„Wo muss ich hin, um den Blutkrieg zu sehen?“
unbekannter Planloser
Zweiter Leeretag von Savorus, 126 HR
Krystall stand an Deck des fliegenden Sturm Barrakuda und ließ ihr dunkelbraunes Haar im Wind flattern. „Deck“ war eigentlich nicht ganz der passende Ausdruck dafür, wenn sie es recht bedachte. Der mit einer Kuppel bekrönte Aufbau auf dem Rücken des fliegenden Fisches glich eher einem Wohnturm als einem Schiffsdeck. Sie war auf den Balkon getreten, der sich um das oberste Stockwerk spannte, wo sich ein Esszimmer und die Küche befanden, in der Schwarzhuf gerade herumlärmte. Zamakis befand sich ein Stockwerk tiefer, wo sie in einem der Schlafräume alle Fenster abgedunkelt hatten, so dass die Vampirin sich bei Tag gefahrlos dort aufhalten konnte. In einem anderen Raum mischte Rakalla gerade ein paar ihrer alchemistischen Granaten zusammen. Krixxi steuerte den Barrakuda von der Kuppel des kleinen Turmes aus, während Figaro erneut am Getriebe des Fluggerätes im Bauch des Fisches herumschraubte. Inzwischen war Krystall zu der Überzeugung gelangt, dass dies kein Grund zur Sorge war, sondern es den beiden Mechanikern einfach nur Spaß machte, sich daran zu versuchen, den Antrieb des Barrakuda noch zu verbessern. Daher lehnte sie auch relativ entspannt am Geländer des Balkons. Inzwischen war sie entspannt. Der Abflug von Xaos war dagegen alles andere als ruhig gewesen. Bei dem Versuch, den Barrakuda in die Luft zu bringen, waren Krixxi und Figaro nämlich doch noch auf einige technische Schwierigkeiten gestoßen. Das Hauptantriebssystem hatte offenbar nicht ganz so funktioniert wie gewünscht. Die Goblinfrau hatte aufgeregt etwas von einem klemmenden Konverter-Getriebe erzählt. Als Figaro dann noch etwas von Auftriebskristallen nachgesetzt hatte, die nicht wie erwartet reagierten, war Schwarzhuf kurz davor gewesen, wieder von Bord zu gehen. Es hatte Krystall und Rakalla einiges an Überzeugungsarbeit gekostet, den Minotaurus zu beruhigen und seine Flugangst so weit zu besänftigen, dass er sich bereit erklärte, auf dem Barrakuda zu bleiben. Doch damit nicht genug, hatte Zamakis sie auf ein anderes Problem aufmerksam gemacht: Eine Gruppe von Söldnern aus Xaos hatte sich ihrem Gefährt genähert, offenbar in der Absicht, an Bord zu kommen. Nach einer knappen Unterhaltung, hin und her gerufen zwischen der staubigen Steppenlandschaft unten und dem Turm auf dem Barrakuda oben, hatte sich herausgestellt, dass die Chaos Ingenieure, von denen Krixxi den fliegenden Fisch gemietet hatte, offenbar bei irgendjemandem Schulden hatten. Und dieser jemand wollte den Barrakuda als Bezahlung. Es hatte die Söldner wenig interessiert, dass sie den Klimper für einen längeren Flug bereits komplett im Voraus bezahlt hatten. Da die Gruppe nicht bereit gewesen war, das Fluggerät aufzugeben, war es unweigerlich zu einem Kampf gekommen. Krixxi war sofort in den Maschinenraum geflitzt und hatte versucht, das Getriebe zu lösen, während Figaro die Auftriebskristalle neu justiert hatte. Schwarzhuf hatte rasch die Leiter nach oben gezogen und Krystall und Zamakis hatten sich neben ihm postiert, bereit die Söldner abzuwehren, sollten sie doch herauf kommen. Doch als sie sich genähert hatten, hatte Rakalla einen Trank hinunter geschleudert, der beim Aufprall