„Galgenhumor? Das ist, wenn du morgens gehängt wirst, aber dein Besuch am Nachmittag kommt.“
so gehört im Speisesaal des Gefängnisses
Dritter Untertag von Savorus, 126 HR
Sarin spürte, wie ihm leichter Sprühregen ins Gesicht schlug, als er auf dem Rücken der Greifendame Silberfeder über den Himmel von Sigil dahinjagte. Er befand sich auf dem Weg zum Gefängnis und wie meist, wenn es ihm eilig war, hatte er sich für den Luftweg entschieden. Während des Fluges ließ er noch einmal Revue passieren, was Lady Morânia ihm erzählt hatte. Die Gruppe war aus dem Elysium zurückgekehrt, durch dasselbe Portal, durch das sie dorthin gereist waren, also waren sie im Großen Gymnasium wieder herausgekommen. Natürlich hatten sie alle ihren Bundmeistern über die Ereignisse berichten wollen – außer Sgillin, der ja keinem Bund angehörte. Der Halbelf hatte sich daher erst einmal eine Taverne im Marktbezirk gesucht, um etwas zu trinken, idealerweise in Gesellschaft. Die anderen hatten das Große Gymnasium verlassen, einschließlich Morânia, da Rhys nicht zugegen gewesen war. Nicht unweit des Hauptquartiers der Kryptisten war die Gruppe dann von mehreren Gnadentötern abgefangen worden, darunter Mallins Protegé Alisohn Nilesia und eine halborkische Amazone mit dem Namen Garush. Dieser Name war Sarin insofern vertraut, als er im Zuge der Stockwürgermorde gefallen war. Die Erleuchtete Toranna, die den Bund der Staubmenschen unterwandert hatte, hatte damals angegeben, eine Halborkin dieses Namens habe sie zum Verbleib von Eliath befragt. In der kleineren Straße, in der die Begegnung stattgefunden hatte, waren zu diesem Zeitpunkt wohl ohnehin wenige Personen unterwegs gewesen, und es waren schnell auch noch deutlich weniger geworden, als die Gnadentöter dort aufmarschiert waren. Nilesia hatte der Gruppe der Erwählten auf herrische und zugleich höhnische Art dargelegt, dass Bundmeister Mallin sie zu sprechen wünschte. Sarin hatte die junge, erst siebzehn Jahre alte Frau schon ein paarmal persönlich erlebt, wenn sie Mallin begleitet hatte. Und obgleich sie in diesen Momenten, in seiner Gegenwart oder der anderer Bundmeister, gewiss zurückhaltender gewesen war, so konnte der Paladin sich dennoch lebhaft vorstellen, welche Haltung sie den Erwählten gegenüber an den Tag gelegt hatte. Laut Morânias Beschreibung war Garush höflicher und zurückhaltender gewesen und hatte den Eindruck vermittelt, dass der ganze Auftritt ihr im Gegensatz zu Nilesia eher unangenehm war. Als die Erwählten sich geweigert hatten, die Gnadentöter einfach so ins Gefängnis zu begleiten, um Bundmeister Mallin zu sprechen, hatten Garush und Nilesia die Aufforderung wiederholt, die eine sachlicher, die andere unbeherrschter. Dabei war es auch zu einem kurzen Wortwechsel zwischen Nilesia und Garush gekommen, da die beiden Frauen sich offenbar über Art und Weise des Vorgehens nicht einig gewesen waren. Allerdings hatte Alisohn eingeräumt, dass Mallin Lady Morânia in Bezug auf die Vorladung nicht erwähnt hatte und es ihr somit frei stünde, zu gehen. Die Kryptistin hatte diese Chance genutzt, um sich von der Gruppe zu entfernen und sich direkt auf den Weg zur Kaserne zu machen, um ihn persönlich über die Vorgänge in Kenntnis zu setzen. Allerdings hatte sie noch beobachten können, wie die Gnadentöter die Erwählten mit Waffengewalt zwangen, ihnen zu folgen. Es hatte sich offenbar um sehr gut ausgebildete und kampfstarke Mitglieder des Bundes gehandelt, Mallin hatte in der Sache wohl sichergehen wollen. Ebenso hatte Morânia noch gesehen, dass sein Soldat Kiyoshi angedroht hatte, sich selbst das Leben zu nehmen, sollten die Gnadentöter nicht von der Gruppe ablassen. Dies war offenbar von Garush verhindert worden, die sich – laut Lady Morânia – unnatürlich schnell bewegt und Kiyoshi somit von der Tat abgehalten hatte. Sarin seufzte bei sich. Wieder ein Punkt, den er mit seinem Neuzugang würde besprechen müssen. Ehrenhafter Suizid mochte in Kiyoshis Kultur üblich, sogar erstrebenswert sein, doch im Harmonium keinesfalls eine Option.
