„ Wir wissen, dass die meisten Bünde den anderen Bünden nicht vertrauen. Aber Anarchisten – die trauen nicht einmal einander.“
Autor von Des Bundmeisters Manifest
Dritter Gildentag von Savorus, 126 HR
Nach dem erfolgreichen Kampf gegen die Luftpiraten hatte die Besatzung des Sturm-Barrakuda erst einmal aufatmen können. Krixxis Meldung, dass der Hauptkonverter des Antriebs beschädigt war, hatte natürlich erst einmal Sorgen ausgelöst. Doch Maxime Duval, der Grippli-Kapitän der Wolkenlied, hatte sogleich vorgeschlagen, den manövrierunfähigen Barrakuda in Schlepp zu nehmen und bis zum nächstgelegenen Handelsposten zu ziehen. Dieses Angebot hatte Krystall dankend angenommen, ebenso wie die Einladung des Grippli, seinem Schiff einen Besuch abzustatten.
Die Wolkenlied war ein mittelgroßes Luftschiff der in Sigil ansässigen und dem Planaren Handelskonsortium angegliederten Kompanie Zilargo Fracht. Über eine schmale Hängebrücke, die der Giff-Kanonier Cassius zum Barrakuda hinüber warf, konnten sie von Schiff zu Schiff wechseln. Allerdings gingen nur Krystall, Rakalla, Krixxi und Figaro an Bord der Wolkenlied. Zamakis musste wegen des Tageslichts noch im verdunkelten Raum des Wohnturmes bleiben und Schwarzhuf weigerte sich energisch, die schwankende Hängebrücke zu betreten, wenngleich Cassius ihm versicherte, sie würde unter einem Minotaurus gewiss nicht nachgeben, wenn sie auch einen Giff trug. An Bord begrüßte sie eine junge Frau, die sich als erster Maat Ma Yun Sin vorstellte. Wie der Kapitän trug sie eine prachtvolle Uniform, allerdings in violett statt in blau, und ihr aufwändig verzierter Dreispitz war mit einem goldenen Koi Karpfen geschmückt.
„Willkommen auf der Wolkenlied“, sagte sie freundlich. Krystall schätzte sie auf wenig älter als Mitte zwanzig, doch vermittelte ihr Auftreten Kompetenz und Selbstsicherheit. „Der Kapitän würde Euch gerne ein gutes Glas Bytopianischen Portwein anbieten. Wenn Ihr wollte, zeige ich Euch kurz das Schiff, bis alles vorbereitet ist.“
„Sehr gerne“, erwiderte Krystall und Krixxi klatschte begeistert in die Hände.
Ma Yun deutete nach oben, zu dem großen Ballon, der den Schiffskörper trug. „Wie Ihr sehen könnt, wird die Wolkenlied, anders als Euer Barrakuda, durch einen verzurrten Auftriebsballon getragen und durch ein Zusammenspiel von Fächersegeln und Luftschrauben gesteuert. Auf dem Ballon sowie am Bug und seitlich unterhalb des Rumpfes fangen Segel die Luftströme auf.“
Figaro rückte mit seinem mechanischen Bein seine Schweißerbrille zurecht und nickte gravitätisch. „Ein sehr ausgeklügeltes System, das muss ich zugeben. Aber wenn ich es – nur kurz im Kopf überschlagen – richtig berechne, wäre das Gewicht des Schiffskörpers dennoch zu groß für einen Ballon dieses Volumens. Gesetzt natürlich, er bestünde aus für den Schiffsbau üblichen Hölzern. Darf ich so direkt fragen, aus welchen Materialien Euer Schiff konstruiert wurde?“
Die Intelligenz des erweckten Hahnes und seine Fähigkeiten zu komplexen Berechnungen erstaunten Krystall immer wieder und auch Ma Yun nickte, offenbar beeindruckt von Figaros Beobachtungsgabe.
