„Es gibt zwei religiöse Praktiken, die in Sigil zum Wohle der Allgemeinheit streng verboten sind.
a) Verehrung der Dame der Schmerzen
Nach
Ihren eigenen Bestimmungen ist es strengstens untersagt, die Dame der
Schmerzen als Göttin zu verehren. Jeder, der dabei erwischt wird, dass
er Sie anbetet, wird ohne Gerichtsverhandlung sowie ohne Chance auf
Aufschub oder Begnadigung hingerichtet, falls ihn nicht schon der
Schatten der Dame getroffen hat.
b) Verehrung von Aoskar
Der
frühere Gott der Portale, der rechtmäßig von der Dame der Schmerzen
getötet wurde, war ein Feind der Stadt Sigil. Er und alle seine Anhänger
waren der Anarchie schuldig. Wer ihn verehrt, der wird ohne
Gerichtsverhandlung und ohne die Chance auf Aufschub oder Begnadigung
hingerichtet, falls ihn nicht zuvor der Schatten der Dame getroffen
hat.“
Punkt 5 unter „Die Fünf Größeren Vergehen in Sigil“, so erlassen - 496 HR
Vierter Dametag von Savorus, 126 HR
Am Tag nach dem eher unglücklichen Gespräch mit Garush wartete Naghûl im Garten der Festhalle auf seine Freunde. Morânia hatte ihm erklärt, sie würden sich nach Zenit dort einfinden, um noch einmal über alles zu reden. Der Tiefling war natürlich einverstanden gewesen. Nachdem sein erster Zorn verraucht gewesen war, vertrat er zwar nach wie vor gewisse Standpunkte zu diesem Thema, jedoch war er durchaus bereit zuzugeben, dass er in der Frage mit dem Styx-Tee überreagiert hatte. Überhaupt war alles sehr emotional verlaufen und auch ihm war daran gelegen, die Sache zu klären. Mit seiner Frau Morânia hatte er sich bereits am Vorabend – oder besser spät in der Nacht – ausgesprochen, daher blieb sie dem Treffen fern, ebenso wie Kiyoshi, der bei dem Vorfall im Haus der Visionen ja nicht dabei gewesen war. Zur verabredeten Zeit erschienen dann Lereia, Sgillin und Jana im Garten und kamen auf ihn zu, sobald sie ihn erblickt hatten.
Sgillin nickte ihm versöhnlich zu. „Hallo Naghûl.“
Jana und Lereia lächelten zur Begrüßung, wenngleich ein wenig zögernd und zurückhaltend. Kein Wunder, dachte der Tiefling bei sich, die Worte der Auseinandersetzung vom Vortag hingen durchaus noch wie ein grauer Schleier über ihnen allen. Er erwiderte daher das Lächeln und grüßte freundlich zurück, in der Hoffnung, die Stimmung so ein wenig aufzulockern.
„Der Segen der Dame“, meinte er im Entgegenkommen. „Schön, euch zu sehen und danke, dass ihr gekommen seid. Ich glaube, wir haben einiges aus der Welt zu schaffen.“
Sgillin nickte. „Allerdings.“
„Das sehe ich auch so“, stimmte Lereia zu. „Zwischen uns sollten keine unausgesprochenen Dinge stehen.“ Ihr Lächeln war nun offener, sie schien erleichtert und erfreut über Naghûls Begrüßung.
Jana hingegen wirkte zögerlicher. „Also, das ist, glaube ich ... sowieso zu spät“, murmelte sie.
Lereia warf ihr einen alarmierten Blick zu. „Wieso?“
„Ach Quatsch“, wandte Sgillin sofort ein. „Zu spät isses nie.“
Naghûl maß die Hexenmeisterin mit forschendem Blick. „Was ist zu spät, Jana?“, fragte er diplomatisch.
Sie lächelte entschuldigend. „Das … also … nichts. Spielt jetzt keine Rolle, entschuldigt. Wir sind hier, um den jüngsten Ärger aufzuklären, aber nicht, um alte Geschichten wieder aufzuwärmen.“
Naghûl seufzte bei sich. Wie so oft verstand es Jana, eine gewisse Unruhe in das Gespräch zu bringen. Lereia nickte jedoch lediglich und ließ sich dadurch nicht verunsichern.
