„Mit einer offenbar monumentalen Truppenbewegung haben Tanar’Ri-Streitkräfte die Kontrolle über den heiß umkämpften Hügel in Othrys gewonnen, den man „die Steine von Draetilus“ nennt. Obwohl sie in einem der ungastlichsten Sümpfe des Multiversums liegen, sind die Draetilus-Steine immer einer der begehrtesten Preise im Blutkrieg geblieben. Berichten zufolge handelt es sich bei diesen Steinen um mächtige Portale zu zahlreichen Reichen und Städten im ganzen Multiversum. Direktor Tenemus Al Karak, zweiter Bibliothekar im Tresor des Wissens, erzählte SIGIS, dass die Steine gemäß historischen Aufzeichnungen Durchgänge zu strategisch wichtigen Punkten in Mungoth (dritte Subebene von Gehenna), auf der Materiellen Ebene und im Käfig selber öffnen.“
Meldung in SIGIS
Dritter Untertag von Zehent, 126 HR
Etwas gedankenverloren lehnte Morânia an einer Fensterbank in ihrem Haus im Marktbezirk und beobachtete ihren Mann Naghûl dabei, wie er den Tisch deckte: Er stellte Gläser und zwei Karaffen hin, eine mit Wasser und eine mit Ysgardischem Eiswein. Dann holte er Teller und Gabeln und stellte am Ende stolz eine selbst gebackene Torte auf den Tisch. Morânia musste ein wenig schmunzeln über seine Freude und Begeisterung dabei. Die Küche war sein Reich, da mischte sie sich nicht ein. Und da sie Gäste erwarteten, hatte Naghûl es sich natürlich nicht nehmen lassen, etwas zu backen – nicht, dass er dafür je einen besonderen Grund gebraucht hatte. Nach den unerwarteten und auch durchaus aufwühlenden Erlebnissen im Haus der Visionen hatten sie alle sich erst einmal ein wenig sortieren müssen, wollten sich aber ein paar Tage später bei Morânia treffen. An nämlichen Tag hatte Lereia jedoch leider absagen müssen, das sie zu einem Treffen mit ihrem Bundmeister gerufen worden war. Auch Sgillin konnte nicht kommen – dringende Geschäfte, wie er sagte, über die er nichts Näheres erzählen wollte. Morânia hatte Naghûl danach gefragt, doch der hatte nur mit den Schultern gezuckt und erklärt, nicht darüber im Bilde zu sein. Aber Sgillin wisse sicher, was er tue. Das hoffte Morânia natürlich ebenso, doch konnte sie ein leichtes, ungutes Gefühl dabei nicht loswerden. Geschäfte, über die man Freunden gar nichts sagen wollte oder durfte, waren ihrer Erfahrung nach nicht die erstrebenswertesten. Doch sie hatte sich vorerst damit zufrieden gegeben, und so warteten sie nun auf Jana und Kiyoshi. Der junge Soldat erschien dann auch überaus pünktlich, die Hexenmeisterin nur wenige Minuten später. Im Gegensatz zu Kiyoshi, der still und höflich, ja ernst unweit der Tür stehen blieb, sah Jana sich sogleich neugierig um.
„Hübsch“, bemerkte sie gut gelaunt. „Gemütlich und ruhig.“
„Danke“, erwiderte Morânia lächelnd. „Ich wohne hier schon eine ganze Weile. Seit … etwa fünfzig Jahren, meine Güte.“
„Ach je.“ Jana machte große Augen, als sie Morânia musterte. „Wenn ich in fünfzig Jahren nur auch noch so frisch aussehen würde.“
Diese Art von Reaktionen, vor allem von kurzlebigeren Völkern wie Menschen, war der Bal'aasi durchaus vertraut. Fast entschuldigend hob sie die Schultern. „Tja, dieses Mischerbe muss ja auch ein paar Vorteile haben.“
Diese Antwort schien Jana ein wenig zu irritieren und sie runzelte die Stirn. „Also, das ist schon ein gewaltiger Vorteil, oder?“
„Ich denke schon“, räumte Morânia ein. Die Nachteile, die es speziell für sie mit sich brachte, verdrängte sie gerne und wollte sie im Moment gewiss nicht thematisieren. „Wenn man das Glück hat, einen Partner zu finden, auf den das ebenso zutrifft. Ansonsten kann es sicher auch belastend sein.“
