"Gerechtigkeit ist nicht gleich Gesetz.“
Sprichwort der Gnadentöter
Dritter Untertag von Savorus, 126 HR
Als Garush die vier unfreiwilligen Gäste nach draußen brachte, wie Mallin es angewiesen hatte, war das Letzte Licht bereits hereingebrochen. Mitten auf dem Platz erblickte die Amazone einen stattlichen Greifen, mit weißem Fell und silbrig-grauen Schwingen. Er wartete dort offenbar, majestätisch, unbeweglich und vollkommen unbeeindruckt von den Galgen und Prangern, die das Bild des Bittsteller-Platzes prägten. Garush nickte bei sich: Sarins Greif. Sie hatte den Bundmeister des Harmoniums schon ein paarmal auf dem Rücken des beeindruckenden Tieres gesehen. Das erklärte auch, wie der Paladin das Gefängnis so schnell erreicht hatte. Und es ließ ihn noch einmal in ihrer Achtung steigen, dass er offenbar keine Sekunde gezögert hatte. Manch anderer Bundmeister hätte die Erwählten wahrscheinlich länger im Gefängnis warten lassen, rein um Mallin zu zeigen, dass seine Aktionen ihn nicht beeindruckten. Rowan Dunkelwald zum Beispiel. Er hätte sich nie und nimmer so sehr beeilt, hätte dieses kleine Machtspielchen mitgespielt, auch auf Kosten seiner eigenen Leute. Und auch Mallin, so musste sie sich eingestehen, hätte wohl nicht so schnell reagiert, wenn auch weniger aus Stolz als aus Sturheit. Als sie die große Metalltür des Haupteingangs hinter sich schloss und sich zu den anderen Erwählten umwandte, blickte sie in teils verschlossene, teils wütende Gesichter. Sie konnte es ihnen nicht verdenken. Der Harmoniumsoldat, Kiyoshi, nickte seinen Freunden nur mit versteinerter Miene zu, wandte sich dann um und ging wortlos in Richtung des Greifen, neben dem er sich einer Wache gleich postierte. Natürlich, sie konnte sich gut vorstellen, dass sein Stolz ihm verbot, in dieser Lage mit ihr zu sprechen. Das war etwas, das sie als Amazone gut verstehen konnte. Da die anderen drei noch keine Anstalten machten, ihr sofort den Rücken zuzukehren, wandte sie sich an diese.
„Ich weiß, es bedeutet nicht viel“, sagte sie ernst. „Aber ich möchte mich für diese Sache entschuldigen. Ich wollte das so nicht, aber ich hatte Befehle.“
„Wir alle tun nur, was uns gesagt wird“, erwiderte die Hexenmeisterin namens Jana mit einem begütigenden Lächeln, wohingegen der Sinnsat den Mund verzog. „Ja, Rechtschaffenheit über alles.“
„Ich bedaure, wenn Euch das missfällt“, entgegnete Garush sachlich. „Es ist, was ich bin.“
Interessanterweise hatte Jana dem Tiefling bei seiner Bemerkung einen missbilligenden Blick zugeworfen. „Davon verstehst du nichts“, erklärte sie ihm mahnend.
Naghûl hob die Schultern. „Jana hat Recht, ich verstehe das nicht. Aber ich nehme Eure Entschuldigung an. Schließlich wart Ihr es auch, die versucht hat, das alles in gewissen Bahnen zu halten.“
Es überraschte Garush durchaus, dass er dies einräumte. Damit hatte sie im Grunde nicht gerechnet. Daher war sie bereit, ihrerseits ein weiteres Eingeständnis zu machen. „Für Nilesia muss ich mich entschuldigen“, sagte sie. „Ich wäre lieber mit Arwyl losgegangen, aber er war gerade nicht greifbar.“
Der Tiefling nickte wissend, doch es war Lereia, die sich nun an sie wandte.
„Ging das von Euch oder von Eurem Bund aus?“, fragte sie vorsichtig.