„Ihr habt vollkommen Recht mit Eurer Feststellung. Der Schiffskörper wurde aus möglichst leichten Materialien erbaut: aus Rattan, dem selbst schwebenden Pheroxyl, Bambus, Balsaholz und dem getrockneten und wasserabweisend behandelten Fleisch von Riesenpilzen. Der Ballon besteht aus der leichten, aber sehr stabilen Wolkenseide.“
„Sehr schlau“, meinte Krixxi begeistert und lief zur Reling, gegen die sie sich lehnte, um einen besseren Blick auf die Segel werfen zu können. „Und wie funktioniert die Steuerung? Ich könnte mir vorstellen, dass bei der Größe und Anordnung der Segel auch mal zu viel Vortrieb entsteht.“
Rakalla schüttelte grinsend den Kopf. „Du weißt immer Fragen, die würden mir nicht einfallen, selbst wenn ich den ganzen Tag Zeit hätte, darüber nachzudenken.“
„Hä?“ Die Goblinfrau runzelte die Stirn. „Das ist doch voll die naheliegende Frage!“
Krystall lachte. „Ja, klar.“
„Die Frage ist in der Tat berechtigt“, antwortete Ma Yun mit einem Schmunzeln. „Die Segel können wie Fächer zusammengefaltet werden, um den Vortrieb zu verringern. Zur Kurskorrektur kann man sie drehen, so dass sie parallel oder rechtwinklig zur Rumpfachse stehen. Neben dem Steuerrad gibt es Hebel für zusammenlaufende Seilzüge, mit denen sich Heck-, Bug- und Rumpfsegel entfalten und bewegen lassen. Zwei Propeller sind zudem über Seilzüge einzeln schwenkbar.“
Begeistert pfiff Krixxi durch die Lippen. „Nicht schlecht! Echt super spannend, das alles hier!“
Während sich die beiden Mechaniker sich noch die Luftschrauben besahen, fielen Krystall einige bunte Bänder und Glockenspiele am Ende der Heckplattform auf. „Was ist das dort hinten?“, fragte sie.
„Dort befindet sich ein kleiner Altar für Akadi, die Göttin der Luft“, erklärte Ma Yun. „Um dieses kleine Heiligtum kümmert sich ebenso wie um das Steuern des Schiffes unsere Navigatorin Polly. Wir können gerne einmal zu ihr hinüber gehen.“
Sie führte die vier Besucher zum Steuer der Wolkenlied, wo eine Luftgenasi mit hellblauer Haut und langem, weißem Haar stand. Sie wirkte extrem grazil und leichtfüßig, was wohl auf ihre elfische Abstammung in Verbindung mit ihrem elementaren Lufterbe zurückzuführen war. An dem nahen Altar wiegten sich Bänder und Glockenspiele farbig und klingend in jedem Windhauch, und in einer vergoldeten Opferschale lagen Vogelfedern, Seidentücher und einige Münzen. Auf mehreren dünnen Stoffbannern standen Gebete, die der Wind wohl zu Akadi tragen sollte.
Die Navigatorin grüßte die Besucher freundlich. „Ahoi, Reisende der Lüfte. Freut mich, dass wir Euch gegen die Luftpiraten beistehen konnten. Willkommen an Bord der Wolkenlied.“
Direkt hinter ihr standen mehrere geräumige Volieren, aus denen das laute Gezwitscher bunter Singvögel drang. Daneben saßen auf einer Stange drei Falken.
„Sind diese Vögel eine Art Boten?“, fragte Krystall interessiert.
Polly nickte. „Ja, in der Tat. Sie können auf einige verbale Befehle in der Handelssprache reagieren. Mit diesen kleinen Freunden hier kann hingegen nur ich kommunizieren.“
Sie ging zu einer der Volieren, öffnete die Türe und ließ einen orange-rot gefiederten Fink auf ihre Hand hüpfen. Dann nahm sie eine kleine Knochenflöte von ihrem Gürtel und begann, darauf eine muntere Weise zu spielen, bis sich zwischen ihrer Musik und dem Gezwitscher des Vogels eine Art Zwiesprache entwickelte. Anschließend flatterte der Fink davon.