eine dichte Rauchwand erzeugt hatte. Die Söldner waren somit blind und orientierungslos gewesen, was Krixxi die nötige Zeit verschafft hatte. Gerade noch rechtzeitig, ehe sich der Rauch gelichtet hatte, war es ihr gelungen, das Getriebe in Gang zu setzen und Figaro hatte die Auftriebskristalle aktiviert. Mit einem gewaltigen Ruck hatte der Barrakuda abgehoben, gerade als der erste Söldner versucht hatte, durch das Maul ins Innere zu klettern. Nach dem aufregenden Start aber war der Flug dann deutlich ruhiger verlaufen und so stand Krystall nun auch entspannt auf dem Balkon des Wohnturmes und ließ ihren Blick über die weite Ebene unter ihnen schweifen. Für viele Materier waren die Außenländer eine Umgebung, die gleichzeitig vertraut und völlig fremd war. Sie erinnerten stärker als andere Ebenen an Materielle Welten, doch waren die Landschaften hier weitläufiger und abwechslungsreicher, die Farben lebendiger und der Himmel weiter und ausdrucksstärker. Krystall selbst, obgleich auf einer Materiellen Welt geboren, konnte dies nicht aus eigener Erfahrung beurteilen. Sie war mit vier Jahren nach Sigil gekommen und seitdem nie wieder in ihre Heimat zurück gekehrt. Doch ihre Eltern, die erst als Erwachsene in die Ebenen gekommen waren, hatten es beschrieben, als würde man ein Gemälde betreten, das zum Leben erweckt wurde, voller Wunder und Gefahren zugleich. Dennoch lebten in den Außenländern vergleichsweise viele Materier, da diese im Vergleich zu anderen Ebenen relativ vertraut wirkten. Sie waren nicht so streng durch Gesetze geregelt wie Mechanus oder so chaotisch wild wie der Limbus, nicht so trostlos wie die Graue Einöde oder so überwältigend wie Celestia. Die Ausgewogenheit und Neutralität der Außenländer war durchaus attraktiv für diejenigen, die die Extreme anderer Ebenen als erdrückend empfanden. Und die Integration verlief oft reibungsloser als auf anderen Ebenen, da die Außenländer Vielfalt von Natur aus akzeptierten. Möglicherweise, so dachte Krystall, hätten sich ihre Eltern in den Außenländern besser eingelebt als es ihnen in Sigil je gelungen war. Sie hatten auch überlegt, dorthin umzuziehen – Pläne, die durch ihren vorzeitigen Tod aber belanglos geworden waren. Ihren vorzeitigen und gewaltsamen Tod, der ein damals sechzehnjähriges Mädchen in ein tiefes Loch gestürzt hatte. Doch das waren düstere Erinnerungen an eine Zeit, die zum Glück hinter ihr lag. Und so schüttelte die Anführerin der Klingenengel sie auch rasch ab und richtete ihren Blick stattdessen auf den lavendelfarbenen Himmel. An diesem Vormittag zumindest war er von einem zarten Lila. Der Himmel über den Außenländern war nicht einfach nur blau, er wechselte durch ein Kaleidoskop von Farben und spiegelte die unzähligen Stimmungen der Ebene wider. Manchmal war er von hellem Grün, ein anderes Mal zeigte er sich in kräftigem Purpurrot, manchmal aber auch blau wie auf vielen Materiellen Welten. Es hing davon ab, aus welcher Richtung die planaren Winde wehten. Im Laufe eines Jahreszyklus fegten die philosophischen Winde nacheinander von jeder der Äußeren Ebenen herein und brachten Freuden oder Leiden mit sich. Im Moment war in den Außenländern Exhilarus, der der Ebene Arborea zugehörige Monat. Das bedeutete, der Sommer neigte sich dem Ende zu, und