„Von Mallin“, erwiderte die Amazone freimütig. „Ich hatte ihm von Euch berichtet, weil ich Euch bei der Leichenhalle gesehen hatte. Eine von uns war Euch dann im Schatten ein Stück gefolgt und hatte das Gespräch zwischen dem Harmoniumsoldaten und dieser Fratze beobachtet. Aber Bundmeister Sarin wollte offenbar nicht wirklich über die Sache reden.“
Lereia nickte. „Ihr hattet auch nach Eliath gesucht, nicht wahr?“
„Das ist wahr. Aber gefunden habt Ihr ihn.“ Auch wenn es letztlich offenbar nichts mit der Prophezeiung zu tun gehabt hatte, war Garush nach wie vor nicht besonders glücklich damit, doch eingestehen musste sie es.
„Ihr wart aber damals nicht allein, oder?“ Lereia sah sie ruhig, aber offenkundig interessiert an. „Wieso hattet Ihr bei einer bundinternen Untersuchung jemanden von außen dabei?“
„Woher wisst Ihr ...“ Garush zögerte, winkte dann aber ab. „Nein, diese Art von Fragen kann man sich scheinbar sparen. Ja, es war jemand bei mir.“ Sie dachte abermals kurz nach, befand dann jedoch, dass es nur gerecht war, wenn die anderen seinen Namen wussten, da sie selbst die ihren ja nun auch kannte. „Yelmalis.“
„Ein Luftgenasi, oder?“, schaltete sich der Sinnsat wieder ein. „Nehmer oder Herrschner, vermute ich?“
Nun grinste die Halborkin, was – das war ihr bewusst – meist eher einem kurzen Fletschen ihrer Hauer gleichkam. „Nicht nur unser Bund ist gut informiert, wie ich sehe ... Herrschner.“
Die Hexenmeisterin von den Athar hörte ruhig zu und sah Garush die ganze Zeit über offen und überraschend freundlich an, wie ihr auffiel. Der Tiefling war zurückhaltender, aber zumindest nicht mehr offen feindselig. Die junge Frau mit den weißen Haaren, die sie Lereia nannten, wirkte interessiert, aber vorsichtig.
„Die Frage klingt vielleicht etwas zu persönlich“, sagte sie nun. „Aber steht Yelmalis Euch in bestimmter und schwer zu erklärender Weise nahe oder war es Zufall?“
„Wir müssen nicht darum herumreden, oder?“, erwiderte Garush ernst. „Wir dürfen die Worte Erwählte der Prophezeiung des Rings aussprechen. Das ist unser gutes Recht.“
Ja, als solches sah sie es an. Es war ihrer aller Bestimmung und Verantwortung. Es nicht wahllos und leichtfertig hinauszuposaunen, das war keine Frage. Aber ebenso wenig, dass es ihnen zustand, untereinander darüber zu sprechen.
Lereia nickte sacht. „Wie lange wisst Ihr es schon?“
„Nicht lange“, antwortete Garush. „Ein paar Monate, erst seit kurz vor der Sache mit Eliath.“
„Eure schnellen Bewegungen ... Ist das Eure Gabe?“
„Ja, unter anderem“, bestätigte die Amazone. „Ich kann das aber nicht steuern oder bewusst einsetzen. Es passiert einfach manchmal.“
„Hm ...“ Lereia musterte sie nachdenklich. „Die Tänzerin?“
Garush musste lachen. „Tänzerin? Hat mich auch noch keiner genannt.“
„Ich weiß es nicht, ich vermute nur blind.“ Mit einem entschuldigenden Schmunzeln hob Lereia die Schultern. „Und Yelmalis, ist er auch ein Erwählter?“
Die Amazone nickte nur, während der Tiefling sich entsetzt an die Stirn fasste, so als fiele im plötzlich etwas Schlimmes ein.
„Oh ... Hilfe“, murmelte er.
Mit einem fragenden Stirnrunzeln sah Lereia ihn an und er schüttelte den Kopf.
„Es war mir gerade, als hätte ich an einen Sinnstein gefasst, der die Erfahrung beinhaltet, wie alle Bundmeister zusammen sitzen und Hashkar redet .. und redet und redet …“
Garush konnte nicht umhin, bei dieser Bemerkung laut zu lachen. Der Sinnsat lag nicht falsch, sie hatte diese Erfahrung bereits gemacht, bei einem Treffen von Mallin mit Hashkar, Darius, Bria und Rowan Dunkelwald.