Doch so sehr diese Anwandlung von Kiyoshi ihm auch missfiel, sein weitaus größerer Unmut richtete sich derzeit gegen seinen Kollegen Mallin. Er wusste, dass der Bundmeister der Gnadentöter und Paladin des Hoar zu Recht nicht gerade für sein Feingefühl bekannt war. Sein Umgangston konnte im besten Fall als schroff bezeichnet werden und seine Methoden waren durchaus gewöhnungsbedürftig. Aber vier Mitglieder anderer Bünde auf offener Straße unter der Androhung von Waffengewalt abzuführen, ohne dass sie sich etwas hatten zuschulden kommen lassen - das war selbst für Mallin ein starkes Stück. So hatte Sarin nach Lady Morânias Bericht nicht gezögert, sondern sich umgehend auf das Dach des Greifenturms begeben, um so schnell wie möglich das Gefängnis zu erreichen und die Sache zu klären. Er ließ Silberfeder direkt auf dem Bittsteller-Platz landen, der vor dem Hauptquartier der Gnadentöter lag. Dort wies er die Greifendame an, auf seine Rückkehr zu warten und verlangte energisch, eingelassen zu werden. Die Wächter am Tor schienen nicht überrascht von seinem Erscheinen, man hatte also wohl mit ihm gerechnet. Eine der Wachen, ein älterer Ork, führte ihn durch den Eingangssaal und einen längeren Gang, dann eine Treppe hinauf bis zu einer schweren, mit Eisenbändern verstärkten Holztür. Sarin wusste, dass sich dahinter ein Raum für Verhöre befand. Zudem brachte man dort Personen unter, von denen noch nicht klar war, ob man sie in eine der Zellen stecken oder wieder gehen lassen würde. Schon allein diese Tatsache ließ seinen Blutdruck steigen. Nicht nur, dass man die Erwählten, darunter einen Soldaten seines Bundes, widerrechtlich abgeführt hatte, man brachte sie auch noch in einem Raum unter, in dem in der Regel Kriminelle und Verbrecher saßen. Der Ork öffnete ihm die Tür und kündigte sein Eintreffen an, ehe er zur Seite ging und ihn eintreten ließ. Der Bundmeister des Harmoniums ließ rasch seinen Blick durch den Raum schweifen, um sich einen Überblick über die Situation zu verschaffen. Kiyoshi, Lereia, Naghûl und Jana saßen auf vier einzelnen Stühlen in der Mitte des Raumes, alle mit den Händen hinter dem Rücken, also offenbar gefesselt. Ihre Mienen wirkten verschlossen bis wütend, jedoch schienen sie nicht verletzt zu sein, was Sarin zumindest eine gewisse Erleichterung verschaffte. Neben der rechts am Rand sitzenden Jana stand eine halborkische Frau, die Augen schmal, die Körperhaltung offenbar angespannt. Das musste die Amazone Garush sein. Auf der linken Seite erblickte er neben Kiyoshi Alisohn Nilesia, eine sehr junge Tieflingsfrau mit kurzem, schwarzem Haar und gelben Augen. Sie schien deutlich mehr Gefallen an der Situation zu haben, denn ein zufriedenes, leicht höhnisches Lächeln lag auf ihren Lippen, während sie die Gefangenen musterte. Vor den Erwählten stand Mallin, der sich nun zu ihm umwandte. Der Bundmeister der Gnadentöter war für einen Aasimar menschlicher Abstammung sehr groß, mit über zwei Metern überragte er die meisten Menschen deutlich. Seine schwarz-rote Rüstung, die ihn noch breiter wirken ließ, als er es ohnehin war, machte ihn zu einem beeindruckenden - und auch einschüchternden - Anblick. Die Merkmale seiner celestischen Abstammung waren sehr dezent: ein fast nicht wahrnehmbarer alabasterner Schimmer seiner Haut und der goldene Glanz seiner Augen, mehr wies nicht darauf hin, dass er ein Aasimar war. Dies stand in einem merkbaren Gegensatz zu seinem sonstigen Erscheinungsbild und auch den Narben, die sich durch sein Gesicht zogen. Sein Haar war schwarz und zeigte nur wenige graue Strähnen, obgleich er die fünfzig bereits deutlich überschritten hatte. Nun musterte er seinen Kollegen vom Harmonium prüfend, aber ruhig.
