Mögen die Götter uns vor der Langeweile von Mechanus schützen!“

Bundmeister Karan

 


 

Zweiter Dametag von Savorus, 126 HR

Krystall schob sich ihren mit Federn geschmückten Hut in den Nacken und starrte ungläubig auf das Transportmittel, das Krixxi ihnen organisiert hatte. Man musste es wahrscheinlich ein Fluggerät nennen, auch wenn die Vorstellung schwerfiel, dass dieses monströse Konstrukt sich in die Lüfte erheben – und vor allem auch dort bleiben – sollte. Im Moment lag es allerdings noch am Boden, unweit der Torstadt Xaos, in der Krixxi das Ding von den Chaos-Ingenieuren gemietet hatte. Ironischerweise sah es aus wie ein Fisch. Ein dreißig Schritt langer Fisch aus wüst zusammengeschweißten Metallplatten, mit Flügeln aus Holzstangen und Segeltuch, deren Spannweite noch einmal das Doppelte seiner Länge maß. Auf dem Rücken des Ungetüms saß ein kuppelartiger Aufbau, aus dem die Schwingen ragten und in dessen unteren Stockwerken sich ein höchst kompliziert wirkendes Getriebe befand. Im oberen Teil war der Kuppelbau mit Holzdielen und sogar Mauerwerk verkleidet und besaß Fenster, eine Tür und einen kleinen Balkon … Dieser Bereich war wohl als Wohnraum für die Crew gedacht. Und die Crew, das sollte natürlich ihre Gruppe sein: die Mechanikerin Krixxi und der erweckte Hahn Figaro, der Minotaurus Schwarzhuf, die Medusa Rakalla, Zamakis, die Vampirin und sie selbst, die Anführerin der Klingenengel. Als sie ihren Blick endlich von der bizarren Monstrosität losreißen konnte, wandte Krystall sich der Goblinfrau zu.

„Ernsthaft? Wir sollen in dem Ding durch die Außenländer fliegen?“

„Ja sicher“, meinte Krixxi begeistert. „Das wird ein Riesenspaß! Und ein großes Abenteuer! Und eine ganz tolle und aufregende Reise! Wirst schon sehen.“

„Ich weiß nich“, meinte Schwarzhuf skeptisch und scharrte über den staubigen Boden. „Das sieht nich sehr vertrauenerweckend aus. Außerdem flieg ich nich gerne.“

„Das is voll vertrauenerweckend!“, widersprach Krixxi und stemmte empört die Arme in die Seiten. „Ich mein, seht euch das Prachtstück doch mal genauer an!“

„Tun wir“, entgegnete Zamakis trocken. „Genau daher kommen unsere Bedenken.“ Da inzwischen die Dämmerung hereingebrochen war, hatte die Vampirin sich aus dem Schutz ihrer Unterkunft gewagt und die Gruppe zum Liegeplatz des monströsen Fisches begleitet. Sie lehnte aber noch an der Hauswand eines nahen Schuppens, in den Schatten des vorspringenden Daches.

„Also, nehmt's mir nicht übel“, sagte die Goblinfrau und fuchtelte dabei mit ihrem kleinen Zeigefinger in der Luft herum. „Aber ihr habt alle nich so die große Ahnung von Mechanik. Aber Figaro und ich schon. Und wir sagen: Der Fisch wird ganz hervorragend fliegen.“

„In der Tat“, pflichtete der Hahn ihr bei und rückte dabei mit seinem mechanischen Bein seine Schweißerbrille zurecht. „Das Gefährt heißt übrigens Sturm-Barrakuda.“

„Das ist ja schön und gut“, meinte Krystall. „Aber ich verstehe die Vorbehalte von Zamakis und Schwarzhuf. Ich finde das Ding auch etwas … suspekt.“

„Ich find's ziemlich schick“, meinte Rakalla, während sie das riesige Konstrukt über den Rand ihrer dunkel getönten Brille hinweg musterte. „Und ich vertrau da auf die Expertise von Krixxi und Figaro. Wird schon passen.“

„Bist du nun doch unter die Zerstörer gegangen?“, fragte Zamakis mit leicht sarkastischem Unterton. „Ich meine, weil du deinen eigenen Untergang offenbar so rasch vorantreiben willst mit dem Ding.“

