Gebrochene Herzen sind Diebesgut.“

Arboreanisches Sprichwort

 


 

Dritter Untertag von Savorus, 126 HR

Amariel hatte wie immer zwei Stunden nach dem Ersten Licht Sarins Büro betreten. Untypisch für ihn war der Bundmeister noch nicht da gewesen und hatte erst fünf Minuten nach ihrer Ankunft das Büro über den Zugang zu seinen privaten Gemächern betreten. Er hatte sich für die Verspätung entschuldigt und gesagt, er müsse noch kurz etwas mit seinen Kindern klären. Durch die halb geöffnete Tür hatte Amariel zwei Mädchenstimmen gehört, die sich auf Celestisch um ein Stoff-Einhorn stritten. Es hatte sich wohl um Amarys und Harika gehandelt, Sarins dritte und vierte Tochter. Amariel hatte geschmunzelt und erwidert, dass er sich alle Zeit der Welt nehmen solle, woraufhin er gebrummt hatte, das könne den beiden so passen. Dann hatte er die Tür wieder hinter sich geschlossen und die Kinderstimmen waren verstummt. Inzwischen kannte Amariel Namen und Alter aller Kinder von Sarin und Faith, aber sie hatte eine Weile gebraucht, sie sich zu merken. Es waren ihrer immerhin neun plus Yaëlla, welche das Bundmeisterpaar bald adoptieren würde. Sie hatte ihren Bruder Killeen einmal gefragt, warum Sarin und Faith so viele Kinder hatten, deutlich mehr als es für menschliche Paare in Sigil üblich war. Er hatte ihr erklärt, dass dies an der Herkunft von Faiths Mutter aus dem Reich der Göttin Nechbet lag. Sie war auch unter dem Namen Eileithyia bekannt, eine Göttin der Geburt und der werdenden Mütter. In ihrem Reich, in Heliopolis auf der Arcadischen Subebene Buxenus, war es üblich, dass Paare so viele Kinder bekamen und Faith hatte diese Tradition ebenso wie ihre Geschwister weitergeführt. Amariel hatte es immer spannend gefunden, dass die auf Arcadia ansässige Nechbet unter dem Namen Eileithyia auch Teil des Olympischen Pantheons war und somit ebenfalls ein Reich auf Arborea hatte. Die Gründe, warum sie eine zutiefst rechtschaffene wie auch eine sehr chaotische Obere Ebene abdeckte, wurden unter Gelehrten viel diskutiert. Da Amariel Sarin und somit auch seiner Familie inzwischen näher stand, hatte sie sich kürzlich getraut, Faith nach ihrer Meinung dazu zu fragen. Diese hatte eingeräumt, sich diese Frage natürlich auch schon gestellt zu haben. Letztlich war sie dazu gelangt, es als ein Symbol dafür zu sehen, dass eine gut gesinnte Göttin der Geburt für alle Frauen da war, ungeachtet der Tatsache, ob sie sich Regeln und Gesetzen stark oder gar nicht verpflichtet fühlten. Und zwar egal, ob sie nun Nechbet oder Eileithyia war. Dies hatte Amariel eingeleuchtet und sie empfand es als eine positive und einladende Sichtweise. Während sie wartete, ging sie einige Male im Büro hin und her und blieb schließlich vor einer Karte von Iironda stehen. Sarins Heimatland auf Ortho, wie sie wusste. Sie hatte sich oft gefragt, wie es dort wohl sein mochte. Sie wusste ein paar grundsätzliche Dinge, die sie in einer Enzyklopädie über die Geographie und die Kulturen von Ortho gelesen hatte. Doch sie war sicher, dass nur jemand, der von einem Ort stammte oder lange dort lebte, die Essenz eines Reiches oder einer Welt wirklich beschreiben konnte. Allerdings wusste sie auch, dass Sarins Verhältnis zur Heimatwelt angespannt war und versuchte daher, Ortho nicht zu thematisieren, wenn nicht unbedingt nötig. Sie zuckte ein wenig zusammen, als die Tür zu Sarins Privatgemächern ins Schloss fiel, weil der Bundmeister zurückgekehrt war. Rasch drehte sie sich um, doch der Paladin hatte natürlich bemerkt, dass sie die Karte von Iironda betrachtet hatte.

