Ganz sanft finde ich zu meinem inneren Gleichgewicht zurück, genährt von meiner eigenen unerschöpflichen Quelle des Friedens und der Geduld.“

Mantra aus der geführten Meditation im Eldath Kloster

 


 

Vierter Dametag von Savorus, 126 HR

Nachdem sie die Hüterin in der Limbusbar gefunden hatten, zog sich Lereia am späten Nachmittag von den anderen zurück. Sie lief eine Zeitlang durch den Kuratorenbezirk und setzte sich dort dann schließlich in ein Straßencafé an einen der hohen runden Tische. Sie bestellte sich ein Lavendel-Honig-Eis und ein doppelte Portion von dünnen Schokoladentäfelchen mit Zimtaroma. Der Kellner stutze kurz ob der großen Portion, die sie bestellte, aber Lereia lächelte nur höflich. Sie war die Reaktionen auf die Mengen, die sie essen konnte, gewohnt. Ihr Äußeres stand oft im Gegensatz dazu, da sie eher von zierlicher Statur war und tatsächlich auch nie nennenswert zunahm. Im Gegenteil, als Kind hatte ihr Helen oft gesagt, sie wäre zu dünn und auch heute noch achtete sie darauf, dass sie genug Nahrung zu sich nahm. Insbesondere wenn sie sich häufig verwandelte. Ihr Grundumsatz war aufgrund des starken Stoffwechsels ohnehin sehr hoch und eine Verwandlung kostete noch zusätzlich Energie. Zumal sie auch zugeben musste, dass sie recht schnell in gereizter Stimmung war, wenn sie wirklich Hunger hatte. Sie nahm das Eis dankend entgegen, denn in ihrer menschlichen Gestalt frönte sie dann umso lieber ihrer Leidenschaft für Süßes.

Lereia stocherte ein wenig in ihrem Becher herum während sie das Treiben auf der Straße beobachtete. Eine gnomische Blumenhändlerin verkaufte einen wunderschönen Strauß aus verschieden farbigen Fresien an einen jungen menschlichen Mann, der sie anschließend an eine Halbelfe überreichte, die ihn daraufhin überschwänglich und freudestrahlend umarmte. Lereia lächelte für sich, sie liebte es, die Bewohner Sigils in solchen Momenten zu beobachten. Sie konnte nicht leugnen, dass die Stadt sie noch manchmal verschreckte, sogar einschüchterte, aber sie barg auch eine Kraft und Lebendigkeit, die Lereia faszinierte. Das klösterliche Leben ihrer Kindheit und Jugend bedeutete ihr viel, es war vermutlich der beste, oder vielleicht sogar der einzig mögliche, Weg gewesen, ihren Fluch unter Kontrolle zu bekommen. Auch das anschließende Leben im Hain hatte sie mit Glück erfüllt. Nahe der Natur und der Wildnis zu sein, zusammen mit Verbündeten und Freunden. Sie hatte dort viel über sich selbst gelernt. Aber nun, hier in dieser Stadt, war vieles für sie neu und fühlte sich auf der einen Seite zwar groß und schwer an, aber solche Momente wie jetzt, dass sie sich allein in ein Café setzen, über den großen Basar schlendern oder sich eine Massage im Großen Gymnasium gönnen konnte - solche Momente hatte sie vorher nie erleben können und sie genoss es daher umso mehr. Und da Sigil ihr jederzeit die Gelegenheit bot in alle Ebenen des Multiversums zu reisen, fühlte sie sich in dieser Stadt auch nicht gefangen. Sie wusste, die Wildnis war oft nur einen Spaziergang entfernt und wenn es ihr im Käfig zu viel, zu unruhig oder zu beklemmend wurde, nahm sie Reißaus, ging zum Beispiel in die Bestienländer und verbrachte dort einen oder mehrere Tage. Als Tigerin um zu jagen oder auch um in der Abgeschiedenheit der Natur zu meditieren und Ruhe in ihren Geist zu bringen. Natürlich hatte auch ihr Haus, dass ihr Ambar großzügigerweise zur Verfügung stellte, einen großen Anteil daran, dass sie sich hier immer heimischer fühlte. Ein Ausgleich zu ihrer klösterlichen Vergangenheit, die sie unter anderem hinter sich gelassen hatte, um mehr von der Welt zu sehen, die Ebenen kennen zu lernen. Und Sigil war dafür vermutlich der perfekte Ausgangsort. Sie war neugierig und auch abenteuerlustig, aber ein sicherer Hafen war für Lereia wichtig und auch nötig.