„In ein paar Stunden wird er zurückkehren“, erklärte die Luftgenasi lächelnd. „Dann werden wir uns erneut unterhalten, auf dieselbe Weise wie gerade eben. So übermitteln die Vögel mir Erkenntnisse über den vor uns liegenden Weg. In meiner Profession nennen wir das Vogelgeflüster.“
„Ich verstehe“, erwiderte Krystall fasziniert. „Und was für eine Profession ist das, wenn ich fragen darf?“
„Die Gilde der Aeronauten in Himmelsheim“, gab Polly bereitwillig zur Auskunft.
Die Anführerin der Klingenengel nickte dankend und bemerkte schmunzelnd, dass Figaro demonstrativ Abstand von den Volieren nahm. Er wollte offenbar klarmachen, dass er ganz und gar kein gewöhnlicher Vogel mehr war.
Rakalla hatte unterdessen mehrere Blashörner und ein geschützähnliches Eisenrohr entdeckt, die am Zentralmast hingen. „Wozu sind die gut?“, fragte sie neugierig.
„Die Hörner dienen bei schlechter Sicht zur Kommunikation zwischen Luftschiffen“, erklärte Ma Yun. „Denselben Zweck hat auch das Rohr. Es kann gezielt bunten Staub, Leuchtsand und Goldglitter verschießen. Bei freiem Himmel ist das meilenweit zu sehen und kann sowohl Hilferuf als auch respektvoller Gruß sein.“
Die Medusa nickte und musterte das Rohr eindeutig mit dem Interesse der Alchemistin.
Doch nun deutete der Erste Maat Richtung Kajüte. „Ich denke, der Kapitän erwartet uns nun. Wenn ich bitten darf?“
Die Navigatorin Polly winkte ihnen zum Abschied zu und sie folgten Ma Yun Sin die Treppen von der Brücke hinunter und zu einer schön geschnitzten Tür, die in die Kapitänskajüte führte. Dort wurden sie von Maxime Duval und Cassius erwartet. Der Kanonier hielt ein Tablett mit fünf gefüllten Gläsern und bot den Gästen nun den angekündigten Portwein an. Wie der nur einen Schritt große Grippli in der prachtvollen Uniform sie überschwänglich begrüßte, während der massige Giff neben ihm den Portwein servierte, waren sie ein Anblick, der selbst den Gästen aus Sigil ein Schmunzeln entlockte. Da aber nur fünf Gläser auf dem Tablett standen, zögerte Krystall kurz und Ma Yun bemerkte es sofort.
„Cassius und ich sind im Dienst“, erklärte sie. „Es genügt uns, unter den verehrten Besuchern als Gäste zu sein.“
„Nun“, erklärte Kapitän Duval mit einem verschmitzten Grinsen. „Streng genommen bin ich auch im Dienst. Jedoch wäre es grob unhöflich, nicht mit anderen Luftfahrern anzustoßen.“
„Als Kapitän könnt Ihr Euch das erlauben“, meinte Cassius amüsiert.
„Wohl, wohl. Ein Glück für mich“, erwiderte der Grippli lachend und streckte sich dann, um ein Glas an Krystall zu reichen, während Cassius sich tief herab beugte, um auch Krixxi ein Glas zu geben.
Rakalla nahm sich selbst ein Glas, während Ma Yun fragend zu Figaro blickte. „Verzeiht, wir waren nicht sicher, ob Ihr Portwein trinkt. Und ob ein Glas die richtige Darreichungsform ist.“
Der Hahn nickte würdevoll, offenbar positiv angetan, dass man ihn nicht einfach als Krixxis Vertrauten oder gar Haustier abgetan und übergangen hatte. Eine Erfahrung, die er – wie Krystall inzwischen wusste – des Öfteren machte und auf die er gereizt reagierte. „Ich danke vielmals“, antwortete er daher dem Ersten Maat und flatterte auf einen der Stühle, die am Tisch in der Kajüte standen. „Wenn Ihr das Glas hier auf den Tisch stellt, werde ich gerne einen Schluck kosten.“
Ma Yun nickte und platzierte den Portwein vor Figaro auf der Tischplatte. Dann stießen Krystall, Krixxi und Rakalla mit dem Kapitän an, während Figaro ein paar Mini-Schlucke aus dem Glas vor sich nippte.