„Sarin, mein Freund, das ging aber schnell.“
„Mallin“, erwiderte der Paladin und seine Stimme klang hart. „Vielleicht sollten wir uns mal unterhalten.“
Der Bundmeister der Gnadentöter blieb gelassen ob seines deutlich sichtbaren Unmuts. „Ja, Sarin, das halte ich für eine hervorragende Idee“, entgegnete er. „Also, unterhalten wir uns.“
Sein sofortiges Einlenken brachte Sarin kurz aus dem Konzept. „Hier? Jetzt sofort?“
„Aber ja“, antwortete Mallin. „Oder habt Ihr Einwände? Ich bin übrigens beeindruckt, dass Ihr so schnell hergekommen seid.“
„Hat ihm sicher die Bal'aasi gesteckt“, bemerkte Nilesia mit einer Miene, die ihr Missfallen darüber deutlich zum Ausdruck brachte.
„Meine Bal'aasi“, erklärte Naghûl, trotz der misslichen Lage mit einem stolzen Lächeln.
Darüber war Mallin offenbar noch nicht in Kenntnis gesetzt worden, denn er runzelte fragend die Stirn. „Bal'aasi?“
„Ja, Bundmeister“, antwortete Garush. „Es war eine Frau mit Hörnern und weißen Schwingen bei der Gruppe. Aber Ihr hattet sie nicht erwähnt unter denen, die wir zu Euch bringen sollten. Daher haben wir sie gehen lassen. Tut mir leid, falls das ein Fehler war.“
Sarin hatte die Amazone bei dieser Erklärung aufmerksam gemustert und konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie im Gegensatz zu Nilesia eine gewisse Erleichterung ob seiner Ankunft verspürte. Mallin nickte ihr nun knapp zu.
„Nein, schon gut, Ihr habt richtig gehandelt.“ Dann wanderte sein Blick wieder zu Sarin. „Eine Bal'aasi, hm? Interessant, was Ihr Euch alles unter den Nagel gerissen habt.“
Der Bundmeister des Harmoniums atmete einmal tief durch. Er bemühte sich sehr, seinen Unmut im Zaum zu halten, doch es fiel ihm alles andere als leicht. „Ich habe mir gar nichts unter den Nagel gerissen, wie Ihr es nennt“, erwiderte er gereizt. „Was soll das alles? Vielleicht wollt Ihr mir als erstes erklären, was bei der Dame Ihr da tut? Ihr könnt doch nicht einfach irgendjemanden willkürlich verhaften! Ihr überschreitet Eure Kompetenzen bei weitem!“
Mallins Blick wurde eine Spur härter. „Vorsicht, Sarin“, knurrte er. „Die Gesetze von Sigil besagen eindeutig und unmissverständlich, dass die Gnadentöter Verhaftungen durchführen dürfen, wenn keine Harmoniumspatrouille in der Nähe ist und eine unmittelbare Gefahr besteht.“
Sarin glaubte, sich verhört zu haben. War das wirklich Mallins Ernst? Er deutete energisch auf Kiyoshi. „Und er?!“
Auch die anderen Erwählten blickten zu dem jungen Mann und hoben die Brauen, während der Soldat selbst mit geradezu versteinerter Miene auf dem Stuhl saß und geradeaus starrte.
„Er ist wohl kaum eine Patrouille“, erwiderte Mallin trocken.
„Also, das ist doch ...“ Sarin schüttelte fassungslos den Kopf, doch ihm war klar, dass es keinen Sinn hatte, in diesem Moment mit seinem Kollegen darüber zu streiten. „Ich will lieber gar nicht wissen, warum keine unserer Patrouillen in der Nähe war. Was mich dagegen sehr interessieren würde ist, wo Ihr hier eine unmittelbare Bedrohung seht.“
Mallin deutete mit einer nachlässigen Geste zu den Erwählten. „Verdacht auf aufrührerische und umstürzlerische Aktivitäten in dieser Gruppe.“
Aus dem Augenwinkel sah Sarin, wie Lereia empört nach Luft schnappte, wohingegen Jana seltsamerweise nachdenklich den Kopf wiegte. Doch leider hatte er weder die Zeit noch die Möglichkeit zu ergründen, was diese Reaktion der Athar zu bedeuten haben mochte.