Sie musste kurz an Lereia und Sgillin denken – bei weitem nicht das einzige Paar, auf das diese Tatsache zutraf, aber das letzte, mit dem sie jüngst zu tun gehabt hatte. Nun mischte sich glücklicherweise Naghûl ein, der scherzhaft tadelnd darum bat, die düsteren Themen fallen zu lassen und stattdessen seine Torte zu würdigen. Darauf konnten sich alle einigen und nahmen um den gedeckten Tisch herum Platz. Naghûl schnitt die Torte an und verteilte große Stücke auf die einzelnen Teller, während Morânia den Gästen Getränke anbot. Ihr fiel auf, dass Kiyoshi den Eiswein ablehnte und sich mit Wasser begnügte. Ob er sich als im Dienst befindlich ansah, generell keinen Alkohol trank oder ihm einfach gerade nicht danach war, konnte sie nicht ganz ergründen. Dann widmeten sie sich erst einmal Naghûls wie immer vorzüglicher Torte. Janas Tischmanieren ließen dabei durchaus zu wünschen übrig, aber Morânia versuchte, sich ihr leichtes Missfallen darüber nicht anmerken zu lassen. Sie kannte das bereits von ihr. Kiyoshi hingegen schien mit der Gabel nicht so recht umgehen zu können, versuchte es aber tapfer. Die Bal'aasi vermutete, dass er wahrscheinlich zwei Stäbchen bevorzugt hätte, wenn die kulinarischen Gepflogenheiten seiner Kultur denen im Lotusblütendistrikt vergleichbar waren. Nach dem zweiten Stück Torte sah Jana dann zu Morânia.
„Bist du nun wieder öfter in Sigil? Wegen der Prophezeiung und so?“
Die Bal'aasi nickte. „In der Tat. Die Sache mit der Prophezeiung ist der Grund, warum ich viele meiner Aufgaben im Orden in Meresin jemand anderem übertragen habe. Ich weiß, ich muss nun öfter in Sigil sein.“
Die Hexenmeisterin seufzte ein wenig. „Und ich vertraue Terrance und glaube ihm, dass das hier sehr wichtig ist. Nur deshalb bin ich hier. Aber was ist eigentlich nun der nächste Schritt? Ich denke mal, die anderen Erwählten finden sowie eine vollständige Abschrift der Prophezeiung erstellen. Wir kennen ja offenbar nur Fragmente, also ... ich glaube, wir sollten dringend versuchen, die Reste auch noch zu finden.“
„Das sehe ich auch so“, stimmte Morânia zu. „Vor allem, da ich ja angedeutet habe ... seltsame Wortwahl ... dass man auch in anderen Bünden Bescheid weiß - und zum Teil gegen uns arbeitet.“
„Ja, das ist der nächste Punkt“, meinte Jana, während sie sich zu Naghûls Begeisterung ein drittes Stück Torte nahm. „Wir sollten ganz dringend herausfinden, wer unsere Gegenspieler sind. Außerdem werde ich aus diesen Fähigkeiten nicht schlau. Ich meine, ich scheine irgendwo hinsehen zu können, das ist noch recht simpel.“
„Simpel ist meine Fähigkeit“, entgegnete Naghûl. „Ich sehe wirre Zahlen und keiner kann damit etwas anfangen. Vielleicht haben wir aber schon ein paar Anhaltspunkte, was die anderen Bünde betrifft.“
„Haben wir?“ fragte Jana mit vollem Mund.
„Ja. Erinnert ihr euch, was Toranna sagte? Da waren zwei vor uns da und wollten ebenfalls Informationen. Die Frau war der Beschreibung nach wohl beim Roten Tod. Der Mann vielleicht bei den Herrschnern oder beim Prädestinat.“
„Roter Tod.“ Morânia seufzte tief. „Großartig.“
„Bei denen haben wir wenigstens den Vorteil, dass Sarin und Mallin recht gut können“, gab Naghûl zu Bedenken. „Aber was Skall in der Sache planen könnte, das will ich gar nicht wissen. Ich stellte mir gerade vor, wie er vor der Göttermaschine steht und dem ganzen Multiversum den Wahren Tod befiehlt.“
Er schüttelte sich und Kiyoshi sah den Sinnsaten deutlich unbegeistert an. Auch Jana schauderte kurz und holte dann tief Luft.
