„Ich bitte dich, furchtlos zu sein. Wage die mutigen Schritte, auch wenn es nur kleine sind.
In jede erdenkliche Richtung, in die du nur gehen willst. “
Abt Elevius, Lereias Ziehvater aus dem Eldath Kloster
Zweiter Leeretag von Savorus, 126 HR
Nach einem Gespräch mit Bundmeister Ambar verließ Lereia die Große Gießerei, um sich mit Morânia am Marktplatz zu treffen. Sie wollten gemeinsam eine Liste mit Besorgungen für die Mission in das Elysium erstellen und diese tätigen. Auf dem Weg zur Rikscha, die Lereia in den Marktbezirk nehmen wollte, hing sie noch einmal kurz ihren Gedanken nach. Sie genoss die Gespräche mit ihrem Bundmeister immer sehr. Abgesehen davon, dass sie sich stets besonders wohl in seiner Gegenwart fühlte, war sie auch sehr interessiert an den Dingen, die er ihr zu Sigil oder den Gläubigen der Quelle erklärte. An diesem Tag hatten sie über die unterschiedlichsten Themen gesprochen, unter anderem hatte er ihr von dem Großen Umbruch und der Entstehung ihres Bundes erzählt. Wie Sigil vor rund sechshundert Jahren auf den Befehl der Dame hin umorganisiert worden war, dabei jedoch auch viele den Tod gefunden hatten. Aber letztendlich waren fünfzehn Bünde geblieben, die von da an die Stadt organisierten und ihr eine ruhigere Ära brachten. Als Lereia im Marktbezirk ankam, ging sie zu einem kleinen Café, in dem sie sich zunächst mit der Bal'aasi treffen wollte. Sie war ein paar Minuten zu spät und beeilte sich, da ihr Unpünktlichkeit zutiefst zuwider war, insbesondere wenn sie es selbst war, die zu spät kam. Kurz darauf betrat Lereia das kleine Café und sah sich darin um. Die Einrichtung war etwas einfacher als in einem Lokal im Kuratorenbezirk, aber dennoch wirkten die kleinen eckigen Holztische mit den hübschen zarten Blumenvasen in der Mitte sehr gemütlich. Morânia saß bereits an einem der Tische.
Lereia ging zu ihr hinüber und nahm lächelnd Platz. „Der Segen der Dame, Morânia! Entschuldige bitte die Verspätung. Ich war noch in einem Gespräch mit Bundmeister Ambar und hatte darüber wohl etwas die Zeit vergessen. Und manchmal verschätze mich noch darin, wie lange man hier von einem Ort zum anderen braucht.“
„Der Segen der Dame“, erwiderte Morânia freundlich und winkte dann ab, als Lereia sich für die Verspätung entschuldigte. „Ach was, ist ja keine große Sache. Und nur zu verständlich, dass man sich in einer Stadt wie Sigil leicht mal verschätzt, was das angeht.“
„Allerdings. Ich bin schon froh, wenn ich mich nicht zu oft verirre“, meinte Lereia mit einem leichten Lachen. „Im Moment ist alles eher wie ein ewiger Lernprozess, bezüglich der Stadt, des Bundes und den ... anderen Dingen. Aber es ist auch sehr spannend.“
Als die halbelfische Kellnerin zu ihnen trat, sah Lereia kurz auf ein Schild nahe des Eingangs. „Oh, für mich bitte einen Celestischen Mokka, extra süß. Und ein Obsttörtchen.“
Morânia bestellte einen extra starken Baatorianischen Kaffee und drei geschlagene Schildkröteneier mit rotem Pfeffer. „Schön, dass du dich immer mehr einlebst“, meinte sie lächelnd. „Wenn ich dir bei irgendetwas helfen oder dich unterstützen kann, sag bitte jederzeit Bescheid.“
„Das ist ein sehr freundliches Angebot und ich würde auch sehr gerne darauf zurückkommen. Vielleicht kannst du mir ein paar Freizeitaktivitäten hier in Sigil zeigen, das ist bisher leider immer zu kurz gekommen. Falls du dazu Lust hast? Hinsichtlich des Bundes erfahre ich auch immer mehr. Bundmeister Ambar hat mir heute gesagt, dass er nun mein sogenannter Pate im Bund ist und mir einiges über die Gläubigen der Quelle erzählt.“
„Oh, eine Kryptistin, die mit einem Sinnsaten verheiratet ist, kann dir da sicher einiges zeigen“, antwortete Morânia lachend. „Und herzlichen Glückwunsch zu deinem prominenten Paten. Das kann auch nicht jeder von sich behaupten.“ Sie zwinkerte Lereia scherzhaft zu.