„Natürlich“, gab er Mallin säuerlich zur Antwort. „Man kann sich alles so hinbiegen, dass es für eine Verhaftung reicht.“
Auf dessen Lippen erschien ein Lächeln, das man durchaus provokant nennen konnte. „Und niemand weiß das besser als der Bundmeister des Harmoniums, oder?“
Sarin hatte keine Ahnung, was Mallin, mit dem er ansonsten eigentlich immer gut zusammengearbeitet hatte, reiten mochte, doch er spürte, wie ihm nun vor Zorn das Blut in die Schläfen stieg. „Ich verbitte mir ...“
„Nein, nicht“, fiel Mallin seinem Kollegen ins Wort. „Wollt Ihr tatsächlich behaupten, dass Ihr noch nie jemanden unter diesem Vorwand verhaftet habt, weil Ihr ihn für verdächtig hieltet, aber noch keine anderen Beweise hattet?“
„Ein Punkt für Euch“, räumte Sarin widerwillig ein. „Allerdings muss ich mich fragen, ob das hier wirklich nötig war.“ Er wandte sich nun an die Erwählten. „Seid Ihr verletzt?“
„Nicht körperlich, Bundmeister“, antwortete Lereia, wobei sie den anwesenden Gnadentötern einen finsteren Blick zuwarf.
Sarin sah aus dem Augenwinkel, wie Nilesia bei dieser Bemerkung genervt die Augen verdrehte.
„Das stimmt“, bestätigte Jana. „Aber es wäre eine Erleichterung, die Fesseln loszuwerden, Bundmeister.“
„Die jammern aber ganz schön viel“, stellte Nilesia mit einem süffisanten Grinsen fest.
Garush bedeutete ihr durch eine Geste, still zu sein und sie verstummte, wenn auch demonstrativ genervt. Sarin machte sich eine geistige Notiz, gelassener zu reagieren, wenn seine Kinder ihm auf die Nerven gingen. Deren Verhalten konnte zwar auch anstrengend sein, aber Mallins Protegé war noch einmal eine ganz andere Größenordnung. Er schenkte ihrer Bemerkung jedoch keine weitere Beachtung und wandte sich stattdessen an seinen Kollegen.
„Wäre es möglich, sie loszubinden? Das ist wirklich keine Art.“
„Meinetwegen“, knurrte Mallin. „Solange sie nicht versuchen, Dummheiten zu machen.“
Sarin konnte nicht verhindern, dass sich ein deutlich ironischer Beiklang in seine Erwiderung mischte. „Da wir doch alle zum Reden hier sind, wird bestimmt niemand Dummheiten machen.“ Er sah zu den Erwählten. „Nicht wahr?“
„Natürlich nicht, Bundmeister“, antwortete Lereia ernst.
„Zumindest nicht als erster“, fügte Naghûl mit finsterem Blick auf Nilesia hinzu.
Ein kurzes Schmunzeln auf diese Bemerkung hin konnte Sarin nicht unterdrücken. Mallin hingegen nickte Garush zu. „Na los.“
Die Halborkin zog schon den Schlüssel für die Handschellen heraus, als dem Paladin mit Blick auf seinen Soldaten noch etwas einfiel.
„Einen Moment“, bat er. „Ich muss da noch etwas klären, fürchte ich.“
Er trat zu Kiyoshi hinüber, und nun fiel ihm eine Veränderung an seinem Soldaten auf, die ihm bisher aufgrund der schlechten Lichtverhältnisse in dem Verhörraum entgangen war. Kiyoshis Augen hatten sich verändert, waren nun nicht mehr dunkel und menschlich, sondern orange-gelb mit geschlitzten Pupillen. Zudem schien die Iris nun das gesamte Auge einzunehmen - oder wahlweise nicht mehr zu existieren, und es war der Augapfel, der die orange Farbe hatte. Doch wie auch immer, er musste einen weiteren Drachenblut-Schub im Elysium gehabt haben. Zusätzlich zu den Schuppen auf seinen Handrücken und Unterarmen schlug es sich nun offensichtlich auch in seinen veränderten Augen nieder. Sarin nickte sacht, als er diese Tatsache für sich vermerkte, dann beugte er sich ein Stück zu Kiyoshi herunter.
„Soldat“, sagte er leise. „Lady Morânia hat mir von Eurem kleinen Auftritt erzählt. Ihr werdet keinerlei Versuch unternehmen, Euch umzubringen, ist das klar? Das ist ein ausdrücklicher Befehl.“
Kiyoshis Miene schien noch verschlossener zu sein als sonst. „Wie Ihr befehlt, ehrwürdiger Bundmeister Sarin-gensui“, antwortete er, dann starrte er wieder unbewegt und wortlos geradeaus.