Die Medusa schnitt ihr eine kurze Grimasse, fasste dann aber wieder den Barrakuda ins Auge. „Nein, im Ernst, warum denn nicht? Gerade für dich, liebe untote Freundin, ist das doch ideal. Unter der Kuppel da oben können wir bei Tag hervorragend alles abdunkeln. Ich meine, die Außenländer haben nun einmal eine Sonne. Das macht das Reisen für dich nicht gerade einfach.“

Mit einem Seufzen wiegte Krystall den Kopf. An den Worten der Alchemistin war etwas dran. Ohne ein solches Transportmittel wären sie gezwungen, bei Tag stets zu rasten und vor allem auch rechtzeitig einen passenden Unterschlupf zu finden. Und nur bei Nacht zu reisen war wiederum für alle anderen in der Gruppe keine sehr erhebende Aussicht.

„Deswegen bin ich so gerne in Sigil“, erwiderte Zamakis. Für ein Mitglied der so emotionsarmen Staubmenschen war ihr Missvergnügen ihr recht deutlich anzumerken. „Aber ich muss zugeben, das ist ein Punkt für den Barrakuda.“

Schwarzhuf schnaubte unglücklich. „Versteh ich ja alles. Aber ich fühl mich echt nich wohl dabei. Was, wenn das Ding einfach mittendrin vom Himmel fällt?“

„Wird's nicht!“, versicherte Krixxi eifrig. „Nicht, wenn Figaro und ich das steuern. Wir sind echt gut in sowas, das musst du mir glauben.“

Doch der Minotaurus blieb skeptisch. „Ja, aber hast du schonmal sowas Großes gesteuert?“

„He!“ Die Goblinfrau grinste und entblößte dabei eine Reihe spitzer Zähne. „Auf die Größe kommt es nich unbedingt an, hm?“ Sie deutete auf sich selbst und dann auf Figaro.

Krystall musste schmunzeln. „Ja, da hast du schon Recht. Und je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr Punkte sprechen tatsächlich für den fliegenden Fisch: Zamakis kann damit unabhängiger und komfortabler reisen, wir kommen auf dem Luftweg deutlich schneller voran und sicherer sind wir da oben wahrscheinlich auch.“

„Falls uns keine Drachen oder so angreifen“, warf Schwarzhuf ein.

„Du bist ja heute besonders pessimistisch“, meinte Rakalla genervt und ihre Schlangen zischelten leise. „Selbst für nen Trostlosen, mein ich damit. Jetzt stell dich nicht so an.“

„Ich flieg halt nich gerne“, erwiderte der Minotaurus schnaubend, aber recht leise, so als schämte er sich für seine Ängste.

Sofort rannte Krixxi zu ihm hinüber und umarmte ihn herzlich - oder besser, sein rechtes Bein, denn höher als bis zum Knie reichte sie ihm nicht. „Macht doch nichts! Jeder macht irgendwas nicht gerne. Aber du wirst sehen, wenn wir erstmal abheben und so durch die Wolken gleiten – dann gefällt's dir sicher auch, Großer.“

Figaro nickte in seiner gemessenen Art. „Und falls dir die Höhe Unbehagen verursacht, mein stattlicher Freund, kannst du auch im Inneren der Kuppel verweilen. Es gibt dort sogar eine kleine Küche.“

Krystall lächelte. Der Hahn wusste, dass Schwarzhuf gerne kochte und sie fand seinen kleinen Schachzug an dieser Stelle durchaus geschickt. „Perfekt!“, unterstützte sie ihn daher. „Das heißt, Schwarzhuf wird der Schiffskoch. Ich nenne es mal so, weil der Barrakuda ja eine Art Luftschiff ist, einverstanden?“

„Oh ja!“ Krixxi hüpfte vor Begeisterung auf und ab. „Wir anderen brauchen aber auch Titel … ähm, Positionen … also, Bezeichnungen … Na, ihr wisst schon. Krystall ist Kapitän!“

Die Anführerin der Klingenengel lachte. „Wirklich? Also, das fände ich schon reizvoll, falls niemand was dagegen hat.“

