arbeitstische in seinem Labor im Zerschmetterten Tempel und band getrocknete Monddisteln und Feuernesseln in kleine Sträußchen. Jaya half ihm dabei, indem sie die Kräuter vorsortierte, Bänder zurecht schnitt und kleine Schilder in ihrer geschwungenen, aber äußerst ordentlichen Handschrift anfertigte. Sie sprach jedoch nicht, kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er gerade seinen Gedanken nachhing. Die Vorbereitung für das Herstellen von Tränken, Salben oder anderen Tinkturen war für ihn stets eine Quelle der Ruhe und Entspannung und er ging dieser Tätigkeit besonders gerne dann nach, wenn er in Ruhe über etwas nachsinnen wollte. An diesem Tag kreisten seine Gedanken immer wieder um seinen alten Tempel. Natürlich war es nichts Neues, dass er ab und an des Conclaves erinnert wurde. Die Treffen mit Elyria, die ihn in den letzten knapp dreißig Jahren immer wieder besucht hatte, brachten zwangsläufig auch Gedanken an seine Zeit im Elysium mit sich. Doch daran hatte er sich gewöhnt.

Die kürzliche Mission der Erwählten aber und Elyrias überraschende Rolle als Hüterin in der Prophezeiung brachten tiefer gehende Erinnerungen an die Oberfläche. Er dachte zurück an die Zeit, als er das Conclave verlassen hatte. Es war eine merkwürdige Art von Schmerz gewesen, Mishakal den Rücken zu kehren. Ein tiefgehender, aber unausweichlicher Schmerz. Er hatte gewusst, er würde den Kern seines Lebens verlieren – seinen Glauben – und auch, dass er niemals würde zurückkehren können. Und doch, nun war er hier, Bundmeister der Athar. Er hatte viel hinter sich gelassen und viel wieder gewonnen. Er war nicht verbittert und er bereute nichts. Ihm war bewusst, dass manche Bundmitglieder das nicht verstanden – sie hatten andere Erfahrungen gemacht. Jana schien eine von ihnen zu sein. Natürlich bemühte er sich stets, auch diese Athar zu erreichen und war froh, wenn er ihnen seine Sichtweise näherbringen konnte. Er trug ihnen aber nicht nach, wenn sie ihn nicht verstanden. Was er allerdings erwartete, waren angemessene Verhaltensweisen. Manche der Mitglieder verteilten Flugblätter und sprachen auf den Straßen über die Philosophie der Athar. Wunderbar. Manche schrieben Parolen auf Hauswände und verhöhnten Priester. Wenn sie meinten. Andere beschmierten Tempel und zerstörten Götterstatuen. Das war nicht sein Stil, aber solange es keine ausufernde Gewalt gab, untersagte er es nicht ausdrücklich, weil er wusste, dass manche Athar schlicht ein Ventil brauchten. Er akzeptierte allerdings keine körperliche Gewalt gegen Priester, keine Brandstiftung und natürlich erst recht keinen Mord. Und wenngleich er nicht glaubte, dass Jana so weit gehen würde, blieb dennoch die Tatsache bestehen, dass sie zwei blasphemische Schmähungen an die Wand des Io-Schreins im Tempelbezirk gemalt hatte. Obwohl er Sarin gegenüber für sie eingetreten war, indem er betont hatte, dass ihre Schuld noch nicht bewiesen sei, so hatte er an ihrer Reaktion doch sofort bemerkt, dass die Anschuldigungen zutreffend sein mussten. Sie war nach der Verkündung der Prophezeiung vorerst wieder in eine der Arrestzellen in der Kaserne gebracht worden, wo er sie noch am selben Tag besucht hatte. Bei einem ernsten Gespräch unter vier Augen hatte sie die Tat dann auch offen zugegeben.

Gerade als er diese Unterhaltung nochmals in Gedanken durchging, klopfte es an der Tür, und Askorion und Hobard traten ein. Der junge Aasimar-Barde und der alte Githzerai waren immer ein spannender Kontrast, wenn sie gemeinsam erschienen. Askorions goldblondes Haar stand in auffälligem Gegensatz zu dem kahl rasierten Schädel des Githzerai-Magiers, ebenso wie sein eleganter Gehrock sich deutlich von Hobards schlichter, dunkelbrauner Robe abhob. Auch in ihrem Wesen hätten sie unterschiedlicher nicht sein können. Während Terrances Sekretär Askorion fröhlich, lebenslustig und humorvoll war, konnte man Hobard schwerlich anders als trocken und griesgrämig nennen, mit einem deutlichen Hang zum Pessimismus. Der Charakter des Githzerai entsprach somit absolut nicht Terrances eigenem, doch schätzte er Hobard wegen seiner Kompetenz im arkanen Bereich, seinem Scharfblick und seinem ausgeprägten Realitätssinn in bundpolitischen Fragen. Deswegen war Hobard auch zusammen mit Jaya der Stellvertreter des Bundmeisters. Die beiden Eintretenden verneigten sich zur Begrüßung und kamen dann näher, wobei Askorion auf einem Hocker neben dem Arbeitstisch Platz nahm, während der alte Githzerai stehen blieb. Er legte etwas mehr Wert auf Förmlichkeiten als der Aasimar, auch wenn Terrance selber in diesem vertrauten Rahmen nicht darauf bestand.