das Wetter selbst schien den Spaß zu feiern, den es hatte. Die Abende boten spektakuläre Sonnenuntergänge und Nordlichter, und die Tage letzte, glühende Hitzewellen und trockene Gewitterstürme. Sich in den kühlen Wäldern zu verstecken, war jedoch nicht immer eine gute Idee, da das Feenvolk um diese Zeit in Scharen herumtollte. Die Abende waren warm und lang und manchmal vergaß die Nacht ganz zu kommen, weil der Tag so viel Spaß machte. Eigentlich wäre es eine gute Zeit und Gelegenheit gewesen, ein paar Tage in der Torstadt Sylvania anzuhalten und einfach zu feiern. Da Krystall eine große Nähe zu den chaotisch guten Ebenen verspürte und zudem ihre Göttin Milani ihr Reich auf Arborea hatte, war die Versuchung groß. Doch sie hatten eine Mission, sie mussten die Hüterin und den Verkünder finden. Zwar war ihnen nicht ganz klar, wo und wie, doch wie Rakalla es gesagt hatte: „Wir machen einfach irgendwas und dann schauen wir mal.“ Im Moment bedeutete das, mit dem fliegenden Barrakuda über die Außenländer zu gleiten und Ausschau zu halten – nach was auch immer. Eine gewisse Herausforderung dabei waren die Wolken. Die Wolkenformationen der Außenländer waren nämlich insofern unberechenbar, als sie sich in alle Richtungen bewegten, als ob der Wind ihnen egal wäre. Einige Wolken waren dunkel und enthielten Regen, manchmal zuckten Blitze zwischen ihnen. Andere leuchteten bedrohlich von innen heraus. Einige der Wolken waren sogar fest und wurden von fliegenden Wesen bewohnt, die gelegentlich auch Städte auf ihnen errichteten. Manche Wolken gaben surrende, klickende Geräusche von sich, als wären sie ein Uhrwerk, andere änderten ihre Farbe. Und manche sprachen. Letztere waren aber eigentlich gar keine Wolken, sondern Mortai, empfindungsfähige wolkenähnliche Wesen aus den Bestienländern. Sie waren besonders häufig im Monat der Schwärme anzutreffen, schienen aber nach Belieben zwischen den beiden Ebenen hin- und herwechseln zu können. Doch trotz all dieser Unwägbarkeiten steuerten Krixxi und Figaro das bizarre Fluggerät sehr souverän über den Himmel der Außenländer, entgegen aller Befürchtungen von Schwarzhuf. So konnte sich Krystall unbedarft an die Reling lehnen und einen Blick nach unten riskieren, um zu erspähen, über welche Landschaft sie gerade hinweg flogen. In den Außenländern gab es die verschiedensten Typen von Umgebungen – Wälder, Wüsten, Dschungel, Graslande, Gebirge, Flüsse, Ozeane und bestelltes Ackerland – doch war ihre Anordnung nicht so, wie Materier es aufgrund der Geografie ihrer eigenen Welten oft erwarteten. Eine Wüste konnte hier direkt an eine verschneite Tundra grenzen, ein Dschungel an einen Nadelwald. Aber es gab auch schwebende Inseln, hoch in der Luft hängende Erdschollen, auf denen Festungen oder sogar Städte errichtet waren. Oder aus Metall bestehende Landschaften in der Nähe von Automata, der Torstadt nach Mechanus. Von fast überall aus sichtbar natürlich war die Spitze, jene unfassbar hohe Felsnadel im Zentrum der Außenländer, über der die Stadt Sigil schwebte. Seit ihrem Aufbruch von Xaos hatte die Gruppe einen dichten Laubwald, einen ausgedehnten Sumpf und eine Steppe voller Zebra- und Gazellenherden überflogen. Doch nun bot sich Krystall ein ganz anderes Bild: Ein unfruchtbares Gebiet