„Wenn diese Geschichten älter sind als die, die wir als Erwählte erlebt haben, gebe ich dir Recht“, meinte sie sachlich.
Der Tiefling war froh, dass Janas Bemerkung nicht für weiteren Ungemach sorgte und führte seine Freunde zu einer kleinen Sitzgruppe in einer abgelegeneren Ecke des Gartens.
Unter einigen Ahornbäumen mit orangem und gelbem Laub standen drei hölzerne Bänke um einen Brunnen herum. Eingelassen in den Rand des Brunnens war ein Kristall, der eine Zone der Stille aktivieren konnte. Alle Bundhauptquartiere und so manch andere Orte Sigils verfügten über derartige arkane Vorrichtungen, um ungestörte Gespräche zu ermöglichen. Als die anderen Platz genommen hatten, aktivierte Naghûl den im Kristall eingespeicherten Zauber, indem er leicht darüber strich und setzte sich dann ebenso.
„Es gibt einige Dinge, die mir sehr auf dem Herzen liegen“, begann er, „Ich möchte sie gerne erklären, weil sie vielleicht meine Haltung Garush gegenüber etwas deutlicher machen.“
Sgillin nickte nur und zündete sich eine Pfeife an, während Lereia ihm auffordernd zulächelte.
„Ich möchte euch mein Verhalten näher bringen“, fuhr der Tiefling fort. „Ihr solltet verstehen, warum ich das getan habe - auch wenn ich zugeben muss, dass die Forderung mit dem Styx-Tee etwas extrem war. Zuerst möchte ich euch wissen lassen, dass ich dieser Wir sitzen alle in einem Boot-Haltung sehr abgeneigt bin. Wir wissen das nicht. Wir wissen ja nicht einmal, welche Rolle wir überhaupt spielen. Und wir wissen auch nicht, wie viele Auserwählte es gibt.“
„Ich hatte es bisher so verstanden“, warf Lereia ein, „dass wir alle irgendwie zusammenarbeiten müssen - oder zumindest habe ich es so interpretiert.“
Naghûl wiegte skeptisch den Kopf. „Wir wissen nicht, ob es nicht vielleicht sogar geplant ist, dass wir gegeneinander arbeiten. Nur eines wissen wir mit Gewissheit: Wir sind ersetzbar.“
„Ja“, stimmte Lereia seufzend zu, offenbar nicht sonderlich erbaut über diesen Gedanken.
„Daher möchte ich eines festhalten“, betonte der Tiefling. „Erst einmal sitzen nur wir sechs in einem Boot, und zwar Lereia, Sgillin, Jana, Kiyoshi, Morânia und ich. Und wenn über einen von uns Informationen preisgegeben werden, dann betrifft das uns alle.“
„Hm.“ Lereia wand eine ihrer weißen Haarsträhnen um einen Finger, wie oft, wenn sie nachdachte. „Du meinst, es war kein Zufall, dass wir zusammengefunden haben, oder?“
Naghûl hob die Hände. „Also, zumindest du, Sgillin und ich wurden gleichzeitig in das Haus geschickt. Und zwar von einem Dabus. Ein Dabus arbeitet ausschließlich für die Dame. Nein, sehr zufällig klingt das für mich nicht.“
Jana, die bisher ohne etwas zu sagen in das Wasser des Brunnens gestarrt hatte, straffte sich nun und setzte sich aufrechter hin. „Darf ich dazu etwas anmerken?“
„Klar, Jana.“ Naghûl nickte ihr auffordernd zu.
„Danke.“ Sie lächelte schmal. „Also, zunächst einmal hast du völlig Recht: Wir sitzen natürlich nicht alle in einem Boot, nicht einmal bei uns sechs würde ich das so ... also, blind unterschreiben. Und das gilt und galt erst recht für Garush.“
Der Tiefling warf ihr einen zweifelnden Blick zu. Er erinnerte sich, dass sie bei dem Gespräch mit der Amazone noch genau dies behauptet hatte, nämlich, dass sie alle in einem Boot säßen. Einmal in seiner Anwesenheit und ein zweites Mal später, als er bereits gegangen war. So hatte Morânia es ihm berichtet. Auch Lereia runzelte verwundert die Stirn und Sgillin schüttelte leicht den Kopf, sagte aber nichts.