Jana hingegen sah verständnislos zu Naghûl. „Spielt das jetzt irgendeine Rolle?“
„Das kann man durchaus als eine existenzielle Frage sehen“, meinte die Amazone, noch immer belustigt.
„Genau. Nehmt euch vor, diesem Gespräch nicht beizuwohnen“, erklärte der Tiefling den anderen beiden und schüttelte dabei grinsend den Kopf.
„Ich glaube, es ist gut, dass wir uns getroffen haben“, meinte Garush. „Auch wenn es unter unschönen Umständen war.“
Der Sinnsat wurde wieder ernster. „Ja, aber ich weiß nicht, ob das nicht auch einfacher gegangen wäre. Ich bin ungern nur ein Mittel zum Zweck.“
„Das verstehe ich“, räumte die Amazone ein. „Mallin hatte wohl das Gefühl, Sarin nicht anders zum Reden zu bekommen. Er ist ein Meister darin, Leute zum Reden zu bringen – auf welche Art auch immer.“ Dass die drei anderen einen unangenehm berührten Blick bei dieser Bemerkung wechselten, entging ihr nicht.
Die Hexenmeisterin räusperte sich. „Das … glaub ich sofort. Sag, weißt du noch von weiteren Erwählten außer uns und diesem Genasi von den Herrschnern?“
Garush seufzte. Mit dieser Frage war natürlich zu rechnen gewesen. Gleichwohl konnte sie sie nicht einfach so beantworten. „Verdammt … Auch wenn wir noch so sehr darauf brennen, mehr zu erfahren, ich fürchte, ich kann dazu nichts sagen ohne mich vorher abzusprechen. Aber da Mallin und Sarin nun reden, nehme ich an, wir werden uns demnächst vielleicht öfter sehen.“
Naghûl nickte und warf den beiden Frauen einen vielsagenden Blick zu. „Und wir sollten mit unserem Wissen auch nicht um uns werfen.“
„Das habe ich nicht vor“, erwiderte Lereia. „Aber wenn wir wissen wollen, was es mit den anderen auf sich hat, müssen wir auch ein wenig auf sie zugehen.“
„Das stimmt“, meinte die Amazone. „Ich denke, es kommt gerade ein Stein ins Rollen, den niemand mehr aufhalten kann.“
Der Sinnsat seufzte etwas. „Dann hoffen wir mal, dass wir der Stein sind, und nicht diejenigen, die vor der Lawine fliehen müssen.“
„Das hoffe ich auch.“ Lereias Blick wanderte kurz zu den Tribünen mit den Galgen und Prangern, die auf dem Bittsteller-Platz vor dem Gefängnis errichtet waren. Man konnte ihr deutlich ansehen, dass die Umgebung ihr Unbehagen verursachte. „Ich würde mich nun dennoch gerne verabschieden“, stellte sie fest. „Diese Gegend wirkt noch immer nicht besonders gastlich auf mich.“
Garush konnte ein leises Schmunzeln nicht unterdrücken. „Geht vielen so. Ich sollte auch schlafen. Ich habe morgen früh eine Hinrichtung und will dabei nicht fehlschlagen.“
Sie sah, wie das Unbehagen in Lereias Blick noch deutlich wuchs.
„Ah ja ...“ Die junge Frau räusperte sich kurz. „Eure … Arbeit, ich verstehe. Nun, ich möchte einfach nur in mein Haus …“
Auch der Sinnsat hatte vielsagend die Brauen gehoben. „Jaaa, also ich will nur nett und harmlos einen Kuchen backen. Nun denn, der Segen der Dame.“
Diese Art von Reaktionen verwunderte Garush nicht, sie kannte sie nur zu gut. Die Tätigkeit des Henkers kam selten gut an. Bemerkungen darüber waren bestens geeignet, ein Gespräch rasch zu beenden. Doch irgendwer musste es ja tun, und ihr Bund hatte diese Aufgabe nun einmal inne.
Jana lächelte zum Abschied, wenn auch diesmal etwas bemüht. „Auf bald und danke, dass du uns raus gebracht hast.“
„Nichts zu danken. Der Segen der Dame.“ Garush nickte den dreien knapp zu und ging dann wieder zum Haupttor des Gefängnisses.