Da Sarin den Hang seines Soldaten zum bedingungslosen Gehorsam inzwischen kannte, vertraute er darauf, dass der junge Mann sich an diesen Befehl halten würde. Daher ging er wieder beiseite und nickte Garush zu. Die Amazone trat nun hinter die Erwählten und löste nacheinander die Ketten der Handschellen. Alle bis auf Kiyoshi bedankten sich, rieben sich die Handgelenke und sahen dann wieder erwartungsvoll zu Sarin und Mallin.
Der Bundmeister der Gnadentöter nickte seinem Kollegen knapp zu. „Zufrieden?“
„Nicht wirklich“, erwiderte Sarin finster. „Aber es ist ein Anfang. Vor dem Hintergrund, dass Ihr noch immer etwas tut, das in meinen Augen ungesetzlich ist.“
Mallins goldene Augen wurden ein wenig schmaler. „Vielleicht kommen wir lieber einmal dazu, was Ihr tut, Sarin. Wie Ihr die Gesetze Sigils beugt ... oder brecht.“
„Bitte?“ Sarin hob eine Braue. „Was wollt Ihr mir vorwerfen?“
„Ach, kommt schon, nun tut doch nicht so unschuldig“, mischte sich Nilesia ein. „Ihr wisst genau, was gemeint ist, hm?“
Garush warf Nilesia einen entsetzten Blick zu, als sie so zu einem Bundmeister Sigils sprach. Ihr Tonfall musste eindeutig als unverschämt bezeichnet werden und Sarin war gleichermaßen verstimmt und überrascht über das Verhalten, das die junge Frau sich herausnahm. Er setzte bereits zu einer scharfen Erwiderung an, doch noch ehe er ein Wort sagen konnte, war Mallin bei Nilesia und packte sie im Genick. Aufgrund des beträchtlichen Größenunterschiedes zwischen den beiden zappelte sie in seinem Griff wie ein Welpe und zischte kurz – offenbar war Mallin nicht allzu sanft.
„Was fällt dir ein, auf diese Weise mit einem Bundmeister Sigils zu sprechen?“, fuhr er sie an. „Du wirst dich auf der Stelle entschuldigen!“
Sein barscher Tonfall brachte sie dazu, rasch den Blick zu senken. Sie wand sich ein wenig in seinem Griff, gab es aber schnell auf und sah dann Sarin an. „Ich ... entschuldige mich für meine Respektlosigkeit, Bundmeister. Tut mir leid.“
Doch ihr Tonfall klang eher trotzig als reuevoll, und Mallins goldene Augen glommen gefährlich auf.
„Unter einer förmlichen Entschuldigung bei einem Bundmeister verstehe ich etwas anderes, Alisohn“, grollte er.
Er setzte Nilesia einen Absatz in die Kniekehle und drückte nach vorn, während er sie weiterhin im Nacken festhielt. Sie knickte sofort ein, so dass sie hart mit den Knien auf den Steinboden prallte. Trotz ihrer Unverschämtheit war Sarin nicht besonders glücklich über die Szene. Eine Entschuldigung ihrerseits war gewiss angebracht, jedoch die Art und Weise, in der sie hier gerade erzwungen wurde, behagte dem Paladin nicht.
„Mallin, das ist nicht nötig", bemerkte er daher beschwichtigend.
Der Bundmeister der Gnadentöter drückte Nilesias Kopf nach unten, bis auch ihre Hände den Steinboden berührten. Erst dann ließ er sie los. „Und ob es das ist. Sie hat zu lernen, wo ihr Platz ist. Und dass sie mit so etwas nicht davonkommt.“ Er versetzte ihr einen harten Schlag gegen die Schulter. „Na los!“
„Autsch“, entfuhr es der jungen Tieflingsfrau. Sie knirschte mit den Zähnen, senkte den Kopf dann aber freiwillig noch ein Stück, als sie Sarin ansprach. „Bitte ... bitte verzeiht mir meine respektlosen Worte, Bundmeister Sarin. Ein ... solches Verhalten stand mir in keiner Weise zu, daher bitte ich Euch ... demütig und inständig um Vergebung, Herr.“
Sarin atmete tief durch. Die Szene war ihm mehr als unangenehm, wenngleich ein kurzer Seitenblick zu den Erwählten ihm zumindest in Naghûls Blick eine deutliche Schadenfreude offenbarte. Die er dem Tiefling nicht völlig verdenken konnte angesichts dessen, was die Gnadentöter sich gerade herausgenommen hatten. Aber dennoch war dies kein Auftritt nach seinem Geschmack. So nickte er Nilesia rasch zu. „Es ist verziehen. Ganz so dramatisch war es ja auch wieder nicht.“
„Gut“, knurrte Mallin. „Du kannst aufstehen, Alisohn. Raus mit dir, geh in dein Quartier.“
Als sie aufstand, konnte man sehen, dass sie sich mit ihren spitzen Eckzähnen die Lippen blutig gebissen hatte. Sie nickte knapp gen Mallin und verließ dann rasch, aber hoch aufgerichtet den Raum, mit einem trotzigen Ausdruck in den Augen.
