„Portale sind der einzige Weg in die Stadt Sigil hinein und aus ihr heraus. Sie gelten daher als öffentliches und allgemeines Gut, und niemand darf privat ein Portal besitzen.
Den Zugang zu einem Portal zu blockieren, wird durch Brandmarken bestraft. Gebühren für die Benutzung eines Portals zu erheben, wird ebenfalls durch Brandmarken oder auch öffentliches Auspeitschen bestraft.
Die Zerstörung von Portalen sowie das Experimentieren mit Portalen oder deren Manipulation zieht die Todesstrafe ohne Möglichkeit der Berufung oder Begnadigung nach sich.“
Punkt 3 unter „Die Fünf Größeren Vergehen in Sigil“, so erlassen - 496 HR
Erster Kuratorentag von Zehent, 126 HR
Sarin saß gemeinsam mit seinen beiden Legaten an dem langen Besprechungstisch in seinem Büro, zwei Männern, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Tonat Shar, mittelgroß, aber sehr athletisch gebaut mit kurzem, rotblondem Haar und Bart, war meist ernst, korrekt und eher verschlossen im Umgang mit Untergebenen, aber wegen seines Gerechtigkeitssinns dennoch sehr angesehen. Der Halbelf Killeen Caine dagegen, hochgewachsen und muskulös, mit langem, schwarzem Haar, war truppennah, ungezwungen und lebenslustig. Für einen ranghohen Harmoniumsoffizier besaß er eine überraschend lockere Art, die ihm früher des Öfteren Ärger eingebracht hatte, ihn bei seinen Leuten jedoch sehr beliebt machte. Gerade diese Unterschiede aber waren es, die sich so gut ergänzten und wiederum gemeinsam mit des Bundmeisters eigener Persönlichkeit die drei Männer zu einer so hervorragenden Einheit machte. Sie waren seit vielen Jahren eng befreundet, hatten nicht nur gemeinsam unter Lady Juliana gedient, sondern auch schon lange vorher eine Einheit gebildet. Tonat und Killeen waren für Sarin enge Freunde, ja eher wie Brüder, und jeder würde für die anderen durchs Feuer gehen. Verständlich also, dass Killeens violette Augen nun mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und Irritation funkelten.
„Und das alles erzählst du mir erst jetzt?“
Tonat grinste ein wenig, denn es war haargenau die Bemerkung, die er vorausgesagt hatte. Der Bundmeister konnte Killeens Reaktion nachvollziehen, doch er hatte gute Gründe gehabt, den Halbelfen erst jetzt nach Sigil zu rufen und in diese Sache einzuweihen.
„Deine Mission für Nemausus war sehr wichtig und anspruchsvoll“, erklärte er ruhig. „Ich wollte nicht, dass irgendetwas dich davon ablenkt.“
Die Erwähnung der dritten Arcadischen Subebene ließ Killeen ein wenig in sich zusammensinken und entlockte ihm ein Seufzen.
„Ich wünschte, die Mission wäre so erfolgreich gewesen, wie sie wichtig war.“
Er wirkte sichtbar niedergeschlagen und es schmerzte Sarin, dass sein Freund sich die Sache so zu Herzen nahm.
„Wir wussten, dass die Chance auf Erfolg sehr gering war“, meinte er begütigend. „Aber wir mussten es versuchen.“ Als Killeen nur nickte, seinem Blick dabei aber auswich, runzelte der Paladin die Stirn. „Du hältst es doch nicht für dein persönliches Verfehlen?“
Der Halbelf hob resigniert die Schultern. „Nun ja … Ich überlege mir natürlich schon, ob ich irgendwo einen Fehler gemacht habe.“
„Hast du irgendwelche Informationen, die du zu Beginn der Mission hattest, ignoriert oder übersehen?“, fragte Tonat ruhig. „Hast du während der Mission unüberlegt gehandelt oder zu riskante Befehle gegeben? Bist du zu irgendeinem Zeitpunkt leichtsinnig oder unvorsichtig gewesen?“
Killeen blickte zu seinem Freund und Amtskollegen hinüber, dachte kurz über dessen Fragen nach und schüttelte dann den Kopf. „Nein.“
„Dann liegt auch kein Fehler bei dir, Killeen“, stellte Tonat sachlich fest, und Sarin nickte bekräftigend auf die Worte seines Sigiler Stellvertreters hin.