„Auf die Luftfahrt“, prostete der Grippli ihnen zu.
„Auf die Luftfahrt“, erwiderte Krystall. „Wobei ich zugeben muss, dass wir eigentlich keine wirklichen Luftfahrer sind. Nicht von Berufs wegen zumindest. Wir sind aus Sigil, aber derzeit auf einer Mission und haben uns den Barrakuda dafür gemietet.“
„Ahh, ich verstehe.“ Der Kapitän nickte. „Daher die etwas eigenwilligen Manöver bei dem Kampf gerade eben.“ Auf einen fragenden Blick von Krixxi hin, räusperte er sich entschuldigend. „Sie waren durchaus beherzt und gekonnt – nur ein wenig unorthodox.“
„Ach so.“ Die Goblinfrau nickte, offenbar mit dieser Antwort zufrieden.
Kapitän Duval sah nun wieder zu Krystall. „Ihr seid also auch aus Sigil. Sehr erfreut, Käptn Krystall. Wir sind mit unserem Schiff natürlich viel unterwegs, aber unseren festen Wohnsitz, sozusagen, haben auch wir in der Stadt der Türen.“
Die Anführerin der Klingenengel nickte. „Ihr sagtet, dies sei ein Schiff von Zilargo Fracht. Ich muss leider gestehen, bisher noch nicht davon gehört zu haben.“
„Es ist eine jüngere und noch kleine, aber aufstrebende Handelsgesellschaft“, erklärte der Grippli, offenbar nicht ohne einen gewissen Stolz. „Ursprünglich begründet von einem Gnom aus Eberron – daher auch der Name. Wir treiben Handel vor allem in Sigil und den Außenländern, bereisen aber auch die Luftebene, Bytopia, Arborea und das Elysium.“
„Sicher ein spannendes Leben, an Bord so eines Luftschiffes“, meinte Rakalla. „Darf man fragen, womit Ihr handelt?“
Der Kapitän nickte. „Derzeit transportieren wir Haileder und Korallenfiguren aus der Gläsernen Stadt, Tee aus dem Reich von Izanagi und Izanami, Gewürze, getrocknete Jamju-Beeren und perlmuttbelegte Fellkämme aus dem Reich der Arthati. Daher ist unser nächstes Ziel der Handelsposten Bexrey. Ich bin sicher, dass Ihr dort auch die für den Antrieb des Barrakuda benötigten Ersatzteile erstehen könnt.“
„Das hoffe ich auch sehr“, erwiderte Krystall. „Und nochmals vielen Dank, dass Ihr uns bis dorthin in Schlepp nehmt.“
„Aber natürlich“, versicherte Maxime Duval. „Wir Luftfahrer müssen zusammenhalten.“
Nach dem Portwein und dem freundlichen Austausch mit Kapitän Duval und seiner Crew hatten sich Krystall, Rakalla, Krixxi und Figaro wieder zurück auf den Barrakuda begeben. Verbunden mit der Wolkenlied durch mehrere stabile Taue wurde der fliegende Fisch dann ohne weitere Zwischenfälle über der Himmel der Außenländer geschleppt. Das Luftschiff von Zilargo Fracht glitt majestätisch durch die Wolken, Kapitän Maxime Duval stand stolz neben Polly am Steuer, während sein Erster Maat Ma Yun Sin präzise Anweisungen an die Crew gab. Gegen Abend des nächsten Tages tauchte dann der Handelsposten Bexrey unter ihnen auf – im Grunde nicht mehr als eine kleine Ansammlung windschiefer Gebäude und flackernder Lichter. Der Ort wirkte nicht sonderlich vielversprechend, doch Kapitän Duval hatte versichert, dass es ein guter Umschlagplatz für mechanische Ersatzteile war. Sie würden also ihr Glück dort versuchen – viel mehr blieb ihnen auch gar nicht übrig. Einige Luftschiffe verschiedenster Bauart und Herkunft ankerten an rostigen Masten, und an einem davon machte auch die Wolkenlied fest. Während deren Besatzung bis zum nächsten Tag warten wollte, um ihre Geschäfte zu tätigen, beschloss Krystall, schon am selben Abend einen Versuch zu unternehmen, die Ersatzteile für den Hauptkonverter des Barrakuda zu bekommen. Das hatte den Vorteil, dass in der hereinbrechenden Dunkelheit auch Zamakis sie begleiten konnte. Krixxi und Figaro blieben an Bord, um jene Reparaturen durchzuführen, die sie bereits ohne die Ersatzteile vornehmen konnten.