„Ich entschuldige mich für diesen Zwischenfall, Sarin“, wandte Mallin sich wieder an den Bundmeister des Harmoniums. „Nilesia ist jung und wild, es ist nicht immer leicht, sie im Zaum zu halten. Aber ich werde sie natürlich dafür bestrafen. Und ich versichere Euch, ich werde nicht zu sanft dabei sein.“
Seine Worte verursachten Sarin ein ungutes Gefühl in der Magengegend. „Das glaube ich Euch aufs Wort“, erwiderte er. „Ich ... kenne Eure Bestrafungen.“
Unerfreuliche Erinnerungen wurden in ihm wach, und auf Mallins Lippen trat ein vielsagendes Lächeln. „Mhm. Ist eine Weile her.“
„Dennoch unvergessen“, antwortete Sarin und senkte dabei kurz den Blick.
Mallins Lächeln war schwer zu deuten, als er antwortete. „Gut.“
Doch Sarin schob die unerwünschten Gedanken beiseite und sah ihm bereits wieder fest in die Augen. „Kommen wir doch zurück zu dem, was Ihr mir vorwerft. Was eigentlich?“
Mallins Blick verfinsterte sich wieder ein wenig. „Zum Beispiel, dass Ihr vier Personen in der Kaserne festhaltet, die eindeutig geäußert haben, einem anderen Bund beitreten zu wollen und denen man nichts vorwirft oder vorwerfen kann. Einer von ihnen ist ein Halbork namens Alvion, der den Gnadentötern beitreten will. Ihr habt kein Recht, Anwärter anderer Bünde einfach von diesen fernzuhalten.“
Nun hatte er ihn kalt erwischt, so ungern Sarin sich das eingestand. Woher nur konnte Mallin das wissen? Mit einem alarmierten Blick wandte er sich an die Erwählten. „Habt Ihr etwa …?“
Doch diese wirkten ebenso aufrichtig überrascht. Sogar in Kiyoshis steinerner Miene lag ein Funken der Ungläubigkeit.
„Kein Wort“, versicherte Naghûl.
Sarin blickte wieder zu Mallin. „Woher wisst Ihr das?“
„Das spielt keine Rolle“, entgegnete der Bundmeister der Gnadentöter knapp. „Wir können aber gerne zu Hashkar gehen und von ihm klären lassen, wer von uns beiden sich weiter jenseits des Gesetzes bewegt.“
Sarin vergrub kurz das Gesicht in den Händen und seufzte tief. „Mallin ... bitte. Wir haben doch immer gut zusammengearbeitet. Warum seid Ihr denn jetzt so unversöhnlich?“
„Weil ich dreimal versucht habe, mit Euch zu reden, Sarin!“ In Mallins Stimme war eine gewisse, ehrliche Verärgerung zu hören. „Und Ihr seid mir jedes Mal ausgewichen oder habt mich mit irgendwelchen Ausflüchten abgespeist. Daher habe ich mich veranlasst gesehen, zu solchen Mitteln zu greifen.“ Er deutete dabei auf die Erwählten. „Ich bin kein Mann, den man einfach stehen lässt, Sarin! Ihr habt Glück, dass Ihr seid, wer Ihr seid.“
Der Paladin merkte, wie er sich ein wenig anspannte, wie Mallins Worte ihn wachsamer und vorsichtiger machten. „Ja, vermutlich“, erwiderte er. „Aber ich bin kein Mann, der sich gerne erpressen lässt. Und das ist es, was Ihr gerade versucht.“
Mallins Tonfall wurde nun tatsächlich wieder etwas versöhnlicher. „Ich will Euch nicht erpressen, Sarin. Aber Ihr seid wieder einmal so stur, dass Ihr dem Spitznamen Eures Bundes alle Ehre macht.“
Sarin zog die Brauen zusammen, doch Mallin wandte sich nun an seine „Gäste“. „Ihr wollt wissen, warum Ihr hier seid?“
Sie nickten und der Bundmeister der Gnadentöter maß sie mit abwägendem Blick.