„Ich werde das Bild im Kopf behalten. Als Erinnerung, wie wichtig das hier ist. … Ihr denkt also, dass genau diese Bünde, ähnlich wie unsere, zusammen und damit gegen uns arbeiten?“
„Nun ja, es gibt schon ein paar Bünde, denen ich eine Zusammenarbeit zutrauen würde“, meinte Morânia. „Die Staubmenschen würden möglicherweise durchaus mit den Trostlosen und den Sinken kooperieren.“
„Und die Gnadentöter?“ wandte Jana ein. „Also, die können doch nicht wirklich am Wahren Tod aller Wesen im Multiversum interessiert sein. Das würde dann doch auch Unschuldige betreffen.“
Morânia wiegte nachdenklich den Kopf. „Wer weiß, ob sie da auch mit drinstecken. Was, wenn die wieder mit jemand anderem zusammenarbeiten? Wie eben den Herrschnern oder dem Prädestinat?“
„Mir fällt da etwas ein“, unterbrach Naghûl ihre Gedankengänge. „Die Botin sagte doch, dass die Erwählten keine Seelen-Signatur haben, oder?“
„Das hat sie … habe ich … gesagt, ja.“ Die Bal'aasi merkte, wie schwer es ihr noch fiel, sich in diese neue Rolle einzufinden. Selbst die geeignete Wortwahl stellte sie vor gewisse Herausforderungen.
„Aber es gab doch auch dieses Skelett, das keine Signatur hatte“, spann Naghûl seinen Gedanken weiter. „Kann es sein, dass nur Wesen mit einem Bewusstsein eine Signatur haben? Schließlich geht es ja um die Signatur einer Seele, die wiederum meiner Meinung nach ganz klar mit einem Bewusstsein zusammenhängt.“
Alarmiert hob Morânia die Brauen bei dieser Schlussfolgerung. „Ähm … soll das dann heißen, wir hätten kein Bewusstsein? Keine Seele?“
„Also, ich habe ein Bewusstsein“, stellte Jana kurz und sachlich fest.
„Ach Quatsch“, beschwichtigte der Tiefling sogleich. „Wir sind nur eben besonders, denke ich.“
Morânia musste ein wenig lachen. „Du drehst es dir schon so hin, dass es passt, hm?“
„Also, ich glaube“, warf Jana ein, „dass Lereias Fähigkeit genauso spezifisch ist wie die von uns anderen.“
Den Zusammenhang zu Naghûls Bemerkung konnte die Bal'aasi nicht herstellen und runzelte daher fragend die Stirn. „Was meinst du mit spezifisch?“
„Na ja, ich sehe ja nicht irgendetwas“, erklärte die Hexenmeisterin. „Ich sehe etwas ganz bestimmtes, einen sorgfältig ausgewählten Abschnitt. So wie Naghûl auch etwas ganz exaktes sieht, nämlich eine Zahl. Oder Sgillin, der seinen Körper ja sicherlich nicht wahllos mit jedem tauscht.“
Nun begann Morânia zu verstehen. „Und ich gebe bestimmte Antworten und Kiyoshi hört bestimmte Dinge von Metallfratzen an der Wand. Du meinst, Lereia nimmt uns einfach nicht wahr, damit wir einander erkennen?“
Jana klatschte in die Hände. „Genau! Ob jemand eine Signatur hat oder nicht, ist etwas, das wir aus einem bestimmten Grund genau wissen. Ich meine, vielleicht steckt auch noch mehr dahinter, aber es gibt einen Grund, da bin ich sicher.“
„Genau“, stimmte Naghûl ihr zu. „Und ich bin überzeugt, dass es auch etwas mit dem Bewusstsein zu tun hat. Daher hat ein einfaches, stumpfes Skelett keine Signatur, der gehobene, arrogante Vampir aber schon.“
„Weil der eine Seele hat …“ Morânia nickte nachdenklich. „Ja, wäre schon möglich.“
Jana aß das letzte Stück Torte und schob mit einem Seufzen ihren Teller zurück. „Dann haben wir aber zwei vollkommen unterschiedliche Kriterien, die über das Vorhandensein einer Signatur entscheiden können. Zum einen die Existenz einer Seele oder eines Bewusstseins und zum anderen die Tatsache, dass wir irgendwie besonders sind. Einmal hat jemand keine Signatur, weil er keine Seele hat und einmal, weil er so ist wie wir.“ Sie raufte sich die Haare und gestikulierte heftig beim Reden. „Andernfalls wäre es ja auch zu offensichtlich gewesen ...“
In diesem Moment hob Kiyoshi eine Hand und sein oft so ausdrucksloser Blick war nun eindeutig verwirrt. „Verzeiht, aber hört Ihr das auch?“ fragte er.
Morânia hielt kurz inne, um zu horchen, schüttelte dann aber den Kopf. „Ich höre nichts außer unserem Gespräch.“
Der Blick des jungen Mannes wurde noch irritierter und er schien auf etwas zu lauschen.
„Was hörst du denn?“ wollte Jana wissen.