„Passt auf euch auf“, rief die Goblinfrau den anderen zu, während sie kopfüber in einer Wartungsluke hing. „Hab gehört, Bexrey ist nicht gerade für seine Gastfreundschaft bekannt!“
Krystall nickte ernst und führte Zamakis, Rakalla und Schwarzhuf dann in die belebten Straßen hinein – oder eher enge, verwinkelte Gassen, in denen sich Kreaturen aus allen Ecken der Ebenen tummelten. Der Geruch von exotischen Gewürzen, Schmiermittel und schalem Bier lag in der Luft. Während sie sich ihren Weg durch das chaotische Getümmel des Handelspostens bahnten, sahen sie an einer Straßenecke einen zwergischen Händler, der lautstark Äxte und Kriegshämmer anpries. Daneben verkaufte eine Tieflingsfrau purpurfarbene Tränke aus einem dampfenden Kessel. Vor einer schäbigen Schmiede hämmerte ein muskulöser Erdgenasi an einer Rüstung, dann wieder kamen sie an einem Laden vorbei, in dessen Schaufenster leuchtende Kristallkugeln schwebten. Krystall blieb seufzend stehen, als sie einen Platz überquerten, auf dem ein gnomischer Straßenkünstler mit Feuerbällen jonglierte, während sein Vertrauter, ein sprechendes Frettchen, die Zuschauer um Münzen bat. Auf gut Glück einen Laden zu finden, der die gesuchten Ersatzteile verkaufte, schien sinnlos zu sein. Der Handelsposten war chaotisch, verwinkelt und unübersichtlich. Wenn man sich nicht auskannte, musste man wohl oder übel nachfragen. Sie konnten sich an jemanden auf dem Platz wenden – oder sich in der Taverne erkundigen, die Krystall schräg hinter dem Jongleur erspähte. Das Gebäude hatte schiefe Wände und ein Dach, in dem das eine oder andere Loch sichtbar war. Ein altes Schild schwang quietschend im Wind hin und her. Zum Tanzenden Dämon stand in schiefen Buchstaben darauf geschmiert.
Als Krystall auf das Gebäude zuging, warf Zamakis ihr einen skeptischen Blick zu. „Ich glaube nicht, dass es dort die Ersatzteile gibt, die wir suchen.“
„Eher nicht“, räumte die Anführerin der Klingenengel ein. „Aber wenn wir uns schon durchfragen müssen, könnten wir uns dazu wenigstens was zu trinken gönnen. Vielleicht bieten sie ja sogar Blut an.“
„So wie die Spelunke aussieht, sogar möglich“, stellte Rakalla nüchtern fest.
Zamakis hob lediglich eine ihrer perfekt gewölbten Brauen und nickte kaum merklich, zum Zeichen, dass sie den anderen folgen würde. Im Inneren empfing sie der Geruch von abgestandenem Bier und das Gemurmel dutzender Gespräche in scheinbar ebenso vielen Sprachen. Die Decke wurde von krummen Holzbalken gestützt, an denen seltsame Amulette und ausgestopfte Kreaturen baumelten. Hinter der Bar stand ein insektenartiger, vierarmiger Thri-kreen, der gleichzeitig Getränke einschenkte, Gläser polierte und Münzen entgegen nah. Sein Chitinpanzer glänzte im flackernden Licht der Öllampen. An einem Tisch saß eine Gruppe Duergar, die Karten spielten, an einem anderen zwei Tieflinge, die mit einem Hobgoblin anstießen. An der Bar lehnte ein Kenku in einem abgewetzten Kapitänsmantel, der mit rauer Stimme Geschichten von seinen Abenteuern zum Besten gab. Neben ihm nickte ein alter Tortle immer wieder zustimmend, während er an einer Pfeife zog. Krystall ging zur Bar, während die anderen sich einen Sitzplatz suchten. Da es doch kein Blut gab, kehrte sie mit drei Humpen Bier zum Tisch zurück. Sie wollte sich gerade bei Zamakis entschuldigen, dass sie ihr nichts zu trinken hatte mitbringen können, doch die Vampirin winkte ab.