Als Killeen diese Bemerkung nur mit einem weiteren Seufzen quittierte, fasste der Bundmeister ihn fester ins Auge. „Du denkst doch nicht etwa, ich würde dir das anlasten?“
„Nicht wirklich“, erwiderte der Halbelf und sah ihm nun wieder in die Augen. „Ich wollte dich nur nicht enttäuschen, das ist alles.“
Der Paladin beugte sich vor, griff nach dem Unterarm seines Legaten und sah ihn ernst an „Killeen“, sagte er mit Nachdruck. „Ich kann dir eines versichern: Seit ich vor über zwanzig Jahren meinen Fuß in diese Stadt gesetzt habe, hast du mich noch nie, niemals, nicht ein einziges Mal enttäuscht.“
Nun lächelte der Halbelf, zu Teilen erleichtert, zu Teilen gerührt, und griff kurz nach des Bundmeisters Hand auf seinem Arm. „Danke, Sarin.“
Das Lächeln hatte seine violetten Augen erreicht, wie der Paladin beruhigt zur Kenntnis nahm, und er erwiderte es warm. Er hatte sich nicht wirklich Hoffnungen gemacht, dass die heikle und anspruchsvolle Mission, mit der er Killeen betraut hatte, die verlorene Subebene würde zurückbringen können. Doch er hatte es versuchen müssen, so gering die Chance auf Erfolg auch gewesen war. Aber einen Offizier mit einer fast aussichtslosen Mission zu betrauen, war nie eine leichte Entscheidung, umso mehr wenn es sich bei jenem Offizier auch noch um einen der besten Freunde handelte, die man besaß. Es war ihm daher wichtig, dass Killeen zumindest nicht das Gefühl hatte, er würde ihm etwas anlasten, obwohl er alles in seiner Macht Stehende getan hatte. Ein letzter Blick sagte ihm jedoch, dass alle Befürchtungen dahingehend ausgeräumt waren, auch von Killeens Seite aus. Der Halbelf entspannte sich nun wieder deutlich in seinem Stuhl und kam auf das ursprüngliche Thema des Gespräches zurück.
„Wissen Faith und Lady Juliana davon? Oder meine Schwester?“
„Ich werde es Juliana erzählen, wenn sie das nächste Mal in Sigil ist“, erklärte Sarin. „Das wird in ein paar Wochen sein. Faith weiß natürlich Bescheid und Amariel habe ich kürzlich ebenfalls ins Bild gesetzt.“
Der Halbelf ließ das soeben Gehörte offenbar noch einmal gedanklich Revue passieren und schüttelte dann den Kopf. „Nun, das alles ist ja wirklich eine wilde Geschichte, meine Freunde.“ Dann erschien ein amüsiertes Grinsen auf seinen Lippen. „Und sie dachten wirklich, dass ich dieser Stockwürger bin?“
Sarin musste schmunzeln. „Nicht alle von ihnen, zu ihrer Verteidigung.“
„Aber ausgerechnet der Halbelf“, erwiderte Killeen, offensichtlich gut amüsiert.
Nun lachte auch Tonat, er war in der vertrauten Runde mit seinen beiden Freunden deutlich lockerer als für gewöhnlich. „Ja, köstlich, nicht wahr? Ich weiß ja, du wurdest schon für vieles gehalten, aber das ist wirklich ein Höhepunkt deiner Karriere.“
„Allerdings.“ Noch immer grinsend griff der Magier zu der Karaffe mit Jamjubeeren-Saft auf dem Tisch, um sich ein Glas einzuschenken.
Sarin wusste, er hätte in dieser Situation gewiss ein Glas Wein bevorzugt. Killeen trank zwar nicht zu viel, aber doch regelmäßig und gerne, nicht selten auch mit den Truppen. Doch er trank niemals im Dienst.