„Ihr interessiert Euch für meine Heimat, Dekuria?“ Er hatte die rechte Augenbraue bei der Frage ein wenig gehoben, doch wirkte er nicht verstimmt darüber – vielleicht eher ein wenig erstaunt.

„Ich … nein, Herr. Ich meine, ja doch, aber es ist nur ...“ Als sie bemerkte, dass sie sich in ihren Worten verhedderte, biss sie sich auf die Lippen. Sie räusperte sich entschuldigend und setzte erneut an. „Wie Ihr sagt, es ist Eure Heimat, Bundmeister. Daher habe ich mich gefragt, wie es dort wohl ist. Und ob Ihr … nun ja, ob Ihr es manchmal vermisst.“

Es war das erste Mal, dass sie sich traute, ihm eine so persönliche Frage zu stellen und ihr Herz schlug ein wenig schneller in der Furcht, er könnte Anstoß daran nehmen.

Doch zu ihrer Erleichterung lächelte er. „Ja, manchmal“, antwortete er offen. „Obgleich ich vieles an Ortho nicht vermisse, meine Heimat Iironda fehlt mir hin und wieder. Vielleicht wollt Ihr mich begleiten, wenn das nächste Mal eine Sitzung der Oktade ansteht. Dann zeige ich Euch die Hauptstadt Han.“

Natürlich war es als seine Adjutantin ihre Aufgabe, ihn auf Reisen zu offiziellen Angelegenheiten zu begleiten - und doch versetzte der Gedanke sie in eine gewisse Aufregung. Sie seufzte innerlich. Und da hatte sie angenommen, ihre Gefühle inzwischen besser im Griff zu haben. Was für eine Närrin sie doch auch war. Doch es gelang ihr, zu nicken und zu lächeln, als wäre es keine große Sache „Sehr gerne, Bundmeister“, antwortete sie. „Das würde mich freuen.“

Wie immer machte er nicht den Eindruck, ihre kleinen, inneren Kämpfe in irgendeiner Weise zu bemerken, sondern nahm hinter seinem Schreibtisch Platz, um die Angelegenheiten des Tages mit ihr zu besprechen.

Sie zog sich einen Stuhl heran, setzte sich ihm gegenüber und strich einmal mit der Hand über den Stapel Papiere, den sie vorbereitet hatte. „Wir haben hier einmal Berichte über ein Portal im Marktbezirk, das zu vielen unbeabsichtigten Durchschreitungen führt“, erklärte sie. „Das liegt zum einen an der Positionierung im Nebeneingang eines Cafés und zum anderen an dem sehr verbreiteten Schlüssel – dem Appetit auf Celestische Zimtbrötchen.“ Sie grinste kurz und als sie aufblickte, erkannte sie, dass auch ihr Bundmeister ein wenig schmunzeln musste.

„Ich verstehe“, erwiderte er. „Wurde das Portal schon untersucht bezüglich Art und Zielort?“

„In der Tat, Bundmeister.“ Sie nickte. „Ein Portal-Analytiker der Herrschner hat festgestellt, dass der Zielort trotz des himmlisch konnotierten Schlüssels leider die Torstadt Rippenschrein ist, also eine eher ungemütliche Umgebung. Zum Glück handelt es sich aber um ein Einweg-Portal und es ist auch temporär. Der mit dem Fall betraute Magier vermutet, dass es noch längstens zwei Wochen bestehen bleibt.“