Als sie die Hand auf das kühle Metall der Türklinke legte, zögerte sie kurz. Deutlich lieber wäre sie nun noch für eine Stunde in ihre Lieblingstaverne gegangen, um einen Krug Bumbat zu trinken und dabei mit der schönen Schankmaid zu flirten. Doch möglicherweise würde Mallin nochmals mit ihr sprechen wollen, und die Pflicht wog natürlich deutlich schwerer als ein Humpen Ogerbier oder die Gesellschaft im Zerberus. Zu ihrem Leidwesen, an diesem Abend. So drückte sie die Klinke herab, betrat wieder die Eingangshalle des Gefängnisses und ließ sich auf einer der Holzbänke dort nieder. Nur zwei Wächter hatten dort gerade Dienst, und sie unterhielten sich leise im anderen Teil des Raumes, so dass die Amazone ihre Ruhe hatte und ungestört vor sich hin grübeln konnte. Nach den wenig erfreulichen Ereignisses des Tages kam ihr das einerseits entgegen. Doch andererseits grübelte sie im Grunde nicht gerne – das überließ sie lieber Leuten wie den Herrschnern. Yelmalis zum Beispiel, der schien ganz hervorragend für Grübeleien und Gedankenspiele jeder Art geeignet zu sein. Herrschner und Magier und Anwalt … Jemanden, der den lieben langen Tag mehr dachte, konnte sie sich kaum vorstellen. Er musste einfach der Denker in der Prophezeiung sein, niemand sonst wäre passender. Gerechterweise musste sie jedoch zugeben, dass er im Zuge der beiden vergangenen Missionen – erst im Stock, dann bei der Suche nach Hüterin und Verkünder – durchaus ihren Respekt errungen hatte. Auf seinem Gebiet – der Magie – war er offensichtlich durchaus fähig, und zudem konnte er seine Gabe von ihnen allen bislang am besten kontrollieren. Natürlich würde sie das nicht offen zugeben und bedachte ihn nach wie vor gerne mit der Bezeichnung Schreiberling, jedoch hatte es sich von einer anfangs durchaus abfälligen Bemerkung zu einem eher freundschaftlichen Ausdruck entwickelt. Während sie diesen Gedanken nachhing, ließ das Knarzen des sich öffnenden Haupttores sie aufhorchen. Jemand kam in die Eingangshalle, und sie richtete ihren Blick auf die großen Türflügel. Ein trat ein hoch gewachsener menschlicher Mann um die dreißig, in stählerner Rüstung, mit hellem Teint und kurzem, schwarzem Haar. Garush erhob sich von der Bank.
"Arwyl. Dich hätte ich vor einigen Stunden dringend gebraucht.“
Der Paladin des Torm war einer der ranghöchsten Faktoren des Bundes und sie eine einfache Arbitra. Doch sie hatten vor nicht einmal einem Jahr eine sehr brenzlige Mission auf Acheron gemeinsam bestritten und verdankten einander wechselseitig ihr Leben. Seitdem waren sie beim Du und bei Schwanensohns Vornamen angelangt. Er kam auf sie zu, offenbar erfreut, sie zu sehen, jedoch deutete er mit erstauntem Blick über die Schulter zur Tür.
„Ich grüße dich, Garush. Ähm, sag mal … ist das Sarins Greif da draußen auf dem Platz?“
Die Amazone nickte. „Ganz genau.“
„Und was macht der Bundmeister des Harmoniums um diese Uhrzeit und unangemeldet hier im Gefängnis?“
„Er redet mit Mallin.“ Sie warf ihm einen vielsagenden Blick dabei zu.