erstreckte sich unter ihnen, ein Ödland aus rissiger Erde, ausgetrockneten Flüssen und scharfen Felszacken. Möglicherweise war dies ein Ort, an dem es eine größere arkane Katastrophe gegeben hatte, voller gefährlicher Anomalien. Doch die zerstörten und verbrannten Kriegsmaschinen, die Krystall sogar von dem Barrakuda aus erkennen konnte, wiesen auf etwas anderes hin: Dieser Ort war einst ein Schlachtfeld des Blutkrieges gewesen. Der uralte Konflikt zwischen Baatezu und Tanar'Ri schwappte manchmal auch in andere Ebenen und gerade Gebiete in der Nähe von Torstädten zu den Unteren Ebenen waren immer wieder betroffen. Dort, wo Teufel und Dämonen einander abgeschlachtet hatten, war dann noch für Jahre das Land verheert, die Erde verdorrt und vergiftet, Flüsse ausgetrocknet und Pflanzen und Bäume verbrannt. So schien es auch dem Landstrich ergangen zu sein, über den sie gerade hinweg flogen. Doch während Krystall nachdenklich ihren Blick über die Zerstörung schweifen ließ, bemerkte sie noch etwas anderes am Horizont. Es waren Fluggeräte, doch nicht so groß wie der Barrakuda – und sie näherten sich rasch. Bald konnte Krystall drei leichte, wendig aussehende Flugboote erkennen – und war sicher, dass sie auf den Barrakuda zuhielten. Sofort rannte die Anführerin der Klingenengel zur anderen Seite des Balkons und schlug energisch die dort angebrachte Glocke. Es dauerte nur einen Augenblick, bis Krixxis pinke Zöpfe in dem Fenster im Kuppeldach des Turmes erschienen. Dort oben befand sich die Steuerung.
„Was ist los“?, rief die Goblinfrau herunter. „Was bimmelst du denn da unten so hektisch?“
„Es kann sein, dass wir angegriffen werden“, erwiderte Krystall laut genug, um den Wind zu übertönen. „Schau mal da vorne. Ich glaube, die halten auf uns zu!“
Sofort zog die Mechanikerin ein Fernrohr hervor und spähte in die angegebene Richtung. Sie drehte an ein paar Rädern, um die Linsen zu justieren, dann fluchte sie auf Goblinisch. „Ich glaub, du hast Recht. Blex! Was machen wir jetzt?“
„Meinst du, wir können denen davonfliegen?“
Krixxi blickte abermals durch das Fernrohr und runzelte angestrengt die Stirn, dann schüttelte sie den Kopf. „Glaub nich, Krystall. Tut mir leid, aber die sind schneller als wir.“
Die Anführerin der Klingenengel seufzte. „Dann müssen wir kämpfen.“ Abermals läutete sie die Glocke, diesmal lauter und länger als zuvor.
Schwarzhuf war der erste, der auf die Brüstung hinaus kam, noch mit einem Pfannenwender in der Hand. „Was soll denn das jetzt?“, beschwerte er sich mit einem Schnauben. „Ich mach grade Pfannkuchen.“
„Oh jaaa!“, rief Krixxi begeistert von oben. „Die hab ich mir gewünscht!“
Krystall wartete, bis kurz darauf auch Rakalla auf den Balkon kam, und deutete dann in Richtung der sich nähernden Schiffe. Nun konnte man sie schon wesentlich deutlicher erkennen, und die grimmig dreinblickende Besatzung sprach nicht dafür, dass es harmlose Luftfahrer wie Händler waren oder ein Passagiertransport. Krystall erkannte mehrere Menschen und Tieflinge, zwei Halborks und einen Halbling an Bord, aber auch einen papageienartigen Aarakocra mit blauem Gefieder und eine Avariel, eine geflügelte Elfe. Verdammt. Im Gegensatz zu ihnen hatten sie also flugfähige Crewmitglieder, was ihnen gewiss einen Vorteil verschaffen würde.