„Es ist aber nun einmal so“, fuhr Jana fort, „dass wir das Garush gegenüber nicht unbedingt ehrlich zugeben müssen. Wir können durchaus ihr gegenüber so tun, als wären wir ihre Freunde und ihr doch misstrauen und ihr mit einer Mauer des Schweigens begegnen, wenn wir nur etwas geschickt vorgehen. Wir hätten, meine ich. Sie hätte eine unschätzbar wertvolle Quelle sein können.“
Lereia drehte den Kopf zu Jana und sah sie nun offen irritiert an. „Eine Frage: Hast du oder hast du ihr nicht vertraut, als wir sie das letzte Mal trafen?“
Naghûl nickte, dankbar dafür, dass die junge Frau diese Frage so direkt, aber sachlich formulierte. Ihm selber hatte schon eine schärfere Bemerkung auf der Zunge gelegen, doch er hielt sich zurück.
„Nein!“, beantwortete Jana die Frage. „Natürlich nicht, nicht eine Sekunde. Aber eigentlich hättet ihr euch das doch denken können, oder?“
Lereia zog ein wenig die Brauen zusammen. „Wieso bist du dann das Risiko eingegangen, eine Vision zu offenbaren? Und wieso warst du danach damit einverstanden, dass sie um deine Gabe weiß, wenn du eine Mauer des Schweigens als Plan hattest?“
„Ja.“ Sgillin nickte zustimmend. „Das finde ich nun auch etwas verwirrend.“
Jana hob die Hände. „Das mit der Vision war … unvorsichtig und mehr als unbedacht, das gebe ich zu. Ich dachte, es kontrollieren zu können, aber …“ Sie zuckte mit den Schultern. „Und dann war es nun einmal passiert und demnach auch zwecklos, es abzustreiten.“
Lereia verschränkte die Arme und in ihre Stimme schlich sich ein Beiklang von Verstimmung. „Dann ist meine Menschenkenntnis wohl schlechter als ich dachte. Aber ich ging davon aus, dass das, was du sagtest, auch so gemeint war. Naghûl und ich hatten sie fast zur Tür hinaus, dann kam die Vision. Und danach habe ich mich nicht eingemischt, weil ich der Ansicht war, dass es deine Entscheidung ist, wenn du sie teilhaben lassen willst. Hätte ich gewusst, dass du das gar nicht möchtest, hätte ich vielleicht anders reagiert.“
Naghûl spürte, wie Janas Worte einen gewissen Unmut in ihm hatten aufsteigen ließen, und er konnte Lereias Worten nur aus vollem Herzen zustimmen. Doch er wusste auch, wenn er nun näher darauf eingehen würde, mochte es womöglich gleich zur nächsten Auseinandersetzung kommen.
„Wie auch immer“, erwiderte er daher bewusst beherrscht. „Es ist passiert und mittlerweile kann man nichts mehr dagegen tun. Ich möchte nur festhalten, dass wir Garush mit Vorsicht behandeln müssen. Und es geht mir hier gar nicht so sehr um sie als Person. Ich möchte gerne glauben, dass sie gänzlich aufrichtig ist, aber ihr Bund ist das sicher nicht. Alles, was Garush erfährt, wird auch Mallin erfahren. Und wir erinnern uns: Mallin hat uns alle festgenommen, um Sarin zu erpressen. Mehr sollte man dazu nicht sagen müssen, oder?“
„Was ich auch seltsam finde“, warf Lereia ein. „Ich dachte, sie wären verbündet.“
Naghûl wiegte den Kopf. „Ja, aber Sarin entschied sich, mit anderen Bundmeistern zu kooperieren, und das sicherlich mit gutem Grund.“
„Vielleicht hätte er auch mit Mallin zusammengearbeitet, wenn er von Garush gewusst hätte“, wandte Lereia nachdenklich ein.