„Was denkt Ihr?“
Naghûl richtete sich etwas in seinem Stuhl auf. „Wenn ich die Situation richtig einschätze, Bundmeister Mallin, dann geht es darum, dass Ihr etwas wisst und Bundmeister Sarin hier haben wolltet, um darüber zu sprechen.“
„Und wir sind das Druckmittel“, ergänzte Lereia.
„Ja, gut erkannt.“ Mallin nickte. „Ich hatte gehofft, dass Sarin hier aufschlägt und endlich den Mund aufmacht, wenn ich Euch hierher einlade. Dennoch gebe ich zu, dass meine Vorgehensweise etwas schroff war. Ich gehe daher einen Schritt auf Euch zu, indem ich mich für diesen Vorfall entschuldige.“
Während Jana und Kiyoshi stoisch geradeaus sahen und nichts erwiderten, nickte Lereia leicht. „Danke“, sagte sie. „Ich nehme die Entschuldigung an, möchte aber dennoch festhalten, dass ich mich gekränkt fühle und verärgert bin über die Art, wie wir oft behandelt werden.“
„Ich weiß nicht, was oft geschieht“, versetzte Mallin knurrig. „Für dieses Mal jedoch verstehe ich Eure Verstimmung.“ Er deutete ein kurzes Neigen des Kopfes an.
Auch Naghûl nickte gemessen. „Danke für Eure Entschuldigung.“
Sarin verschränkte die Arme und musterte Mallin finster, der sich daraufhin wieder ihm zuwandte und knapp vor ihm verneigte.
„Das gilt natürlich auch für Euch“, erklärte der Paladin des Hoar. „Ich bitte um Verzeihung, Bundmeister Sarin, und ich werde Euch zu gegebener Zeit dafür entgegenkommen. Ich schulde Euch hiermit einen Gefallen.“
Sarin nickte langsam, musterte Mallin aber abschätzend, in der Erwartung, dass dies noch nicht alles war. Tatsächlich fuhr sein Kollege fort.
„Und im Gegenzug, mein Freund, dürft Ihr jetzt mir ein wenig Abbitte leisten.“ Noch ehe der Bundmeister des Harmoniums etwas erwidern konnte, trat ein winziges Lächeln auf Mallins Lippen. „Es sei denn, Ihr möchtet das lieber bei Pentar tun.“ Sarins Augen wurden etwas schmaler und Mallin schien seine nicht ganz verborgene Irritation durchaus zu genießen. „Wenn sie erfährt, dass Ihr ohne Berechtigung seit Wochen eines ihrer Bundmitglieder festhaltet. Einen gewissen Eliath, nicht wahr?“
Verdammt. Was wusste Mallin noch alles und vor allem, woher? Sarin merkte, dass ihm die Kontrolle über die Situation zu entgleiten begann und es gab wenig, das er mehr hasste. Erneut warf er einen fragenden Blick zu den Erwählten.
„Mit Verlaub“, erklärte Naghûl. „Wir haben kein Wort gesagt, Bundmeister. Das kann man sogar fast wörtlich nehmen.“
Sarin glaubte ihm. So wie er die Erwählten bisher kennen gelernt hatte, bezweifelte er stark, dass sie den Gnadentötern freiwillig irgendetwas erzählt hätten. So wandte er sich wieder Mallin zu. „Wie kommt Ihr auf so etwas?“
„Ist es wahr oder nicht?“, fragte der Gnadentöter unnachgiebig.
Sarin atmete tief durch, um ruhig zu bleiben. „Befinde ich mich hier in einem Verhör?“
„Ich dachte, Ihr wart einverstanden, zu reden“, entgegnete Mallin.
Der Bundmeister des Harmoniums breitete in einer abwehrenden Geste die Hände aus. „Bei der Dame ... Ja, es ist wahr. Woher wisst Ihr das?“
„Das spielt keine Rolle“, wiegelte sein Kollege ab.