„Etwa über …?“
Sie nickte. Arwyl war neben Nilesia der einzige im Bund, der außer ihr und Mallin über die Sache mit der Prophezeiung Bescheid wusste. Überrascht weitete er die Augen, warf einen Blick zu den beiden Wächtern und ging dann mit Garush ein Stück beiseite, in die entgegengesetzte Ecke des Saales. „Jetzt doch?“, fragte er dann mit gedämpfter Stimme. „Wie hat Mallin das geschafft?“
Die Amazone seufzte und deutete auf die nahebei stehende Holzbank. Sie war keine Freundin vieler Worte, doch diese Geschichte sollte sie Arwyl mit allen wesentlichen Details erzählen, und derer gab es einige. So berichtete sie ihm von Mallins Auftrag, die anderen Erwählten zu einem Besuch im Gefängnis „einzuladen“, davon, wie sie mit Nilesia statt Schwanensohn hatte losgehen müssen und vom unschönen Hergang der Ereignisse infolge dieser „Einladung“. Ebenso erzählte sie von dem aufgeladenen Wortwechsel zwischen Sarin und Mallin, von Nilesias ungebührlichem Verhalten gegenüber dem Bundmeister des Harmoniums und davon, wie Mallin die „Gäste“ letztlich hatte gehen lassen. Auch die abschließende Unterhaltung mit Naghûl, Lereia und Jana vor dem Gefängnis ließ sie nicht aus. Arwyl folgte ihrem Bericht mit ernster Miene, unterbrach sie nur zweimal mit einer kurzen Nachfrage und seufzte mehrfach, genau an den Stellen, an denen sie es vermutet hatte.
„Ja, so war das“, schloss Garush schließlich. „Ich wäre wirklich lieber mit dir losgezogen, aber du warst leider nicht greifbar.“
Sie hatte schon bei ihrem Bericht bemerkt, dass Arwyl ein wenig blass geworden war, als sie erwähnt hatte, ihn nicht angetroffen zu haben. Eher vor Zorn als vor Schreck, hatte sie den Eindruck gehabt, wenngleich sie nicht sicher war, warum. Nun verfinsterte sich sein Blick bei ihren Worten erneut.
„Ja, ich ... Ich war in der Kaserne. Zu einem Gespräch mit Präfekt Feuerherz.“
„Was?“ Garush riss die Augen auf. „Du warst zu dem Zeitpunkt in der Kaserne?“
Das Blau von Arwyls Augen schien etwas dunkler zu werden. „Zu einem Termin, den eigentlich Nilesia hätte wahrnehmen sollen. Doch sie bat mich, sie zu vertreten. Sie fühle sich nicht gut ...“
Die Amazone schnaubte abfällig. „Und das hast du geglaubt?“
„Ich hatte meine Zweifel.“ Auf ihren scharfen Blick hin hob er abwehrend die Hände. „Was sollte ich machen? Es ablehnen? Das wäre alles andere als ritterlich gewesen.“
Sie fletschte ihre Hauer. „Ritterlich wirst du eines Tages zu Hölle fahren, wenn du zulässt, dass man deinen Edelmut so leicht ausnutzen kann.“
Sie hatte ihm schon öfter erklärt, dass seine Ritterlichkeit zu weit ging, daher kannte er ihren damit verbundenen Unmut bereits. Er blieb vollkommen gelassen und hob nur mit einem nachsichtigen Lächeln die Schultern. „Du bist kein Paladin. Du verstehst das nicht.“
Sie selbst wäre bei einer Bemerkung wie der ihren mit Sicherheit aufbrausend geworden, daher bewunderte sie Arwyls Ruhe. Und sie wollte auch nicht weiter darüber diskutieren, daher winkte sie ab. „Das versteh ich in der Tat nicht. Aber gut, ist auch nicht meine Angelegenheit. Sehr wohl aber das, was heute passiert ist. So ein Blex. Ich wollte das wirklich nicht machen, glaub mir. Aber andererseits kann ich Mallin auch verstehen. Wenn Sarin einfach nicht so verdammt stur gewesen wäre ...“
„Er hat eben seine Prinzipien“, erwiderte Arwyl ruhig. „Gerade Mallin sollte das verstehen. Was er mit Sicherheit auch tut, aber in diesem Fall hat wohl doch der Zweck die Mittel geheiligt. Und ich befürchte, Nilesia hatte ihren Spaß dabei.“
Garush verzog den Mund. „Und ob sie den hatte. Viel zu sehr nach meinem Geschmack. Na ja ...“ Ein Grinsen schlich sich auf ihre Lippen. „Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als sie sich Sarin gegenüber im Ton vergriffen hat.“