„Schau mal unauffällig da hinüber“, flüsterte sie, ihre Stimme kaum hörbar über dem Lärm der Taverne. „Siehst du die Frau dort drüben? Sie beobachtet uns.“
Die Anführerin der Klingenengel wartete noch kurz, dann ließ sie ihren Blick in die Richtung schweifen, die Zamakis ihr gezeigt hatte. In einer dunklen Ecke saß eine Feuergenasi, deren langes Haar im Dämmerlicht der Taverne geradezu zu leuchten schien. Es änderte seine Farbe zu den Spitzen hin von tiefrot zu orange, ab und zu sprühten kleine Funken daraus hervor. Und Zamakis hatte Recht: Die durchdringenden grünen Augen der Frau fixierten die Neuankömmlinge mit unverhohlener Intensität. Es war ein Blick, der Ärger verhieß, daher beschloss Krystall, dass Angriff die beste Verteidigung war und stand auf.
„Moment mal“, schnaubte Schwarzhuf alarmiert. „Was machst du denn jetzt?“
Krystall atmete tief durch. „Klären, warum wir hier beobachtet werden.“ Dann bahnte sich einen Weg durch die lärmende Menge der Taverne. Bei jedem Schritt spürte sie die durchdringenden Augen der Feuergenasi auf sich ruhen. Als sie deren Tisch erreichte, setzte sie ihr freundlichstes Lächeln auf. „Grüße, Reisende. Ich bin Krystall. Darf ich fragen, was dich an uns so interessiert?“
Die Feuergenasi musterte sie forschend, und ihre türkis-grünen Augen glühten geradezu. Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie antwortete: "Síkhara. Mein Name ist Síkhara.“ Ihre Stimme klang rauchig, wie das Knistern eines Lagerfeuers in einer kalten Nacht. Die mit Nieten verstärkte Lederrüstung, die sie trug, und der Krummsäbel an ihrer Seite, verstärkten den kriegerischen Eindruck, den sie erweckte, ebenso wie die lange Narbe über ihrem rechten Auge. Sie deutete einladend auf den freien Stuhl ihr gegenüber.
Krystall nahm Platz, während der Rest ihrer Gruppe ruhig, aber in wachsamer Bereitschaft am anderen Tisch wartete.
„Ich bin eine Blutjägerin“, erklärte Síkhara. „Und ich verfolge eine gefährliche Person, die in den Außenländern ihr Unwesen treibt - einen Minotaurus.“ Sie hob vielsagend die Brauen und sah zu Schwarzhuf hinüber.
Krystall spürte, wie die Luft vor Spannung vibrierte und fast unbewusst wanderte ihre Hand in Richtung ihres Rapiers.
Die Feuergenasi bemerkte es sofort und lächelte. „Aber sei unbesorgt, dein Freund ist nicht derjenige, den ich suche. Ich war natürlich aufmerksam, weil er ein Minotaurus ist. Aber die Beschreibung passt nicht. Zu dunkles Fell und auch etwas zu klein, nehme ich an.“
Obgleich Krystall eine deutliche Erleichterung ob dieser Worte spürte, hob sie die Brauen. „Zu klein?“ Schwarzhuf war immerhin gut über zweieinhalb Schritt groß.
Síkhara schmunzelte und wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als die Tür der Taverne knarrend aufschwang. Ein weiterer Minotaurus betrat den Raum … Er war in der Tat ein Stück größer als Schwarzhuf, sein Fell grau und zerzaust und mehrere Narben verunzierten sein Gesicht. Von seinem linken Horn war ein Stück abgebrochen.