Sarin machte sich eine kurze Notiz. „Gut, dann reicht es wohl aus, den Bereich für diese Zeitspanne abzusperren und ein Warnschild aufzustellen. Wer dann trotzdem unbedingt durch will, darf das natürlich. Wir wollen uns ja nicht nachsagen lassen, willkürlich ein Portal zu blockieren.“

„Sehr wohl, Bundmeister.“ Amariel grinste erneut, während sie den Punkt auf ihrer Liste abhakte und vermerkte, eine Patrouille abzustellen. Natürlich, würden sie nichts tun, hieße es, das Harmonium würde die Bürger Sigils nicht schützen. Und sperrten sie ein solches Gebiet ab, war immer mindestens ein Dussel zur Stelle, der ihnen die Blockade von Portalen vorwarf. Das übliche Gerangel in der Stadt der Türen. Sie legte das Blatt mit dem Bericht nach unten und blickte auf das nächste. „Ah ja, diese Sache. Es gibt neue Hinweise auf einen Schmuggler-Ring, der Chaos-Materie aus dem Limbus nach Sigil bringt, ohne diese anzumelden und zu verzollen. Es scheint tatsächlich etwas dran zu sein an den Gerüchten.“

Sarin schüttelte seufzend den Kopf. „Ich verstehe wirklich nicht, was die Leute immer alle mit Chaos-Materie wollen. Aber bitte, so lange sie sie legal erwerben und einsetzen, sei es ihnen unbenommen. Da das hier jedoch nicht der Fall zu sein scheint, sollten wir der Sache nachgehen. Ich werde Dekurio Aranis Verûsa darauf ansetzen, er hat ein gutes Händchen für solche Dinge.“

Amariel hakte den Punkt ab und sah auf den nächsten Bogen. „Ah, das ist interessant, Bundmeister. Es gibt in zwei Tagen eine Auktion im Kuratorenbezirk, bei der einige interessante magische Artefakte versteigert werden. Es würde sich vielleicht lohnen, jemanden hinzuschicken und ein paar der Gegenstände für das Harmonium zu erwerben.“

„Auf jeden Fall.“ Sarin nickte. „Das soll Präfekt Feuerherz machen - dann traut sich die Hälfte der Leute gar nicht mehr zu bieten.“

Amariel musste herzlich lachen bei dieser Bemerkung. Tatsächlich war der Leonin Runako Feuerherz stets ein sehr beeindruckender Anblick, wenn er in Plattenrüstung und mit seiner vollen Mähne auf der Bildfläche erschien. „Eine wohl kalkulierte Entscheidung, Bundmeister“, erwiderte sie.

Der Paladin schmunzelte ein wenig. „Nun, ein jeder sollte entsprechend seiner Talente handeln. Präfekt Feuerherz hat derer viele, und das Einschüchtern von Personen durch seine bloße Präsenz gehört nun einmal definitiv dazu.“

„Es ist notiert, Herr“, erwiderte die Halbelfe erheitert. „Ich werde dem Präfekten Ort und Zeit zukommen lassen. Gibt es ein bestimmtes Budget?“

„Das soll er selbst entscheiden“, meinte Sarin. „Er hat genug Erfahrung in diesen Dingen.“

Amariel nickte. Das war einer der Gründe, warum Sarin so beliebt bei seinen Leuten war: Weil er ihnen wirkliches Vertrauen entgegen brachte anstatt sie ständig zu überwachen und zu kontrollieren. Dass dieses Vertrauen bisher nicht enttäuscht worden war, sprach für seine Haltung, auch wenn nicht alle Bundmeister in der Vergangenheit dies ebenso gesehen hatten. Zeiten, die zum Glück hinter ihnen lagen. So legte die Halbelfe auch dieses Blatt nach unten und sah auf den nächsten Bericht. „Ah ja, hier geht es um den Schatten-Diebstahl.“