„Aber sicher nicht mit Sinkern oder Staubmenschen“, meinte Jana. „Oder …“ Sie sah zu Sgillin.
„Ich bin keiner von denen“, erwiderte der Halbelf knapp.
„Sgillin ist Sgillin“, kam Naghûl seinem Freund zu Hilfe. „Und das wird er bleiben. Ich für meinen Teil werde Sgillin trauen.“
Er legte einen gewissen Ernst in seine Stimme und der Waldläufer lächelte. „Danke.“
Auch Janas Blick war ernst, als sie den Halbelfen musterte. „Ganz egal, zu welchem Bund du gehörst oder ob überhaupt … Du hast uns schon einmal verraten, also ...“ Sie zuckte mit den Schultern.
„Wie?“ Lereia hob die Brauen und Sgillin funkelte die Hexenmeisterin ungehalten an.
„Verraten?! Ich hab euch überhaupt nicht verraten! Geh lieber erstmal was essen, bevor du solche Sprüche loslässt!“
Jana hielt seinem Blick stand. „Hast du nicht?“
„Ich habe nie eure Namen oder irgendetwas von euch erwähnt“, erklärte der Halbelf mit Nachdruck.
„Es spielt keine Rolle, ob du uns erwähnt hast“, erwiderte Jana kühl.
Naghûl atmete tief durch, als das Gespräch erneut auf Abwege zu geraten drohte. Vielleicht hätte doch seine Frau in ihrer Rolle als Kryptistin mitkommen sollen. Doch er bemühte sich um Gelassenheit. „Ich glaube kaum, dass Sgillin durch den Stock gesprungen ist und gerufen hat: Hallo, Goldener Lord der Unterwelt, fang mich!“
„Nein“, entgegnete Jana unnachgiebig. „Aber er hatte die Wahl und hätte schweigen können.“
„Ich stell dich Shemeshka bei Gelegenheit mal vor und schau dann zu, wie du schweigst“, hielt Sgillin der Hexenmeisterin giftig entgegen.
Sie verschränkte die Arme. „Jedenfalls jammer ich hinterher nicht.“
„Ich hab nicht gejammert, ich hab euch davon erzählt!“
Naghûl konnte erkennen, wie sein Freund nun langsam wirklich wütend wurde. Er wollte schon etwas sagen, doch diesmal schritt Lereia ein.
„Jana, es reicht“, sagte sie beherrscht. „Wenn du ein Problem mit der Sache hast, wieso hast du dich nie dazu geäußert? Ich meine, Sgillin gegenüber?“
„Ich habe mich geäußert“, erwiderte Jana angesäuert. „Damals, als das angesprochen wurde. Und den Mund verbieten lasse ich mir schon gar nicht.“
„Du hattest nicht viel dazu gesagt“, widersprach Lereia. „Ich erinnere mich hauptsächlich an Naghûl und Morânia.“
„Aber ich habe etwas gesagt“, hielt Jana dagegen. „Vielleicht nicht viel, und vielleicht habt ihr auch nicht zugehört. Aber es spielt auch keine Rolle. Ich binde Morânia ja auch nicht dauernd auf die Nase, dass ich ihr nicht über den Weg traue.“
Lereia schnaufte tief durch und lehnte sich zurück, doch als nun auch noch seine Frau in Janas Fokus rückte, wurde es Naghûl zu dumm.
„Was soll das nun heißen?“, fuhr er die Hexenmeisterin an. „Wieso traust du Morânia nicht?!“
„Sie ist ein Paladin“, erwiderte Jana knapp, als würde das alles erklären.
Für sie als Athar tat es das wahrscheinlich auch. Doch nicht auf alle Mitglieder ihres Bundes traf das so absolut zu, daher schüttelte Naghûl missbilligend den Kopf.