„Rakalla“, wandte sie sich an die Medusa. „Geh zu Zamakis runter und sag ihr, sie soll sich vorsichtig an einem der Fenster positionieren. Da Tag ist, kann sie leider nicht herauskommen und uns helfen, aber vielleicht kann sie den einen oder anderen Zauber gezielt durch den Fensterspalt schicken. Sie soll aber vorsichtig sein! Und danach … kannst du deine Mixturen auch auf größere Entfernung einsetzen?“
Rakalla grinste. „Jap. Auf der anderen Seite des Turmes ist so eine Art Schleuder. Die kann ich bestimmt als alchemistischen Werfer einsetzen. Und wenn sie noch näher kommen …“ Sie tippte gegen ihre dunkel getönte Brille.
„Oh, das ...“ Bei Rakallas Medusenblick war Krystall noch immer ein wenig unwohl. „Ja, aber das bitte nur im Notfall.“
„Ist nicht permanent, wie du weißt“, beschwichtigte die Alchemistin. „Dazu bin ich nicht mächtig genug. Noch nicht ...“
„Ja, aber wenn sie über Bord fallen, weil sie versteinert sind?“
„Ähm ...“ Rakalla sah über das Geländer der Brüstung. „Also, in der Höhe ist das egal, ob sie versteinert sind oder nicht, wenn sie runter fallen.“
Krystall schüttelte den Kopf. „Nein, ich meine, du sollst die nicht versteinern, wenn sie sich grade über die Reling schwingen oder fliegen. Dann stürzen sie ja ohne jede Chance ab.“
Die Medusa runzelte die Stirn. „Ja und?“
„Also, das fände ich etwas zu … unmoralisch“, erwiderte Krystall entschieden. Als Rakalla, merkbar trotz ihrer Brille, die Augen verdrehte, winkte die Anführerin der Klingenengel ab. „Nein, keine Diskussion. Es war für dich in Ordnung, dass ich der Käptn bin. Also erstmal ohne solche Methoden. Nur wenn wir merken, dass sie uns ernsthaft was wollen und nicht nur unsere Ladung oder so.“
„Du bist echt zu gut für diese Welt“, meinte Rakalla kopfschüttelnd, verschwand dann aber nach drinnen, um Zamakis zu informieren und ihre Mixturen zu holen.
Krystall wandte sich an Schwarzhuf. „Wir beide bleiben hier auf der Brüstung, Großer. Du da vorne und ich hier drüben. Wir übernehmen den Nahkampf.“ Als der Minotaurus brummend nickte, sah die junge Frau nochmals nach oben zu der Xaositektin. „Krixxi, es kann sein, dass die uns von ihren Schiffen aus beschießen. Versuch in dem Fall auszuweichen. Aber halte den Barrakuda ansonsten möglichst ruhig. Unsere Angreifer sind sicher mehr an Luftschiffkämpfe gewohnt als wir. Ein schlingerndes Deck würde uns also mehr schaden als ihnen.“
„Aye, Käptn“, rief die Goblinfrau herunter. „Figaro bleibt unten beim Getriebe und steuert dort die Auftriebskristalle. Ich regel den Rest von hier oben.“
Krystall lächelte. So putzig und wenig ernstzunehmend die pinkhaarige Mechanikerin und der sprechende Hahn oft wirkten, so sollte man sie doch keinesfalls unterschätzen, so viel hatte sie inzwischen gelernt. Beide waren hoch intelligent und behielten auch in brenzligen Situationen einen kühlen Kopf. Die Anführerin der Klingenengel hatte keinen Zweifel, dass sie sich auf das Geschick von Krixxi und Figaro im kommenden Kampf verlassen konnte. Dann kam Rakalla wieder aus dem Turm, im Arm eine große Truhe, und eilte zur anderen Seite der Brüstung, um die Schleuder dort mit einigen explosiven Tinkturen zu bestücken. Kurz darauf waren die Piraten auch schon in Reichweite für ihre Enterhaken. Zwei Luftschiffe flogen auf die Steuerbordseite des Barrakuda, wo Krystall und Schwarzhuf standen, eines auf die Backbordseite zu Rakalla. Dann