Sarin hob die Brauen. „Um was bitte?“

„Ja, Ihr habt richtig gehört, Bundmeister.“ Amariel studierte die kurze Meldung nochmals. „Es gab vermehrte Berichte über gestohlene Schatten im Kuratorenbezirk. Die betroffenen Bürger gaben an, dass ihre Schatten auf mysteriöse Weise verschwanden, oft mitten am Tag und ohne dass sie es sofort bemerkten. Die Opfer fühlten sich nach dem Verlust ihres Schattens seltsam unvollständig und klagten über ein Gefühl der Leere.“

Sarin setzte sich in seinem Stuhl auf und hob alarmiert die Brauen. „Das geht über lästige, aber gewöhnliche Verbrechen wie Schmuggel, Vandalismus oder Körperverletzung hinaus. Es könnte sich um eine ernste und gefährliche Angelegenheit handeln. Gibt es ein Muster bei den Taten?“

„Möglicherweise, Herr“, erwiderte Amariel. „Die Diebstähle konzentrieren sich bisher auf den Kuratorenbezirk, insbesondere auf Gebiete nahe der Halle der Aufzeichnungen und der Halle der Redner. Bisher sind hauptsächlich Bürokraten und Schreiber betroffen, die Mitglieder der Zeichner oder des Prädestinats sind. Entweder aufgrund der örtlichen Nähe zu deren Bundhauptquartieren oder die Taten häufen sich dort, weil diese Bünde vorrangige Ziele sind.“

„Großartig“, knurrte Sarin. „Da wird bald Rowan Dunkelwald bei mir auf der Matte stehen. Der hat mir gerade noch gefehlt. Darf ich mal sehen?“

Er streckte die Hand nach dem Bericht aus und Amariel reichte das Blatt über den Schreibtisch hinweg an ihn weiter. Während er sich die Einzelheiten genauer durchlas, verfinsterte sein Blick sich zusehends. „Art und Weise, wie die Schatten gestohlen werden noch unklar … Zeugen erwähnen flüchtige Bewegungen … kalter Windhauch. Mhm … Opfer berichten von erhöhter Anfälligkeit gegen negative Energie …“ Er ließ das Blatt Papier sinken und seufzte. „Das klingt ernst.“

Amariel nickte. „Das stimmt leider, Bundmeister. Es gibt Gerüchte, dass eine Gruppe von Wesen aus der Schattenebene dafür verantwortlich ist. Andere vermuten einen Kult dahinter, der die Schatten für ein dunkles Ritual sammelt. Aber im Grunde weiß man nichts Konkretes.“

„Also schön.“ Sarin legte den Bericht ab, auf einen Stapel, von dem Amariel inzwischen wusste, dass dort die dringlichen Angelegenheiten landeten. „Dekurio Nallart soll der Sache mit ein paar Leuten nachgehen. Er soll aber erst einmal nur Informationen sammeln und kein persönliches Risiko eingehen! Wenn er mehr herausfindet, soll er sich für einen möglichen Zugriff eine Gruppe von speziell für die Umstände ausgebildeten Experten holen. Möglicherweise komme ich auch selber mit. Und er soll direkt an mich berichten.“

Amariel nickte und machte sich eine Notiz dazu. Das war ein weiterer Grund für Sarins Beliebtheit im Bund: Er versteckte sich nicht hinter seinem Schreibtisch, sondern leitete gefährliche Einsätze noch selbst. Sie wusste, dass seine Legaten – Tonat Shar und ihr älterer Bruder Killeen Caine – dies gespalten sahen. Zum einen schätzten sie diese Einstellung ihres alten Freundes, zum anderen hatten sie auch Bedenken, dass ein solcher Einsatz ihm eines Tages zum Verhängnis werden mochte und das Harmonium einen seiner beliebtesten Bundmeister verlieren könnte. Sarin hatte ihre Einwände zu Kenntnis genommen – und verworfen. Er hatte gesagt, der Tag, an dem er sich nicht mehr in die gefährlicheren Ecken Sigils traue, sei der Tag, an dem er zurücktreten sollte. Tonat und Killeen hatten es hingenommen – mit einem Lächeln, das deutlich gemacht hatte, sie hatten tief in ihrem Inneren auf diese Antwort gehofft. Das war schon einige Jahre her, Amariel war damals noch nicht Sarins Adjutantin gewesen, sondern eine einfache Triaria und nur ihres Bruders wegen bei diesem Gespräch dabei. Aber sie erinnerte sich genau, dass sie Sarins Haltung damals ebenso zugestimmt hatte wie heute.