„Du solltest dir eine Scheibe von deinem Bundmeister abschneiden, Jana.“
„Ich bin aber nicht mein Bundmeister“, entgegnete sie spitz. „Was werft ihr mir eigentlich vor?“
Der Tiefling zog die Augenbrauen zusammen. „Ich möchte dich daran erinnern, dass du mit Vorwürfen um dich feuerst, als würde es einen Isaacs Vorwurfshagel geben.“
„Jana, wem von uns traust du eigentlich?“, fragte Lereia. „Das meine ich jetzt nicht als Falle, ich mache mir nur Sorgen um unseren Gruppenzusammenhalt.“
Die Hexenmeisterin zögerte nur einen Lidschlag mit ihrer Antwort. „Ich traue niemandem, wenn du es genau wissen willst. … Dem Großen Unbekannten“, fügte sie dann zögernd an. „Dem vielleicht.“
Auf diese Aussage hin folgte Stille. Janas Worte waren wie ein schwerer, kalter Stein, den sie in einen tiefen See geworfen hatte und der nun Wellen erzeugte, die weite, immer weitere Kreise zogen.
„Nicht schlecht ...“, murmelte Lereia schließlich. Sie sah zu Boden und schien nachzudenken.
Naghûl und Sgillin schwiegen weiterhin und musterten Jana mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und Missmut. Als sie die Blicke der anderen auf sich lasten fühlte, starrte die Hexenmeisterin wieder auf das Wasser im Brunnen. „Es spielt auch überhaupt keine Rolle“, meinte sie leise. „Ich bin heute Morgen wohl mit dem falschen Fuß aufgestanden. Ich ... habe nicht vor, euch Vorwürfe zu machen.“
„Dafür ist es jetzt ein bisschen zu spät“, bemerkte Sgillin bissig.
„Bei der Dame.“ Naghûl seufzte tief. „Dann will ich dich gar nicht erleben, wenn du das mal vorhast.“
„Ja“, erwiderte Jana knapp. „Das will ich auch nicht erleben.“
Der Tiefling atmete einmal tief durch, fest entschlossen, die Ruhe zu bewahren. „Ich spreche jetzt einmal für mich und sage, dass ich in Sgillins Handeln keinen Verrat sehe, nur ein bisschen Planlosigkeit ... ein bisschen viel vielleicht“, setzte er mit einem kurzen Schmunzeln hinzu. „Aber das kriegen wir schon hin.“
Jana schüttelte den Kopf. „Und ich sage, dass ich ihm deutlich weniger traue als dem Rest von euch.“
„Geht mir am Arsch vorbei“, erwiderte Sgillin schroff und zuckte mit den Schultern. „Tu, was du nicht lassen kannst.“
Lereia sah unglücklich von einem zum anderen. „Ich finde es zutiefst beunruhigend, dass es in unserer kleinen Gemeinschaft offenbar bei einer Person keinerlei Vertrauen gibt. Das trifft mich und macht mir auch Angst.“
„Ich kann es nicht ändern“, meinte Jana kurz angebunden. „Und ich will es auch nicht ändern.“
Naghûl maß die Hexenmeisterin mit kritischem Blick. „Jana, ich sehe einen aufkeimenden Fanatismus in dir, der mich beunruhigt.“
„Aufkeimender Fanatismus?“ Die Hexe riss die Augen auf. „Was soll das denn jetzt bitte bedeuten?“
„Athar, wie du es zu werden scheinst, sind es, die deinem Bund einen solch schlechten Ruf verleihen“, erklärte Naghûl ohne Beschönigung. Er war inzwischen jenseits beschwichtigender Worte. „Athar, die irgendwann mit blutrünstiger Gewalt gegen Gläubige vorgehen.“
„Mit blutrünstiger Gewalt? Das finde ich jetzt aber frech, ganz ehrlich! Habe ich zu irgendeinem Zeitpunkt Drohungen gegenüber Sgillin ausgestoßen?“ Empört funkelte Jana den Halbelfen an. „Fühlst du dich von mir bedroht?“
„Wenn du mich so anschaust, ja“, erwiderte der Waldläufer mit gehobenen Brauen.