Síkharas Augen weiteten sich. Mit einer einzigen, fließenden Bewegung war sie auf den Beinen, ihr Blick fixierte den Neuankömmling, und plötzlich loderten ihre Haare heller auf, als hätte jemand Öl in ein Feuer gegossen. „Das ist er!“, zischte sie.
Die Zeit schien für einen Moment stillzustehen. Alle Augen richteten sich auf Síkhara und den eben eingetretenen Minotaurus.
Krystalls Hand wanderte erneut zum Griff ihres Rapiers. Denn auch sie erkannte ihn. „Bei Milani“, flüsterte sie. „Das ist ja Donnerhorn!“
Er war Mitglied einer anderen Zelle – einer Zelle, die die Ziele der Anarchisten aggressiver und kompromissloser verfolgte als die Klingenengel. Einer Zelle, der sie in Sigil in die Quere gekommen waren, was zu einer unschönen Auseinandersetzung geführt hatte. Und zum Tod eines Klingenengels durch Donnerhorns Hand … Síkhara knallte ihren Krug auf den Tisch, zog ihren Säbel und stürmte auf den grauen Minotaurus zu. Der jedoch erkannte ihre Absichten, stieß einen Tisch um und flüchtete durch die Hintertür der Taverne. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, setzte die Blutjägerin ihm nach und Krystall rannte hinterher. Ihre verwirrten Gefährten verstanden zwar nicht, was vor sich ging, zögerten jedoch nicht lange und folgten den beiden Frauen in die Straßen von Bexrey. Die Verfolgungsjagd führte sie durch ein Labyrinth aus engen Gassen und windschiefen Gebäuden. Donnerhorn rannte mit der Kraft und Geschwindigkeit der Minotauren und drohte sich von ihnen abzusetzen, allein Schwarzhuf konnte noch mithalten. Rakalla griff im Laufen nach ihrer Brille, schien sie schon abnehmen und ihren Medusenblick einsetzen zu wollen, entschied sich dann aber offenbar dagegen, denn sie schob die Brille wieder zurück. Wahrscheinlich wollte sie nicht riskieren, dass man sie in diesem eher gesetzlosen Außenposten für eine größere Gefahr hielt als den fliehenden Minotauren. Stattdessen zog sie eine Phiole aus einer ihrer Gürteltaschen. Mit geübtem Wurf ließ sie das Gefäß vor Donnerhorns Hufen zerbersten und verwandelte den Boden in eine glitschige Fläche. Der Minotaurus kam ins Straucheln, fing sich aber im letzten Moment.
„Verdammt!“, fluchte Rakalla. „Er ist geschickter als er aussieht!“
Donnerhorn riss ein hölzernes Gerüst an einem der Häuser ein, als er vorbei rannte, um seinen Verfolgern den Weg zu versperren. Zum Glück war Schwarzhuf zur Stelle, der die Bretter und Balken rasch aus dem Weg schaffte. Aber dennoch hatte der Trick dem anderen Minotaurus einen deutlichen Vorsprung verschafft. Zamakis, im Schatten der Häuser, murmelte nun eine arkane Beschwörung. Plötzlich vervielfachte sich Donnerhorns Schatten und fächerte sich unheimlich auf, jeder in eine andere Richtung zeigend. Der flüchtende Minotaurus zögerte kurz, sichtlich verwirrt von der Illusion. Dieser Moment der Unachtsamkeit war alles, was Síkhara brauchte. Mit katzenhafter Geschmeidigkeit sprang sie vor, eine Kette in den Händen wirbelnd. Die Waffe, offenbar von einem Feuerzauber umhüllt, wickelte sich um Donnerhorns Beine. Krystall nutzte den Moment sofort und schleuderte einen Blecheimer, der am Straßenrand lag, zwischen die Hufe des Minotauren. Das genügte, Donnerhorn zu Fall zu bringen. Der Minotaurus krachte schwer zu Boden und war sichtlich benommen von dem Aufschlag. Das verschaffte Schwarzhuf die Zeit, ganz an ihn heranzukommen und ihn zu Boden zu drücken. Kurz darauf tauchte Zamakis aus den Schatten auf und sprach einen Schlafzauber, der die Flucht von Donnerhorn endgültig beendete. Keuchend und schwer atmend standen die Verfolger um den überwältigten Minotaurus herum.