flogen auch schon die ersten Enterhaken durch die Luft. Krystall zerschnitt das Seil des einen mit ihrem Rapier, während Schwarzhuf den anderen Haken packte, mit bloßer Kraft von seinem Seil abriss und über Bord warf. Gleichzeitig feuerte Rakalla offenbar ein alchemistisches Projektil ab, denn Krystall hörte ein Klirren von der anderen Seite des Barrakuda und dann die Flüche und das Husten der Piraten-Besatzung. Doch sie hatte keine Zeit, weiter darauf zu achten, denn von Steuerbord näherte sich nun auch das zweite Schiff. Schon versuchten zwei der Piraten, sich an Seilen herüber zu schwingen. Krystall empfing den Halbork mit ihrem Rapier, während Schwarzhuf den Tiefling am Kragen packte und durch einen einzigen Faustschlag ins Reich der Träume beförderte. Im Turm hatte Zamakis unterdessen offenbar eine Beschwörung gesprochen, denn durch einen Fensterspalt schoss ein Feuerstrahl, der das Segel des dritten Piratenschiffs in Brand setzte. Während sie gegen den Halbork kämpfte, sah Krystall, dass auf einem der Schiffe an Steuerbord mehrere Harpunenwerfer klargemacht wurden.
„Krixxi!“, rief die Anführerin der Klingenengel nach oben. „Ausweichmanöver!“
„Alles klar!“, kam sofort die Antwort. „Festhalten!“
Krystall klammerte sich an die Reling und sah, dass Schwarzhuf dasselbe tat. Dann legte Krixxi den Barrakuda auch schon in eine steile Kurve – und tatsächlich flogen drei der vier Harpunen an dem Gefährt vorbei. Die vierte jedoch schlug unter dem rechten Flügelgelenk ein. Vom Getrieberaum weiter unten konnte Krystall Figaro krähen hören, während er die Energiezufuhr zum Antrieb regulierte – und sie hoffte inständig, dass auch Rakalla auf der anderen Seite von Krixxis Absichten mitbekommen hatte. Eine giftgrüne Rauchwolke bei dem Schiff an Backbord kurz darauf zeigte, dass die Medusa noch an Bord war. Der Halbork, gegen den Krystall gekämpft hatte, war durch das Manöver ein Stück über den Balkon geschlittert, näherte sich nun aber wieder. Sein Fehler war, dass er sich nur auf sie fokussierte und den Minotauren außer Acht ließ. Dessen Faust traf ihn seitlich gegen die Schläfe, so dass er zu Boden ging.
„Danke, Schwarzhuf“, meinte Krystall und fasste die beiden Schiffe an Steuerbord ins Auge.
Auf einem versuchte die Crew gerade, das brennende Hauptsegel loszuschneiden und über Bord zu werfen. Auf dem anderen aber wurden wieder die Harpunenwerfer klargemacht, und zudem erhoben sich nun der Aarakocra und die Avariel in die Lüfte.
„Geh mal auf die andere Seite und schau, ob Rakalla Hilfe braucht“, wies Krystall Schwarzhuf an.
Der Minotaurus schnaubte, offenbar ein Geräusch der Zustimmung, und trampelte über die Holzdielen des breiten Balkons zur anderen Seite des Turmes. Währenddessen drang durch den Fensterspalt, hinter dem Zamakis stand, eine dichte Nebelwolke, die sich zwischen den Barrakuda und das Piratenschiff auf Rakallas Seite schob. Somit war auch dieses Schiff erst einmal keine unmittelbare Bedrohung mehr und Krystall konzentrierte sich auf den Aarakocra und die Avariel, die nun beide auf dem breiten Balkon landeten. Sie konnte sich ihrer zwar erwehren, doch sie waren geschickte Kämpfer. So war die Anführerin der Klingenengel froh, als Schwarzhuf wieder zurückkam. Die beiden Piraten schätzen die von dem Minotaurus ausgehende Bedrohung richtig ein, denn sie erhoben sich wieder in die Luft und gewannen ein wenig Abstand.