Fassungslos schüttelte die Hexe den Kopf. „Und ihr fragt euch, warum ich euch nicht traue?“
„Es geht nicht um dein Misstrauen gegenüber Sgillin“, erklärte Naghûl. „Das kann ich ja irgendwo noch nachvollziehen. Aber deine Pauschalisierungen missfallen mir und besorgen mich.“
Jana winkte ab. „Ich habe übertrieben.“
„Du misstraust Morânia, weil sie ein Paladin ist“, entgegnete der Tiefling ungehalten. „Das waren deine Worte.“
„Es gibt durchaus unterschiedliche Grade des Misstrauens“, wandte die Hexe ein.
„Ehrlich gesagt wirst du mir zu kompliziert“, erwiderte Naghûl genervt. „Vielleicht kannst du dich mal konkreter ausdrücken?“
Jana verzog ein wenig den Mund. „Entschuldige, dass ich nicht in deine simplen Raster passe.“
„Oho.“ Naghûls Tonfall schlug von aufgebracht in sarkastisch um. „Bitte noch mehr Beleidigungen, Verlorene.“
Für eine ganze Weile starrte Jana ihn nun regelrecht an, dann raufte sie sich mit beiden Händen die Haare. „Ich will mich nicht mit euch streiten, wirklich.“
„Das machst du aber recht gut, gerade das zu tun, was du nicht vorhast, zu tun, nun doch zu tun.“ Naghûls Augen wurden etwas schmäler. „Habe ich mich komplex genug ausgedrückt?“
„Ich sag ja schon gar nichts mehr“, wehrte Jana ab, nun deutlich weniger offensiv. „Ich finde nur, ich habe auch ein Recht auf meine eigenen ... also, ich muss niemandem trauen, nur weil ich mit ihm zusammenarbeite.“
„Ja“, meinte Sgillin knapp und packte seine Pfeife wieder weg. „Das ist dein gutes Recht und ändern können wir daran eh nichts.“
„Aber geht das speziell in unserer Sache nicht Hand in Hand?“, wandte Lereia ein.
Sgillin hob die Schultern. „Du kannst aber Vertrauen nicht erzwingen.“
„Sicher, das stimmt“, meinte Naghûl. „Und Jana hat das Recht, es zu äußern. Sie muss aber auch anderen das Recht zugestehen, dann ebenso Misstrauen aufkommen zu lassen oder wenig Begeisterung über ihre Worte zu zeigen.“ Er schwieg kurz und runzelte dann die Stirn. „Hilfe, ich höre mich an wie ein Kryptist …“
Jana nickte nur. „Ja, tust du. Und was mich angeht ... ich habe niemals Vertrauen von euch eingefordert, oder?“
„Nein, nicht wirklich“, meinte Naghûl. „Aber irgendwie ist es eine meiner simplen Eigenschaften, Leuten zu vertrauen, mit denen ich – im wörtlichen Sinne - durch die Hölle gegangen bin und in deren Hände ich mein Leben legte. Einfach komisch, ich weiß.“
Sgillin nickte. „Ich habe auch gedacht, dass sich Vertrauen dann von selbst ergibt. Aber wie auch immer, so kommen wir nicht weiter. Konzentrieren wir uns also wieder auf unsere Aufgabe und wie wir weiterhin damit umgehen.“
Jana seufzte leise und Naghûl hatte den Eindruck, dass sie begann, ihre Worte ein wenig zu bereuen. Ob nur die Tatsache, sie ausgesprochen zu haben oder auch deren Inhalt, das konnte er allerdings nicht ergründen. „Ich habe auch nicht gesagt, dass ich nicht an eurer Seite stehe“, meinte die Hexenmeisterin. „Oder mich nicht mit ganzem Einsatz engagiere …“
Der Tiefling wollte schon etwas erwidern, doch in diesem Moment fiel sein Blick auf die beiden Personen, die sich nun den Bänken näherten, auf denen sie saßen. Er spürte, wie ihm das Herz sank. Es handelte sich um seine Bundmeisterin Erin ... und sie war in Begleitung von Sarin.
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gespielt am 12. Oktober 2012
Für unsere Gruppe war dies einer unserer denkwürdigsten Abende. Wir sagen noch heute ab und an: "Wisst ihr noch, der Abend, an dem Jana diese Bombe platzen ließ?"




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