„Wie geht es denn Jana?“, fragte Askorion dann geradeheraus.

Terrance hatte außer Jaya auch Hobard und seinem jungen Sekretär von den Taten der Hexenmeisterin berichtet. Zudem waren sie die drei einzigen Mitglieder des Bundes, die er in die Sache mit der Prophezeiung eingeweiht hatte.

„Sie ist noch in der Kaserne“, erwiderte der Bundmeister ruhig. „Ich konnte aber mit Sarin aushandeln, dass sie übermorgen entlassen wird, so lange sie versichert, dass sie Sigil nicht ohne ausdrückliche Erlaubnis des Harmoniums verlässt. Sie wirkte recht kleinlaut und entschuldigte sich für die, wie sie es nannte, riesengroße Dummheit. Sie meinte, sie habe sich nicht dabei erwischen lassen wollen.“

„Ahh.“ Der Barde grinste. „Sie war also nicht beschämt wegen der Tat an sich, sondern weil sie dabei ertappt wurde?“

Jaya schüttelte mit einem leichten Schmunzeln den Kopf und Terrance hob eine Braue, als er seinen Sekretär mit einem milden Anflug von Strenge musterte.

„Schön, dass dich das amüsiert, Askorion. Kannst du dir vorstellen, was ich mir von Sarin anhören musste? Und schlimmer noch: Ich konnte nicht einmal viel entgegen halten.“

Der Aasimar räusperte sich entschuldigend. „Verzeihung, Bundmeister. Ihr habt natürlich Recht damit, dass sie dadurch gerade auch Euch in eine unangenehme Lage gebracht hat.“

Terrance band ein weiteres Büschel aus Feuernesseln und Monddisteln zusammen und nickte begütigend ob Askorions Entschuldigung. „Ja, schon gut. Ich reagiere womöglich gereizter als nötig auf das Thema. Aber es ist eine Sache, die mich tatsächlich ärgert, weil ich sie so sinnlos finde. Jana versicherte zumindest, sie hätte sich in keiner Weise gegen ihre Verhaftung zur Wehr gesetzt oder sich ungebührlich verhalten. Das hat Sarin auch eingeräumt.“

Hobard verschränkte die Hände in den weiten Ärmeln seiner Robe ineinander. „Darf ich fragen, was genau sie eigentlich an die Wand des Schreins gemalt hat?“

„Das eine Bild war ein Symbol der Göttin Sune“, antwortete Jaya ihm, sah dann aber fragend zu Terrance. „Was sollte das zweite werden, mit dem Wasserfall?“

Der Bundmeister seufzte. „Eldath.“

„Ist das nicht die Göttin, der auch Lereia folgt?“, fragte Jaya erstaunt.

„Ja“, bestätigte Terrance. „So hat Ambar es mir erzählt.“

Er legte das letzte Kräuter-Sträußchen auf den Stapel zu den anderen, während Askorion sich mit verschränkten Armen zurück lehnte und nachdenklich die Stirn runzelte.

„Sune und Eldath … Warum gerade diese beiden?“

„Jana meinte, sie hätte einst zu ihnen gebetet“, antwortete Terrance. „Und sie fände das naheliegend, weil sie sie am besten kenne.“

Ein schmales, wissendes Grinsen erschien auf Hobards Lippen. „Was habt Ihr dazu gesagt?“

Terrance schmunzelte, als sein Stellvertreter sofort zu ahnen schien, wie er zu einer derartigen Antwort stand. „Ich sagte, dass das keine Erklärung sei, die mir einleuchtet. Ich habe auch Mishakal verehrt. Aber ich habe keine Tempel mit Schmähungen gegen sie beschmiert. Jana fragte mich daraufhin, ob ich einen Groll gegen Mishakal hegen würde und ich erklärte ihr, dass dem nicht so ist. Dass ich mich auch nicht von ihr verraten oder im Stich gelassen fühle. Dass ich sie als mächtiges Wesen respektiere, das gute Ziele hat, auch wenn ich sie nicht mehr anbete.“

Jaya nickte lächelnd zu seinen Worten. Er wusste, dass die junge Frau diese Einstellung mit ihm teilte. Hobard war dahingehend weniger verständnisvoll mit jedweder Gottheit, hatte Terrances Haltung dazu aber schon vor vielen Jahren akzeptiert und respektierte die Linie seines Bundmeisters.