„Ja, was du erzählt hast, geht eindeutig zu weit.“ Arwyl nickte zustimmend, wenngleich er nicht sehr glücklich gewirkt hatte, als sie ihm von ihres Bundmeisters Reaktion auf Nilesias Unbotmäßigkeit berichtet hatte. „Was wird Mallin mit ihr machen?“
Sie hob die Schultern. „Keine Ahnung. Und ist mir auch vollkommen egal.“
„Garush …“
„Nein, Arwyl, im Ernst, das kratzt mich nicht“, erwiderte die Amazone energisch. „Die ist selber Schuld. Ende. Es ist gut, dass Mallin sie mal ordentlich einfaltet. Diese Göre ist nicht ganz dicht.“
„Sie hatte es nicht leicht als Kind“, entgegnete der Paladin ernst. „Und sie ist eine Arbitra unseres Bundes, genau wie du.“
Garush schüttelte den Kopf. „Schlimm genug, Arwyl. Die hat sie nicht alle beisammen, und ich frage mich, warum Mallin das nicht sieht.“
„Vielleicht sieht er es ja.“ Arwyls Blick war ruhig, abgeklärt, zeigte, dass er sich diese Frage auch schon mehrfach gestellt hatte. Doch seine Antwort überraschte sie und sie sah ihn fragend an. „Mallin ist oft schroff und extrem direkt“, erklärte er. „Er mag es gerne unverschnörkelt und er ist sehr kompromisslos. Aber er ist kein Narr. Ich bin sehr sicher, dass er genau versteht, was in Nilesia steckt. Das Gefährliche, aber vielleicht auch ein Potenzial, das er ans Licht bringen will.“
Garush musterte den Paladin zweifelnd. „Soll das etwa heißen … dass du ihn verstehst?“
„Das habe ich nicht gesagt.“ Arwyl lächelte, allerdings mit einem Anflug von Resignation. „Ich sage nur, dass er ganz gewiss seine Gründe hat, auch wenn wir sie nicht verstehen mögen.“
„Hm.“ Sie nickte widerwillig. „Ja, das mag schon sein. Und er ist unser Bundmeister, also steht es uns nicht zu, seine Entscheidungen anzuzweifeln. Auch wenn es mir in diesem speziellen Fall … nicht ganz leicht fällt.“
„Kann ich sehr gut nachvollziehen“, erwiderte Arwyl mit einem leichten Schmunzeln. „Und? Was hast du nun vor?“
Sie hob die Brauen. „Was sollte ich denn vorhaben?“
„Komm schon, mir kannst du nichts vormachen“, entgegnete er lachend. „Dafür kenne ich dich zu gut. Das, was heute geschehen ist, treibt dich um. Und das ist ein Gefühl, das du nicht magst. Deswegen möchtest du etwas unternehmen. Was schwebt dir vor?“
Verdammt, er kannte sie leider wirklich zu gut. Natürlich hatte er Recht, sie konnte und wollte die Sache nicht so stehen lassen.
„Na ja.“ Sie hob die Schultern. „Ich würde mich gerne noch einmal mit den anderen unterhalten. Auch wenn dieser etwas anstrengende Sinnsat dabei ist. Aber die Gläubige und die Verlorene waren recht zugänglich. Und auch, wenn der Dickschädel sich sicher – und zu Recht – in seiner Ehre angegriffen fühlt, das Harmonium ist immerhin ein verbündeter Bund. Ich habe die Hoffnung, dass er diese Allianz respektiert. Vielleicht lässt sich nach dem schlechten Start heute ja doch noch etwas erreichen.“
Arwyl nickte nachdenklich. „Du willst also auf sie zugehen? Sie zu einem Gespräch bitten?“
„Ich denke, ja.“ Die Amazone erhob sich. „Aber natürlich muss ich das vorher mit Mallin abklären. Sobald er das Gespräch mit Sarin beendet hat, werde ich ihn fragen, ob ich das tun darf.“
„Wahrscheinlich ein guter Ansatz“, stimmte der Paladin ihr zu. „Krieg dich nicht mit dem Sinnsaten in die Haare. Du weißt schon, immer schön ruhig bleiben.“
Er grinste bei diesen Worten etwas und sie fletschte die Hauer. „Wird sicher nicht leicht. Aber ich versuch's.“
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gespielt am 12. September 2012
Kiyoshi bewachte Silberfeder, da sein Spieler an diesem Abend früher weg musste.





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