„Das ist in Ordnung“, meinte Rakalla grinsend. „Du übernimmst für alles die Verantwortung. Dazu hat hier sonst eh niemand Lust.“

„Ja, schon klar.“ Krystall knuffte die Medusa scherzhaft in die Seite. „Und ihr anderen? Also, Krixxi und Figaro sind die Bordmechaniker, das ist unstrittig.“

Die Goblinfrau nickte eifrig. „De fructo … oder wie man da sagt. Und Rakalla könnte den Posten des Kanoniers übernehmen. Sie hat immer so tolle explosive Sachen.“

„Es heißt de facto“, korrigierte Figaro gelassen. „Fructus ist die Frucht auf Olympisch. Explosive Komponenten würde ich übrigens durchaus auch der Revolutionsliga zuschreiben. Aber da die Anarchistin schon Kapitän ist und auch stets betont, dass sie nichts sprengt ...“

„Was auch stimmt“, warf Krystall grinsend ein. „Fehlt nur noch ein Posten für Zamakis.“

Die Vampirin, die die ganze Diskussion mit unbewegter Miene aus dem Schatten heraus verfolgt hatte, hob nun eine ihrer feinen, wie mit Tusche gezeichnete Brauen. „Schiffsärztin“, stellte sie trocken fest.

Daraufhin mussten alle herzlich lachen, sogar Schwarzhufs Stimmung wurde durch diese Bemerkung deutlich aufgelockert. Zamakis selbst lachte nicht, jedoch zeigte das Schmunzeln, das schnell wie Quecksilber über ihre Lippen huschte, dass sie die Bemerkung ganz gezielt gemacht hatte. Der trockene Witz, den die Untote oft an den Tag legte, erheiterte Krystall einmal mehr. Da sollte einer sagen, die Staubmenschen hätten keinen Humor. Dann blickten sie wieder auf den am Boden liegenden Barrakuda.

„Also gut, dann sind wir uns einig?“, fragte Rakalla. „Wir nehmen den fliegenden Fisch, um nach diesen zwei ominösen Leuten zu suchen?“

Krystall nickte. „Bin dabei. Ich meine, dieses skurrile Gefährt passt immerhin perfekt zu der absurden Mission: Ein Toter in der Leichenhalle hat zu Zamakis gesprochen und ihr gesagt, dass wir eine Hüterin und einen Verkünder suchen sollen.“

„Von denen wir weder ihre richtigen Namen wissen noch, wie sie aussehen“, fügte die Medusa an.

„Stimmt.“ Krixxi kaute nachdenklich auf einer Strähne ihres pinken Haares, die ihr ins Gesicht gefallen war. „Zamakis, warum hast du die Leiche nicht danach gefragt?“

„Habe ich versucht“, erklärte die Vampirin. „Er hat mir aber leider nicht mehr geantwortet. Es war auch erst das zweite Mal, dass ein Verstorbener mit mir gesprochen hat. Ich durchschaue diese Gabe leider selber noch nicht so ganz.“

„Da kannst du dich mit uns zusammentun“, erklärte Rakalla seufzend. „Na gut, dann lasst uns mal loslegen.“

Krystall nickte. „Hast du schon eine Idee, wie wir vorgehen?“

„Ich doch nicht“, antwortete die Medusa grinsend. „Wir machen einfach irgendwas und dann schauen wir mal. Wie immer eben.“

„Klingt nach einem hervorragenden Plan!“, meinte Krixxi begeistert.

„Das ist eben genau kein Plan“, erwiderte Zamakis trocken.

„Dann eben hervorragender kein Plan“, entgegnete die Goblinfrau unbekümmert. „So, und nun kommt. Ich muss mir nochmal das untere Getriebe ansehen. Ich finde, das lief noch nicht so ganz rund ...“

So vor sich hin plappernd hüpfte sie in Richtung des mechanischen Barrakuda, während Schwarzhuf ob dieser Information ein verzweifeltes Schnauben hören ließ. Krystall schmunzelte. Wenn dies nicht der Beginn einer chaotischen, aber denkwürdigen Reise war, was dann?

 

 

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