Sie bemühte sich jedoch, nicht gedanklich abzuschweifen und zog nun einen Briefumschlag hervor, den sie Sarin reichte. „Dies, Bundmeister, ist ein an Euch persönlich gerichtetes Schreiben der Gesellschaft der Empfindung.“

Einmal mehr hob er die Brauen. „Ist das so?“ Er beugte sich vor, um den Umschlag entgegen zu nehmen, öffnete ihn und las das innen liegende Schreiben.

Amariel erkannte eine elegante, geschwungene Handschrift und konnte offenbar eine gewisse Neugier nicht verbergen, denn Sarin warf ihr einen vielsagenden Blick zu. „Es handelt sich um eine Einladung zu einem Bankett, ausgerichtet von den Sinnsaten, um die kulinarischen Delikatessen verschiedener Ebenen zu probieren. Und da es sich um eine Einladung von Lady Erin persönlich handelt, muss ich da wohl auch persönlich hingehen.“

Amariel konnte ein Schmunzeln nicht ganz unterdrücken. Ihr war natürlich schon aufgefallen, dass die Bundmeisterin der Sinnsaten den Kontakt zu Sarin intensiviert hatte, seit ihre beiden Bünde durch eine gemeinsame Allianz bezüglich der Prophezeiung verbunden waren. „Lasst mich raten“, sagte sie. „Ihr sollt Eure Frau und vielleicht auch Eure älteren Kinder mitbringen.“

Er legte den Brief vor sich ab und musterte seine Adjutantin, nicht ohne eine gewisse Erheiterung. „Ah, ich sehe, Ihr wisst inzwischen auch schon, wie dieses Spiel gespielt wird. Also schön, ich gehe hin und frage auch Faith, ob sie mich begleitet. Marinda, Yaëlla, Sirian und Sanya dürfen ebenso mitkommen, wenn sie möchten – die Mädchen wollen mit Sicherheit. Bitte übermittelt Lady Erin, dass ich der Einladung nachkomme und vergesst nicht zu betonen, dass es natürlich mit Freuden geschieht.“ Eine gewisse Selbstironie schwang nun unüberhörbar in seiner Stimme mit.

Als Amariel nickte und eine entsprechende Notiz gemacht hatte, schien ihm noch etwas einzufallen. „Aber ich will nicht, dass meine Tochter Sanya wieder neben einer Zombie-Prinzessin sitzt. Sie ist immerhin erst dreizehn. Schreibt das bitte in aller gebotenen Höflichkeit dazu.“

Die Halbelfe hatte Mühe, sich ein Grinsen zu verkneifen und nickte ernsthaft. „Jawohl, Bundmeister, ich werde es anmerken.“ Sie erweiterte ihre Notiz, dann hielt sie inne, ehe sie zum nächsten Schriftstück überging.

Sarin bemerkte natürlich sofort, dass etwas sie beschäftigte. „Stimmt etwas nicht, Dekuria?“

„Ähm, nein, Herr, alles ist gut. Ich habe nur ...“ Sie räusperte sich. „Ich habe mich gefragt, ob Ihr schon mit Bundmeister Mallin über … über die Sache gesprochen habt?“

Er lächelte ein wenig, wenn auch eher ernst als erheitert. „Dekuria, ich habe Euch aus gutem Grund in diese Sache eingeweiht. Ihr dürft das Wort Prophezeiung ruhig aussprechen.“