„Da bin ich mir sicher und ich freue mich darauf“, antwortete Lereia erfreut. „Danke. Es ist wohl nicht wirklich üblich, dass ein Bundmeister Pate für ein neues Mitglied ist, aber vermutlich genießen die Erwählten manchmal eine gewisse Bevorzugung. Aber eigentlich bin ich nur froh, dass ihn die letzten Ereignisse mit meiner ... Gabe ...“ Sie zögerte eine Weile, ehe sie weitersprach. Die Erinnerung an den Moment, als sie ausgerechnet Ambar verletzt hatte, traf sie noch immer schwer. „Also, dass er sich deshalb nicht distanziert hat. Aufgrund meiner Vergangenheit weiß ich, dass das nicht selbstverständlich ist, und seine Güte und sein Glauben an mich bestärken mich in vielerlei Hinsicht.“ Lereia musste nun bei diesen Worten lächeln.
Morânia nickte verständnisvoll. „Ja, ich kann mir gut vorstellen, dass das eine beängstigende Erfahrung war, was dir da passiert ist. Ich kannte Ambar vorher nicht, habe ihn erst bei unserem gemeinsamen Treffen mit den Bundmeistern das erste Mal persönlich getroffen. Allerdings, nach allem, was ich von ihm gehört hatte und auch, wie ich ihn nun erlebe, hätte es mich gewundert, hätte er sich von dir distanziert.“
Lereia dachte darüber nach, was Ambar ihr früher an diesem Tag zur Entstehung der Gläubigen der Quelle und den ersten Bundmeistern erzählt hatte. Auch was er ihr bereits über die Philosophie des Bundes beigebracht hatte. Dabei lernte sie immer etwas mehr über sich selbst, dass die Hürden und Rückschläge, die sie in ihrem Leben erlebt und letztendlich überwunden hatte, sie hatten wachsen lassen. Sie hatte dadurch an Stärke und auch an Entschlossenheit gewonnen, sich nicht durch Unwegsamkeiten aufhalten oder entmutigen zu lassen. Und irgendwie fühlte es sich nach so einer Prüfung des Lebens auch immer besser an. Auch Ambars persönliche Geschichte, die er ihr bereits in Teilen erzählt hatte, von seiner Frau, seiner Mutter und dem schlimmen Erlebnis, als er sie beide verloren hatte, hatte sie tief bewegt. Und ihr war einmal mehr klar geworden, warum er Bundmeister der Göttermenschen war. Er war natürlich auf den ersten Blick ein besonders attraktiver Mann, freundlich, charmant, wortgewandt und ein sehr angenehmer Gesprächspartner. Aber Lereia stellte immer häufiger fest, je mehr Zeit sie mit ihm verbrachte und je besser sie ihn kennen lernen durfte, dass noch mehr dahinter steckte. Dass er eine besondere Stärke, Kraft und Entschlossenheit besaß. Und dies beeindruckte sie, das konnte sie nicht leugnen. Sie selbst zeigte diese Seite an sich auch eher selten, aber irgendwie hatte sie das Gefühl, dass dies ein Punkt war, der ihren Bundmeister und sie auf gewisse Weise verband.