„Was meint Ihr, womit hat sie schlimmstenfalls zu rechnen?“, überlegte Askorion.

„Sie hat glücklicherweise nichts dauerhaft beschädigt und auch niemanden verletzt“, stellte Hobard fest. „Sie muss sich wohl darauf einstellen, dass sie ihre Kunstwerke wieder entfernen darf. Und wahrscheinlich wird auch eine Geldstrafe hinzukommen.“

„Da bekannt ist, dass solche Strafen gerne die jeweiligen Bünde zahlen, kann dergleichen allerdings auch mit Gefängnis bestraft werden“, gab Terrance zu bedenken. „Das wäre gerade in unserer Lage weniger vorteilhaft. Aber ein guter Anwalt sollte hier einiges erreichen können.“

„Hat sie denn schon einen?“, erkundigte Jaya sich.

Der Bundmeister schüttelte den Kopf. „Bislang nicht. Aber es wird sich in unseren Reihen gewiss jemand finden, der dies übernehmen kann.“

Die junge Frau nickte und musterte ihn dann nachdenklich. Er erkannte sofort am Ausdruck in ihren Augen, was sie nun sagen, auf welches Thema sie das Gespräch gleich lenken würde.

„Wie geht es Euch selbst?“, fragte sie dann, wie erwartet. „Nach … all dem, was Ihr kürzlich erfahren habt?“

Er war nicht unbedingt erpicht darauf, diese Sache zu diskutieren. Doch er verstand ihre Sorge und wollte sie dahingehend nicht abweisen, zumal sie ihm wie eine Tochter war.

„Du meinst die Prophezeiung?“, fragte er daher sachlich.

„Ja … die letzte Stadt des letzten Zyklus.“ Jaya seufzte. „Das klingt recht … endgültig.“

Er nickte ernst. „Ich muss offen zugeben, ich bin nach diesem letzten Treffen noch etwas von der Rolle. Die ganze Prophezeiung klingt düster und besorgniserregend. Auch, was die Hüterin zu mir persönlich gesagt hat, ohne weitere Erklärung, beschäftigt mich natürlich. Und dass Valiant wieder nach Sigil kommt, das halte ich auch für sehr ungut.“

Askorion warf ihm einen verwunderten Blick zu. „Es klingt, als stünde der Untergang Sigils bevor. Und mit Sigil soll das gesamte Multiversum ausgelöscht werden … Was für eine Rolle spielt da noch Valiant?“

Terrance konnte nicht verhindern, dass sich ein Anflug von Bitterkeit und Sarkasmus bei diesem Thema in seine Stimme mischte. „Wir wissen nicht, ob dieser Untergang morgen, in einem Jahr oder in zehn Jahren stattfinden soll“, erklärte er. „Aber seid versichert, wenn es nicht morgen ist, dann wird dieser Mann eine Rolle spielen.“

„Ja.“ Hobard verengte grimmig seine gelben Augen. „Ich fürchte, dafür hat Jana ihn zu oft in ihren Visionen gesehen, als dass es anders sein könnte.“

Askorion nickte verstehend und ein für ihn untypischer Ausdruck des Unbehagens fand Einzug in seine Miene. „Denkt Ihr, dass Sigil wirklich untergehen wird?“, fragte er leise. „Untergehen kann?“

Terrance musterte ihn ernst. „Eine Vorstellung, die schwer fällt, ich weiß. Aber wer kann schon sagen, was in diesem Multiversum möglich ist?“

Es lag ihm fern, die Seinen zu beunruhigen, doch hatte er diese drei nicht ohne Grund in die Sache mit der Prophezeiung eingeweiht. Weil er wusste, dass er ihnen vertrauen konnte, aber auch weil er sicher war, sie wären stark genug für jene unangenehmen Wahrheiten. Sie blickten ihn an, teils betreten, teils nachdenklich und nickten dann ruhig. Sie würden, jeder auf seine Weise, ihre eigenen Schlüsse ziehen und ihre eigenen Theorien entwickeln, dessen war Terrance sicher. Er würde da sein, wenn sie sich an ihn wenden wollten, jederzeit, doch alle drei würden ihren eigenen Weg finden müssen, mit der Sache umzugehen. Wege, so verschieden, wie auch sie selber es waren.

 

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basierend auf dem Rollenspiel mit Janas Spieler am 10. November 2012 

 

 

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