„Natürlich, Bundmeister, Verzeihung.“ Sie nickte. „Habt Ihr schon mit Mallin über die Prophezeiung gesprochen?“

„Noch nicht“, erwiderte er knapp. Dann musterte er sie einen Moment und lehnte sich zurück. „Nur zu.“

Sie sah ihn fragend an „Bundmeister?“

„Ihr wolltet etwas dazu sagen.“

Manchmal verfluchte sie seine Menschenkenntnis. Bis auf die Tatsache, dass er nicht bemerkte, dass sie in ihn verliebt war, vermochte er sie oft zu lesen wie ein Buch. Sie schüttelte entschuldigend den Kopf. „Das steht mir nicht zu, Bundmeister.“

„Aber ich möchte Eure Meinung dazu hören“, ermutigte er sie. „Was wolltet Ihr sagen?“

Sie seufzte, zögerte kurz und gab sich dann einen Ruck. „Ich wollte sagen, dass ich verstehe, warum das ein schwieriges Thema ist, angesichts Eurer … unserer derzeitigen bundpolitischen Allianzen. Ich denke aber, dass … Ihr dennoch mit Mallin sprechen solltet. Ich befürchte, es könnte sonst Verstimmungen zwischen dem Harmonium und den Gnadentötern geben. Und das wäre ungut, Herr.“ Sie hielt den Atem an, in der Befürchtung, doch zu direkt gewesen zu sein.

Er aber nickte ernst und starrte nachdenklich auf die vor ihm liegenden Dokumente. „Das ist genau das, was auch meine beiden Legaten gesagt haben.“

Sie lächelte erleichtert. „Ich freue mich, mit beiden Legaten des Bundmeisters einer Meinung zu sein. Und was denkt der Bundmeister selber darüber?“

„Dem Bundmeister ist leider bewusst, dass seine Legaten und seine Adjutantin Recht haben.“ Sarin warf einen unerfreuten Blick auf die Einladung zu dem Sinnsaten-Bankett. „Mit Ambar und Terrance lässt sich dahingehend reden und Rhys ist der Sache gegenüber sowieso aufgeschlossen. Lady Erin ist das Problem.“

Amariel nickte ernst. „Bund-philosophisch gesehen ist das nachvollziehbar. Aber ich bin sicher, sie weiß auch, dass das Harmonium ein wichtiger Verbündeter ist. Und den wird sie nicht verlieren wollen.“

Sarin blickte sie an, vielleicht ein wenig überrascht über ihre Direktheit. Er wollte gerade etwas erwidern, da klopfte es an der Tür, die zum Gang führte. Mit einem Stirnrunzeln gab er die Erlaubnis zum Eintreten.

Die wachhabende Triaria, eine blonde Zwergin, trat ein und salutierte. „Es tut mir leid, dass ich störe, Herr. Aber hier ist ein Paladin des Lathander und Faktotum der Kryptisten. Sie sagt, ihr Name sei Lady Morânia von Wolkenfels. Sie sei soeben von einer Mission im Elysium zurückgekehrt und es sei sehr wichtig, dass sie Euch umgehend sprechen kann.“

Amariel warf Sarin einen raschen Blick zu und erkannte, dass der Bundmeister ihre Beunruhigung teilte. Warum war Lady Morânia und nicht Kiyoshi hier, um Bericht zu erstatten? Etwas Unerwartetes musste vorgefallen sein – im besten Fall. Im schlimmsten … Sarin nickte knapp und gab der Zwergin ein Zeichen, Morânia vorzulassen. Amariel hoffte inständig, dass im Elysium nichts Schreckliches geschehen war …

 

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Dies ist das letzte Kapitel von "Der Deva Funke", dem zweiten Abenteuer, das ich mit meiner Gruppe im Rahmen unserer Kampagne "Schatten von Sigil" gespielt habe, vom 22. Mai bis 7. September 2012.

Der dritte Teil ist "Dunkle Vorzeichen".

 

 

 

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