„Worte …“, erwiderte Kiyoshi langsam und stand auf.
Er drehte den Kopf, versuchte anscheinend auszumachen, woher die nur für ihn hörbaren Geräusche kamen. Auch Naghûl sah sich lauschend um, schüttelte aber ebenso den Kopf. Jana holte ein Notizbuch aus der Tasche, ganz als wolle sie die abwesende Lereia vertreten, die ansonsten immer alles notierte.
„Kannst du die Worte wiederholen?“ fragte sie den jungen Soldaten.
Kiyoshis dunkle Augen wanderten ernst und aufmerksam durch den Raum. „Herz“, sagte er dann. „Winter ... fürchten ... allein ... gehen ... Bitte ... Morgentau ... Staub ... Disteln ... kalt ... warum ...“
Eilig schrieb Jana alles mit, was er wiedergab, während Morânia ihn etwas besorgt musterte.
„Habt Ihr das öfter?“ fragte sie.
„Eigentlich nicht“, erwiderte Kiyoshi. „Es sind Worte in der Alten Sprache und ...“ Er unterbrach sich abrupt und sprach nicht weiter, sondern schloss die Augen und hielt sich die Schläfen, als hätte er plötzlich heftige Schmerzen. Dann riss er die Augen wieder auf und schüttelte den Kopf, als ob er versuchte, etwas los zu werden. Er schien gegen irgendetwas anzukämpfen – doch dann platzte es aus ihm heraus. „Rudhirena!“ rief er, fast verzweifelt. Dann sank er erschöpft in seinen Stuhl zurück.
Morânia wollte zu ihm gehen, doch als Kiyoshi das Wort in der Alten Sprache ausrief, wurde es plötzlich dunkel im Raum und ein Gefühl der Bedrohung legte sich über sie wie eine schwere Decke. Ganz kurz spürte sie die Anwesenheit von etwas Uraltem und Mächtigem. Und dann war sie sich sicher, dass dieses Wort etwas im Raum verändert hatte ... Es dauerte nur einen Lidschlag, dann war es vorüber. Jana hatte sich schaudernd im Stuhl zusammengekauert und den Kopf zwischen den Schultern eingezogen. Ein rascher Blick zu Naghûl verriet Morânia, dass er ebenso erschrocken war wie sie. Und Kiyoshi selber schien kaum weniger entsetzt über das, was gerade geschehen war. Morânia ließ ihren Blick durch den Raum schweifen, versuchte festzustellen, ob das Gefühl, dass etwas anders war, zutraf. Sie konnte jedoch keine Veränderungen feststellen … bis sie zuletzt den Fußboden betrachtete. Eine größere Blutlache befand sich neben der Bank nahe des Eingangs ...
„Huch!“ Sie erhob sich rasch und deutete zu der Stelle, um auch die anderen darauf aufmerksam zu machen.
Jana wurde blass und Naghûl schluckte einmal kräftig. Er stand ebenso auf, ging zu Morânia und griff nach ihrer Hand – immer noch wortlos, was sehr untypisch für ihn war. Kiyoshi saß immer noch etwas mitgenommen in seinem Stuhl und wandte sich nun an Morânia.
„Verzeiht die Unannehmlichkeiten“, entschuldigte er sich, „Aber das war wohl ich.“
„Ich ... fürchte auch, dass Ihr das wart“, erwiderte die Bal'aasi und nahm Naghûls Hand.
Sie spürte, dass sie noch immer schauderte. Natürlich kannte sie Illusionszauber, das war nichts Ungewöhnliches in Sigil, wo sie aber meist zur Unterhaltung eingesetzt wurden. Auf ihren Abenteuern hatte sie ebenfalls damit Bekanntschaft gemacht, dann meistens mit weniger harmlosen oder lustigen Varianten. Doch das hier war anders gewesen. Irgendwie fremdartiger, dunkler … Und war es überhaupt eine Illusion? Oder hatte Kiyoshi hier vielmehr echtes Blut erschaffen? Jana stellte sich offenbar dieselbe Frage, denn sie erhob sich nun, um näher an den Fleck neben der Bank heran zu treten. Dann tauchte sie vorsichtig einen Finger in das Blut und wollte daran riechen, doch sobald sie es aufnahm, verblasste es bereits und war schon nach einem Lidschlag verschwunden. Sie zögerte kurz, kniete sich dann hin und versuchte, das Blut vom Boden aufzulecken.
„Jana, bitte …“ Morânia schüttelte den Kopf. Sie kannte Jana schon eine Weile und wusste um ihr manchmal ungewöhnliches Verhalten. Aber die Hexenmeisterin schaffte es immer wieder, sie doch noch zu irritieren.