„Alles gut da drüben?“, fragte Krystall bei Schwarzhuf nach.
„Ja, passt alles“, schnaubte er. „Rakalla hat so ne Flasche mit zähflüssigem Zeugs auf den Boden geworfen. Als zwei Piraten an Bord geklettert sind, sind sie drauf ausgerutscht und konnten sich kaum auf den Beinen halten. Hab sie schlafen geschickt.“
„Gut. Dann halt dich fest, wir brauchen noch ein Ausweichmanöver.“ Krystall drehte den Kopf zu dem Fenster, hinter dem die Steuerung für den Barrakuda lag. „Krixxi! Wieder Harpunenangriff! Ausweichen!“
Die Goblinfrau rief eine Antwort, die Krystall unverständlich blieb, doch der Barrakuda legte sich zur Seite und scherte scharf nach Backbord aus. Dennoch ging ein Beben durch den fliegenden Fisch, als zwei der Harpunen ihr Ziel fanden. Diesmal waren Seile daran befestigt, mit denen die Piraten auf dem unbeschädigten Schiff sich nun näher an den Barrakuda heranzogen. Zusätzlich startete der Papageien-Aarakocra Angriffe aus der Luft, während die Avariel von oben mit Pfeil und Bogen schoss.
„Die eine Harpune hat den Antrieb getroffen!“ Krixxi streckte kurz den Kopf aus dem Fenster, zog ihn aber sofort wieder zurück, als ein Pfeil knapp an ihr vorbei sauste.
„Pass auf!“, rief Schwarzhuf besorgt.
Krystall fluchte leise, als sie sah, dass das Schiff an Backbord sich aus der Nebelwolke befreit hatte und nun ebenso die Harpunenwerfer bestückte. Sie musste sich eingestehen, dass es schlecht aussah – ziemlich schlecht. Vielleicht wurde Rakallas Medusenblick doch gerade eine Option. In diesem Moment tauchte unerwartet ein weiteres Schiff aus einer Wolkenbank auf. Der Anführerin der Klingenengel sank das Herz, doch dann begriff sie, dass dieses Luftschiff nicht zu den Piraten gehörte. Getragen wurde der hölzerne Schiffskörper von einem großen Ballon, gesteuert offenbar durch ein Zusammenspiel von Fächersegeln und Luftschrauben. Das Schiff war größer und von ganz anderer Bauart als die Gefährte der Piraten. Es schien vielmehr ein Handelsschiff zu sein – wenn auch ein bewaffnetes.
„He da!“, erschallte plötzlich eine Stimme bis herüber zu dem Barrakuda und den Piraten. „Nehmt zur Kenntnis, dass Piraterie in diesem Luftraum nicht geduldet wird. Dieses … Gefährt dort drüben untersteht somit dem Schutz von Zilargo Fracht. Es spricht Kapitän Maxime Duval von der Wolkenlied.“
Erstaunt ließ Krystall ihr Rapier sinken. Die Stimme vom anderen Schiff schien einen leicht quakenden Unterton zu haben, aber vielleicht lag das auch nur an dem offenbar magisch verstärkten Sprachrohr. Auch die Piraten hielten verdutzt in ihrem Tun inne, weder flogen weitere Harpunen noch zogen sie den Barrakuda näher zu sich.