Sie biss in eine hauchzartes Schokoladentäfelchen als ihr Sgillins Worte aus dem Garten der Festhalle in den Sinn kamen: „Ich will unsere Angelegenheit über die Bühne bringen und werde danach nie wieder einen Fuß in diese Stadt setzen.“ Dieser Satz beschäftigte sie. Denn sie war sich nicht sicher, ob sie diese Einstellung teilte. Im Gegensatz zu Sgillin war Lereia selbst ganz bewusst einem Bund beigetreten. Einem Bund, dem sie sich bereits sehr verbunden fühlte und dessen Bundmeister gegenüber sie uneingeschränkt loyal war. Das war nichts, was sie nach ein paar Monaten oder Jahren wieder verwerfen würde. Und wie Erin sagte, stellen die Anarchisten für die meisten von ihnen eine Bedrohung dar. Dies nagte an Lereias Innerem, denn in der letzten Zeit waren ihr immer mehr Dinge aufgefallen, die sie und Sgillin nicht gemeinsam hatten und es fühlte sich zumindest für sie so an, als würden sie sich immer weiter voneinander entfernen. Im Hain war das einfacher gewesen, sie lebten dort wie in einer Blase. Wenn ein Feind die Insel bedrohte, dann stellten sie sich dem gemeinsam, es gab eine klare Front. Aber hier, auf den Missionen, zeigten sich immer wieder deutliche Unterschiede in ihrem Handeln und Denken. Sie musste zugeben, dass die körperliche Anziehung zwischen ihnen groß war und Sgillin ihr nach wie vor sehr viel bedeutete. Als Sarin ihn früher an diesem Tag so harsch konfrontiert hatte, hatte sie Angst vor dem was als nächstes passieren könnte. Aber eben auch diese Angst war etwas, dass sie in Hinsicht auf eine gemeinsame Zukunft verunsicherte. Es gab da einen weiteren Punkt, der sie eigentlich noch mehr beschäftigte als ihre Unterschiede hinsichtlich Gesinnung und Charakter. Dieser wog für Lereia sogar noch mehr als seine Lügen. Seit einiger Zeit wusste sie, dass sie sich für ihre Zukunft nichts mehr wünschte als irgendwann eine Familie zu gründen. Natürlich war sie jung und hatte dafür noch ein paar Jahre Zeit und sie würde sich diese Zeit auch nehmen, aber die Frage war, ob sie mit einem Mann zusammen sein konnte, für den das entweder nicht in Frage kam oder dessen Lebensumstände dies nicht zulassen würden. Und bei Sgillin und seinem momentanen Lebenswandel und den Dingen, die sie in letzter Zeit erfahren hatte, spürte sie weder die nötige Sicherheit noch Stabilität. Es war jederzeit denkbar, dass er mit dem Gesetz in Konflikt kommen könnte und sich eine Szene wie heute wiederholen oder sogar im Gefängnis enden könnte. Oder er würde mit den Geschäften, die er betrieben hatte oder vielleicht noch betreibt, in noch größere Schwierigkeiten geraten. Er hatte ihr so viel verschwiegen und jetzt hatte sie das Gefühl, dass diese Dinge wie eine Mauer zwischen ihnen standen und sie war sich nicht sicher ob sie diese Mauer noch überwinden könnte.

Nachdenklich aß sie die letzten Löffel ihres Eises. In der jüngsten Vergangenheit hatte sie sich von ihm zurückgezogen und sie hatten kaum Zeit alleine verbracht. Lereia war sich nicht klar darüber gewesen, wo sie eigentlich standen. Aber ihr wurde nun bewusst, dass sie bald eine Entscheidung treffen musste, alles andere wäre ihm gegenüber ungerecht. Mit diesen letzten schwerwiegenden Gedanken bezahlte sie das Eis und machte sich auf den Weg zu ihrem Haus im Unteren Bezirk. Sie wollte sich frisch machen und umziehen, da sie an diesem Abend noch mit Morânia in den Augen des Elysium verabredet war. Die beiden Frauen wollten gemeinsam zu Abend essen und vielleicht noch einen Cocktail trinken. Sie freute sich darauf die Bal'aasi näher kennen zu lernen, vielleicht würde sie in ihr eine Freundin finden, mit der sie solche Gedanken teilen konnte. Dinge, die ja auch die Prophezeiung betrafen und über diese sie sich somit nur mit einem eingeschränkten Personenkreis austauschen konnte. Und die andere Frau der Gruppe, Jana, sah sie nach dem Vorfall im Garten der Festhalle nicht wirklich als potentielle Gesprächspartnerin …

 

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Dieses Kapitel wurde von Lereias Spielerin geschrieben. 

 

 

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