„Der Stockwürger, also wirklich …“ Der Halbelf lehnte sich wieder in seinem Stuhl zurück. „Sachen macht ihr mir hier im Käfig, wenn ich auf Arcadia bin. Und was wolltest du dann bei diesem Ittosai?“
Mit einem mahnenden Ausdruck zog Sarin die Brauen zusammen. „Diesem Ittosai? Ich muss doch sehr bitten, Killeen, wir sprechen hier immerhin über den Fürsten einer Materiellen Welt. Ein wenig mehr Respekt wäre angemessen.“
Das wieder war die Kehrseite der lockeren und ungezwungenen Art seines Arcadischen Legaten. Doch wie gewohnt ließ der Halbelf sich sofort durch seines Bundmeisters Tadel in seinem Verhalten korrigieren und hob entschuldigend die Hände.
„Verzeihung. Daimyo? Oder wie war das? Wie heißt die Welt gleich nochmal?“
„Kamigawa“, erklärte der Paladin. „Kannte ich vorher auch nicht, sie scheint vom Rest des Multiversums einigermaßen abgeschnitten zu sein. Stell sie dir kulturell ähnlich vor wie auf Arcadia den Kirschblütengarten oder das Reich von Izanagi und Izanami. Und ja, Kiyoshi bezeichnete ihn als Daimyo Musashi Ittosai.“
Killeen nickt verstehend. „Dessen … Leibeigener er war?“
„So in etwa, wie sich bei meinen Gesprächen mit ihm herausgestellt hatte. Er bezeichnete sich als Ashigaru des Daimyo, was mir eine Art einfacher Fußsoldat zu sein scheint. Und er erklärte mir, dass sein Dienst für seinen Daimyo im Zweifelsfall schwerer wiege als der für mich.“
Er hob bei diesen Worten vielsagend die Brauen und Killeen pfiff leise durch die Lippen.
„Oh oh … Also, das ist ein starkes Stück.“
„Allerdings.“ Mit einem Seufzen lehnte sich Sarin zurück. „Ich habe ihm erklärt, dass etwas Derartiges im Harmonium überhaupt nicht geht und wir das klären müssen.“
Nun schlich sich wieder ein schelmischer Ausdruck in die violetten Augen des Halbelfen. „Und da reiste der Bundmeister des Harmoniums höchstselbst auf eine unbekannte kleine Materier-Welt, um mit einem der dortigen Lokal-Fürsten über einen einfachen Rekruten zu verhandeln. Beim Lichte Arcadias ...“
Erneut hob Sarin mit einem Ausdruck leichter Missbilligung die Brauen. „Wie du es nur immer schaffst, so despektierlich zu klingen, wenn du über die Materielle sprichst.“
„Verzeih mir“, entschuldigte sich Killeen sogleich. „Ich meine das eigentlich gar nicht so. Aber mein Haupt-Schnittpunkt mit der Materiellen ist Ortho, daher … gebranntes Kind und so.“
Das wiederum konnte der Paladin ihm nicht verdenken und da er zudem wenig Lust verspürte, seinen Legaten erneut zu maßregeln, winkte er gnädig ab. „Schon gut. Um auf das Thema zurück zu kommen: Ja, es war ein sehr ungewöhnlicher Vorgang, da hast du Recht. Und wäre Kiyoshi nicht ein Erwählter der Ring-Prophezeiung, hätte ich einen Teufel getan. Dann hätte er seine Sachen packen und wieder gehen müssen. Aber stattdessen habe ich seiner Welt einen Besuch abgestattet.“
Nun beugte Tonat sich interessiert in seinem Stuhl vor, denn die Details dieser Reise waren auch ihm noch neu. „Und wie war der Daimyo so?“
Sarin konnte ein Schmunzeln nicht verbergen. „Deutlich entspannter als ich mir das nach den Gesprächen mit Kiyoshi und dem Auftreten seiner Landsleute mir gegenüber erhofft hatte. Er lud mich ein, mit ihm über das Thema abseits des Thronsaales in privaterer Atmosphäre zu sprechen – was Kiyoshi ziemlich zu entsetzen schien. Wahrscheinlich ein ziemlicher Protokoll-Bruch. An seiner Seite war ein alter Mann, den er mir als seinen Berater vorstellte – und von dem ich sicher bin, dass er nicht nur ein gewöhnlicher Mensch war. Er hatte eine machtvolle Aura, die ich wahrnehmen konnte, obwohl sie gedämpft war.“