„Mallin, Ihr wolltet reden“, bemerkte Sarin ärgerlich. „Also lasst uns auch ehrlich miteinander sprechen und behandelt mich nicht wie einen der Kriminellen, die Ihr hier bewacht.“
„Also bitte“, kam Mallin ihm entgegen. „Ich weiß es von Faktotum Zamakis. Sie war in der Kaserne, um mit den vieren zu sprechen, die Ihr von der Feuerebene befreit habt. Soweit ich weiß, musstet Ihr dies auf direkte Anfrage von Bundmeister Skall hin genehmigen, weil Ihr unbefugterweise in seinem Hauptquartier ... tätig wart.“
Sarin verzog kurz die Mundwinkel und verschränkte abermals die Arme vor der Brust. „Ja, ja, bohrt nur in meinen Wunden. Und bei dieser Gelegenheit hat sie Eliath dort gesehen?“
„Ja, und sie kannte ihn offenbar.“
„Und warum hat sie Euch darüber informiert?“
Mallin lächelte wieder kurz. „Ich habe da eine kleine Absprache mit Skall, was den Austausch von Informationen angeht. So, und nun stelle ich wieder eine Frage. Ihr habt doch ganz sicher geahnt, worum es ging, als ich die letzten Male mit Euch reden wollte. Warum wolltet Ihr nicht mit mir zusammenarbeiten? Oder Euch wenigstens mit mir besprechen?“
Ja, warum? Sarin seufzte innerlich. Natürlich konnte er den Grund genau benennen, doch hatte er wenig Lust, ihn Mallin auf die Nase zu binden.
Als er nicht sofort antwortete, schüttelte der Bundmeister der Gnadentöter missbilligend den Kopf. „Lady Erin, nicht wahr? Natürlich, die Sinnsaten stehen nicht gerade sehr herzlich zu uns.“ Er warf einen Seitenblick zu Naghûl. „Bei der Dame, Ihr steht ja ganz schön unter ihrer Fuchtel, nicht wahr?“
„Ich stehe unter niemandes Fuchtel!“, erwiderte Sarin energisch. Doch er spürte, dass ihn Mallins Wortwahl fast weniger verärgerte als die Tatsache, dass er seinen Finger so zielsicher in die Wunde gelegt hatte. Ja, ständig musste er sich neuerdings in grundlegenden Entscheidungen mit jemandem absprechen, und das gefiel ihm ganz und gar nicht. Er spürte, wie ihm die Beherrschung zu entgleiten drohte, eine Blöße, die er sich hier und jetzt auf keinen Fall geben wollte. „Verdammt nochmal, Mallin, können wir bitte unter vier Augen reden, ehe wir einander an die Kehle gehen müssen?“
Das Grinsen, das schon auf Mallins Lippen erschienen war, kurz nachdem er Erin erwähnt hatte, wurde noch etwas breiter. „Ihr wollt Euch prügeln? Na, warum nicht? Wäre auch mal eine nette Abwechslung.“
Sarin fasste sich wieder und seufzte tief. „Mallin ...“ Sein Tonfall klang fast bittend, das war ihm bewusst.
Der Bundmeister der Gnadentöter winkte ab. „Ja, schon gut. Wir reden unter vier Augen. Nur Ihr und ich. Wie wir es in der Vergangenheit oft genug getan haben, um Probleme zu lösen. Eure Leute können gehen.“ Er wandte sich an die Amazone. „Garush, bring sie hinaus.“
Sarin verspürte eine deutlichere Erleichterung als ihm lieb war. Er wandte sich an die Erwählten. „Ihr habt es gehört. Geht.“
„Danke, Bundmeister“, erwiderte Naghûl, offenbar an beide gerichtet.
Die vier erhoben sich und folgten Garush eilig nach draußen. Als die schwere Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen war, wies Mallin auf einen der Stühle, die an einem etwas weiter entfernten Tisch standen.
„Also bitte, Sarin“, brummte er. „Dann lasst uns mal reden.“
Der Bundmeister des Harmoniums nickte. Ja, es war unumgänglich und wahrscheinlich an der Zeit. Gewiss konnte er Mallin nicht zu viel erzählen und ganz sicher würde auch sein Kollege nur ein paar ausgewählte Dinge preisgeben. Doch es war ein erster Schritt aufeinander zu. Und egal, was die anderen Bundmeister denken mochten, seiner Überzeugung nach war es der richtige.
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gespielt am 12. September 2012
Sgillin war direkt nach der Rückkehr aus dem Elysium in eine Taverne gegangen, weil sein Spieler an diesem Abend nicht da war.




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