„Zieht Euch zurück!“, warnte die Stimme von dem anderen Schiff, das Wolkenlied genannt worden war. „Sonst eröffnen wir das Feuer.“
Das Handelsschiff war nun deutlich näher herangekommen, und jetzt konnte Krystall auch erkennen, warum in der Stimme von dort ein Quaken mitschwang. An dem Sprachrohr stand ein kleiner froschartiger Humanoider mit gelb-grüner Haut und großen, goldenen Augen. Gekleidet war er in eine prachtvolle blau-weiß-goldene Uniform und er trug einen dazu passenden Dreispitz mit weißen Federn. Krystall musste fast schmunzeln. Der Kapitän des unverhofften verbündeten Schiffes war ein Grippli. Und wie um seiner Drohung Nachdruck zu verleihen, winkte er nun einem anderen Crewmitglied zu. Bei diesem wiederum handelte es sich um einen nilpferdartigen Giff, der den Kapitän um etwa das Dreifache überragte und ebenfalls eine prachtvolle Uniform mit goldenen Epauletten trug. Es schien sich um den Kanonier zu handeln, denn er richtete nun eine der Kanonen an Deck der Wolkenlied aus und setzte einen gut gezielten Warnschuss vor den Bug eines der Piratenschiffe. Die Navigatorin oben am Steuer, offenbar eine Luftgenasi, hielt das Schiff dabei souverän an Ort und Stelle.
„Was … was sind das denn jetzt für Leute?“, fragte Schwarzhuf verwirrt.
„Keine Ahnung“, gestand Krystall. „Aber offenbar sind sie auf unserer Seite, daher werde ich das jetzt einfach nicht hinterfragen.“
Die Piraten schienen ebenfalls nicht groß nachzudenken. Als das von dem Giff abgefeuerte Geschoss vor ihrem Bug explodierte, ließen sie die Seile los, mit denen sie sich zu dem Barrakuda hatten heranziehen wollen. Der Aarakocra und die Avariel zerrten ihre beiden bewusstlosen Kameraden in die Lüfte und transportieren sie, nicht ohne Mühe, zu dem noch intakten Schiff an Steuerbord. Dieses nahm dann das Schiff in Schlepp, dessen Hauptsegel Zamakis verbrannt hatte und suchte das Weite, ebenso wie das dritte Schiff an Backbord.
Der Grippli auf der Wolkenlied sah den flüchtenden Piraten mit einem zufriedenen Nicken hinterher, dann winkte er zu dem Barrakuda herüber. „Heda!“, grüßte er. „Akadis Segen, Reisende der Lüfte! Ich hoffe, niemand bei Euch an Bord ist verletzt?“
„Ich glaube nicht“, rief Krystall hinüber. „Dank Eures Eingreifens, wie ich betonen möchte. Ich danke Euch vielmals, Kapitän … Duval war der Name, nicht wahr?“
„So ist es. Kapitän Maxime Duval, zu Euren Diensten.“ Er griff sich an die Krempe seines Dreispitzes wie zu einem kurzen Salut. „Wir sind froh, dass wir helfen konnten. Seid Ihr der Kapitän dieses … Gefährts?“
Krystall musste lachen, über seinen Versuch, den Barrakuda einigermaßen höflich zu beschreiben wie auch aus Erleichterung über das glückliche Ende dieser Bedrohung. „Ja, der Kapitän hier bin ich wohl, wenngleich einer recht chaotischen und ungewöhnlichen Crew. Mein Name ist Krystall, sehr erfreut.“
Der massige Giff neben dem Grippli nickte ihr freundlich zu und Maxime Duval trat näher an den Rand der Reling. „Ich verstehe. Nun, Kapitän Krystall, ich lade Euch herzlich ein, an Bord der Wolkenlied ein Glas Bytopianischen Portwein zu trinken und und Euch ein wenig mit mir auszutauschen.“
Die Anführerin der Klingenengel wollte die Einladung gerade dankend annehmen, als Krixxi oben aus dem Kuppelfenster schaute. „Ähm, Leute? Ich glaube, wir haben ein Problem. Figaro sagt, der Hauptkonverter ist beschädigt. Wir müssen dringend Reparaturen durchführen, sonst war es das mit der Reise an Bord unseres Barrakuda.“
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Milani ist die Göttin der Freiheitskämpfer, der Aufstände und des
Kampfes gegen Unterdrückung aus dem Pathfinder Setting, die ich aber –
wie Sarins Göttin Iomedae – in das Planescape Setting integriert habe.




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