Sie nickte auf Morânias Worte hin. „Ich hätte es ihm nicht übel genommen, aber du hast Recht, es würde nicht zu ihm passen. Und auch nicht zur Philosophie unseres Bundes. Ich muss sagen, dass es sich wirklich richtig für mich anfühlt, dass ich den Gläubigen der Quelle beigetreten bin. Ich fühle mich dort irgendwie ... ich weiß nicht ... angekommen, würde ich sagen. Ich denke auch nicht, dass für mich das Leben hier in Sigil und insbesondere im Bund enden wird, wenn die Sache mit der Prophezeiung einst vorbei sein sollte.“
„Es freut mich zu hören, dass du mit dem Gedanken spielst, Sigil auch über diese Sache hinaus als deine Heimat in Betracht zu ziehen“, erwiderte Morânia. „Es kann ein schwieriger Ort sein, aber es ist auch eine unglaublich faszinierende Stadt. Ich persönlich könnte mich niemals ganz oder auf Dauer von ihr trennen.“
„Ja, ich denke, ich verstehe langsam die Faszination dafür. Es war für mich - oder eigentlich ist es für mich - immer noch eine ganze schöne Umstellung und es war auch nicht leicht für mich, mein Leben komplett umzuwerfen. Aber bisher habe ich nichts bereut. Das Besondere an Sigil ist ja auch, dass man nie zu weit entfernt ist, um durch ein Portal zu gehen und etwas Abstand zu gewinnen. Ich brauche das Leben in der Natur und regelmäßige Streifzüge durch die Wildnis, und das muss ich selbst hier nicht missen. Außerdem gibt es hier doch einige Personen, die mir dabei helfen, mich einzuleben, im Bund, aber auch außerhalb. Ich freue mich auch sehr, dass wir einmal die Zeit finden, uns etwas mehr zu unterhalten. Ansonsten machen das ja eher unsere Männer“, meinte Lereia mit einem Schmunzeln. „Freust du dich schon auf das Elysium? Es ist deine Heimat, nicht wahr?“
„Meine andere Heimat, ja.“ Morânia nickte. „Ich bin zu etwa gleichen Teilen in Sigil und im Elysium aufgewachsen. Inzwischen bin ich aber öfter im Käfig als im Paradies, insofern freue ich mich immer sehr, wenn ich das Elysium besuchen kann.“
„Das klingt auf jeden Fall nach Abwechslung. Ich bin schon sehr gespannt auf das Elysium.“ Lereia lächelte. „Wahrscheinlich braucht man auch manchmal diesen Kontrast zum Käfig. Ambar erzählte mir auch vom Bundhauptquartier der Göttermenschen außerhalb von Sigil. Er will mir den Palast bald zeigen, was irgendwie schon unwirklich für mich klingt.“
Sie musste etwas lachen. Ambar hatte ihr erzählt, dass manch einer in Sigil ihn für dekadent hielt, aber sie fand es sehr großzügig und gedankenvoll von ihm, dass er für die Bundmitglieder einen schönen Ort geschaffen hatte, der eine Abwechslung zum harten und arbeitsreichen Alltag im Unteren Bezirk und der Großen Gießerei darstellte.
„Oh, Euer planares Bundhauptquartier ist wunderschön.“ Morânia nickte. „Wir waren einmal dort, als wir - nicht ganz freiwillig allerdings - auf der Ätherebene waren, meine alte Gruppe und ich. Da war es noch nicht ganz vollendet, aber es war schon damals ein beeindruckender Anblick.“
„Ja, das hörte ich schon oft. Ich freue mich schon sehr darauf und hoffe, ich habe die Gelegenheit, ein wenig Zeit dort zu verbringen“, erwiderte Lereia, ehe sie den letzten Schluck vom süßen, aber dennoch starken Mokka nahm. „Oh, wusstest du, dass Ambars Vorgängerin aufgestiegen ist?" Sie wirkte nun sehr begeistert, fast enthusiastisch.
„Ich habe davon gehört“, bestätigte Morânia. „Ich war aber nie sicher, ob das nur ein Gerücht oder tatsächlich die Wahrheit ist.“
„Außerhalb des Bundes zweifeln natürlich viele daran, aber es gibt anscheinend einige Hinweise, die es bestätigen“, antwortete Lereia mit einem Lächeln.
Sie hatte keinen Zweifel an Ambars Erzählungen über Curran. Dass sie einigen der Kleriker Priesterzauber gewährte und einige Göttermenschen zu ihr beteten. Lereia nahm sich vor, Ambar bei Gelegenheit noch einmal zu dieser spannenden Sache zu befragen. Ihr war erst jetzt bewusst geworden, dass sie ihn gar nicht gefragt hatte, wo der Aufstieg passiert war. Denn soweit sie es bisher verstanden hatte, wäre dies in Sigil direkt eigentlich nicht möglich. Sie schob nun ihren leeren Teller beiseite und legte ein paar Münzen auf den Tisch.
„Wollen wir zum Großen Basar und sehen, was wir für uns und die anderen noch für die Reise gebrauchen könnten?“
Morânia nickte. „Sehr gerne.“
So verließen die beiden Frauen das Café, schlenderten eine Weile über den Basar und fanden noch einige nützliche Dinge und Proviant für die bevorstehende Reise. Lereia stellte fest, dass sie Morânias Gesellschaft als sehr angenehm empfand und freute sich darauf, in Zukunft vielleicht öfter etwas mit ihr zu unternehmen. Vielleicht auch außerhalb der Prophezeiung und den anstehenden Missionen und Aufgaben.
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geschrieben von Lereia's Spielerin, basierend auf unserem Foren-Rollenspiel




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