„Ich spüre und schmecke nichts …“, erklärte Jana sachlich, während sie sich wieder erhob. „Also, echt ist es auf jeden Fall nicht.“
Naghûl war ebenso etwas näher an die Blutlache getreten und wirkte nun einen Zauber, den Morânia als einen Versuch einordnen konnte, Magie zu bannen. Doch das Blut blieb. Es war also auch keine Illusion im eigentlichen arkanen Sinne. Dann plötzlich kam ihr ein Gedanke.
„Naghûl, mir fällt da etwas ein …“ Sie ging um den Blutfleck herum zur Bank. „Hier saß ich doch einmal, nachdem ich bei dem Kampf am Graben gegen diesen Tiefling verletzt worden war. Das ist schon über dreißig Jahre her, erinnerst du dich? Da habe ich hier einiges an Blut verloren, aber erst, als du seinen Dolch aus mir herausgezogen hast.“
Naghûl weitete überrascht die Augen. „Ja, natürlich! Das war eine unschöne Sache …“
Sie war plötzlich vollkommen sicher. Es war ganz genau die Stelle, an der sie damals viel Blut verloren hatte. „Ich denke, das käme von der Menge her hin.“
„Hier ist ja auch noch ein Fleck“, bemerkte Jana.
Sie deutete auf eine Stelle weiter im Raum, und tatsächlich. Sie waren so auf den ersten entdeckten Fleck fixiert gewesen, dass sie gar nicht bemerkt hatten, dass sich noch weitere im Raum befanden …
„Hast du hier auch gestanden, als du damals verletzt wurdest?“ fragte Jana.
Naghûl schüttelte den Kopf. „Nein, ich brachte sie ins Schlafzimmer.“
Doch Morânia erinnerte sich, und es wurde ihr ein wenig mulmig dabei. „Aber da an der Ecke habe ich mal eine Schädelratte erschlagen, die in mein Haus gekommen war ...“
„Jetzt macht ihr mir Angst ...“, murmelte Jana leise.
Kiyoshi erhob sich nun wieder aus seinem Stuhl und verneigte sich kurz gen Morânia „Ich bitte vielmals um Vergebung, dass ich Euer Haus in Unordnung gebracht habe“, erklärte er entschuldigend und so sachlich, als habe er lediglich ein Glas umgeworfen.
Morânia musste ein wenig schmunzeln ob der Ernsthaftigkeit seiner Worte, die so gar nicht zur Situation passten. Genau wie Naghûl ihn ihr beschrieben hatte, in der Tat. Jana hingegen war noch eine Spur blasser geworden, als ihr ein neuer Gedanke kam.
„Was ist, wenn wir nun überall Blut sehen?“ fragte sie tonlos. „Alles, das irgendwann irgendwo vergossen wurde?“
Alarmiert trat Naghûl ans Fenster und blickte hinaus. „Also, draußen sehe ich nichts“, erklärte er. „Und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass da niemals in der Geschichte Sigils Blut vergossen wurde. Selbst wenn wir uns hier im Marktbezirk befinden.“
Morânia spähte in die Küche und fand ihre nächste Vermutung bestätigt, als sie auch dort Blut fand. „Naghûl, da in der Küche hast du dir mal ziemlich heftig in den Finger geschnitten, der Boden war voller Blut.“ Sie sah zu Kiyoshi. „Ihr könnt scheinbar sichtbar machen, wo in der Vergangenheit Blut vergossen wurde.“
„Dem scheint wohl so, ehrenwerte Morânia-sama“, stimmte er zu.
Jana deutete auf einen anderen Fleck nahe am Eingang. „Und was ist hier passiert?“
„Das sagt mir tatsächlich nichts“, erklärte die Bal'aasi. „Vielleicht geschah es, ehe ich hier einzog.“
Kiyoshi betrachtete den Fleck nachdenklich. „Oder möglicherweise wird hier erst noch in der Zukunft Blut vergossen.“
„Ja, wer weiß?“ Morânia seufzte leise und sah mit Unbehagen auf die vielen Blutflecken in ihrem Haus. „Ich hoffe nur, es verschwindet wieder.“
Sie schüttelte den Kopf. Bereits das zweite Treffen zwischen ihr und den anderen Erwählten hatte nun eine sehr unerwartete Wendung genommen. Und etwas sagte ihr, dass das erst der geradezu lächerlich harmlose Anfang war …
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gespielt am 31. Mai 2012




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