„Ich danke euch", sagte Síkhara. Ihr feuriges Haar pulsierte im Rhythmus ihres Atems. „Ohne eure Hilfe hätte ich ihn niemals erwischt.“
„Oh, nichts zu danken“, erwiderte Rakalla und warf Krystall einen fragenden Blick zu. „Und bei der Jagd auf den Typen haben wir warum gleich nochmal geholfen?“
„Ich hatte auch noch eine Rechnung mit ihm offen“, erklärte die Anführerin der Klingenengel. „Eine alte Rechnung aus dem Käfig ...“
„Na, wie schön für dich“, erwiderte die Medusa, offenbar ein wenig verstimmt. „Eine kleine Vorwarnung wäre nächstes Mal nett, wenn wir dir bei irgendwelchen offenen Rechnungen helfen sollen.“
Síkhara hob eine Braue, als sie die Differenzen in der Gruppe wahrnahm. „Tut mir leid, ich wollte hier keine Verwicklungen ...“
„Psst“, unterbrach Zamakis sie und ihr Blick fixierte plötzlich starr einen Punkt jenseits der Gruppe. „Ich höre etwas.“
Die anderen verstummten und die Vampirin bewegte sich langsam auf einen dunklen Winkel zwischen zwei baufälligen Gebäuden zu. Dort ragten, halb verborgen hinter Müll und altem Gerümpel, zwei Beine hervor. Krystall runzelte die Stirn. Handelte es sich hier um einen leblosen Körper? Als sie näher trat, erkannte sie, dass tatsächlich die Leiche eines Zwerges dort lag. Zamakis kniete sich neben den Toten, ihre Augen unfokussiert, als würde sie in eine andere Welt blicken. Dann beugte sie sich vor und eine Gänsehaut breitete sich auf Krystalls Armen aus, als der Leichnam plötzlich seine Lippen bewegte und der Vampirin etwas zuzuflüstern schien. Sie warf einen raschen Seitenblick zu Síkhara, die nun ebenfalls Zeugin dieses Vorfalls wurde. Die Blutjägerin wirkte durchaus irritiert, beobachtete das Geschehen aber ruhig und aufmerksam.
Nach einigen angespannten Momenten richtete sich Zamakis wieder auf. „Er hat zu mir gesprochen“, erklärte sie sachlich.
Die Anführerin der Klingenengel nickte sacht. Die Gabe der Vampirin. Manchmal sprachen die Toten zu ihr, um ihr Geheimnisse zu verraten und Botschaften zu übermitteln. „Was hat er gesagt?“, fragte sie ernst.
„Er flüsterte von einer schwebenden Insel. Ein im Nebel versteckter Ort hier in den Außenländern, wo wir ...“ Zamakis sah kurz zu Síkhara. „ … wo wir unsere Suche fortsetzen sollen.“
„Ich kenn aber keine fliegende Nebelinsel“, schnaubte Schwarzhuf ratlos.
„Gleichfalls“, meinte Rakalla seufzend. „Sind ja wieder sehr genaue Angaben hier ...“
Síkhara, die bisher skeptisch zugehört hatte, hob überrascht eine Augenbraue. „Eine schwebende Insel, versteckt im Nebel? Es könnte sich um Schleierfels handeln. Ich kenne diesen Ort. Ihr habt mir geholfen, Donnerhorn zu fangen. Wenn ihr diese Insel finden wollt, kann ich euch führen. Ich kenne die Region besser als die meisten.“
Krystall sah zu den anderen, die nach kurzem Abwägen ihre Zustimmung signalisierten. „Wir nehmen das Angebot an, Síkhara“, erklärte die Anführerin der Klingenengel daher lächelnd.
„Abgemacht." Die Feuergenasi nickte. „Ich muss Donnerhorn noch an meinen Auftraggeber übergeben, aber es gibt ein Portal in der Nähe. Danach zeige ich euch den Weg nach Schleierfels.“








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