Tonat nickte. „Sehr mysteriös. Aber ich nehme an, jeder Fürst braucht seine Geheimnisse. Und was sagtest du ihm dann?“
„Ich habe ihm erklärt, dass es nicht geht, dass jemand im Harmonium zwei Herren dient und ihn gebeten, Kiyoshi aus seinen Diensten zu entlassen. Damit diese Bitte nicht ganz so dreist wirkt, deutete ich ihm zumindest vage an, dass Kiyoshi für mich deshalb so wichtig ist, weil er eine Rolle in einer alten Prophezeiung spielt. Und nun kommt es ...“
Alarmiert hob Killeen die Brauen. „Sag nicht, der Daimyo wusste davon ...“
Sarin lehnte sich zurück und wiegte den Kopf. „Nicht ganz so direkt, aber in gewisser Weise ja. Ihm war offenbar gesagt worden, dass er Kiyoshi eines Tages in den Käfig zwischen den Welten abgeben solle.“
„Das ist ja …“ Tonat fuhr sich grübelnd über den Bart. „Diese Sache zieht weitere Kreise, als ich geahnt hätte.“
„In der Tat“, erwiderte Sarin seufzend. „Weitere als mir vielleicht lieb ist. Aber so sieht es aus, und aus diesem Grund entließ der Daimyo Kiyoshi dann auch aus seinen Diensten und überstellte ihn in meine. Nicht ohne mir noch zu verraten, dass Kiyoshi drachische Vorfahren hat.“
Killeen weitete ein wenig die Augen. „Das wird ja immer bunter. Er ist drachenblütig? Von welcher Art?“
„Der Abkömmling eines Messingdrachen“, erklärte der Bundmeister. „Und ja, ich weiß, man sieht ihm bisher nichts an. Aber natürlich kann dieses Erbe ja auch erst später im Leben hervortreten. Das Interessante ist, dass er es möglicherweise selbst nicht einmal ahnt.“
Tonat nickte ernst. „Dann sollten wir ihn dahingehend wohl etwas im Blick behalten. Nur falls er Unterstützung braucht, sollte sein Erbe zum Vorschein kommen.“
„Ja, das denke ich auch“, stimmte Sarin zu. „Ich werde Amariel dahingehend instruieren. Und sie bitten, ihn dabei auch über einige Dinge ins Bild zu setzen, die uns allen hier vielleicht selbstverständlich erscheinen, es aber scheinbar nicht sind.“
Dieser Zusatz und auch der angestrengte Ton, in dem der Paladin ihn anfügte, ließen Killeen aufhorchen. „Was meinst du?“
Sarin seufzte tief. „Als ich von der Unterredung mit dem Daimyo zurückkehrte, beglückwünschte ich Kiyoshi dazu, dass er nun mir gehören würde. Ich sagte ihm natürlich sogleich, dass das ein Scherz wäre, für den Fall, dass er das nicht korrekt einordnen konnte – das wäre ja nicht das erste Mal gewesen. Aber er erwiderte todernst, dass er da nicht so sicher sei. Denn die Kami hätten gehört, wie er vom Besitz des Daimyo in meinen übergegangen sei. Was er oder ich dabei denken würden, sei bedeutungslos.“
Beide Legaten runzelten irritiert die Stirn, doch Killeen war, wie meist, schneller mit einem Kommentar.
„Ähm … also gut, aber selbst wenn die Kami dieser Welt das so sehen sollten: Hat das denn irgendeine Konsequenz für dich oder Kiyoshi?“
„Ich hoffe nicht“, erwiderte der Paladin mit Nachdruck. „Aber worauf ich hinaus will … und jetzt kommt das Allerbeste: Zu diesem Thema meinte er, ich könnte einen Priester dazu befragen, weil diese manchmal mit ihren Kami sprechen können. Oder … einen mächtigen Paladin.“ Als er die zweifelnden Mienen seiner beiden Freunde sah, lehnte er sich mit einem neuerlichen Seufzen zurück. „Genau, ihr habt richtig gehört: Er sagte mir geradeheraus ins Gesicht, ich könnte einen mächtigen Paladin fragen. Ich dachte, ich hätte mich verhört.“
Tonat schüttelte in einer Mischung aus Amüsement und Missbilligung den Kopf, während Killeen herzlich auflachte.
„Er wusste nicht, dass du Paladin bist? Na, da hast du dir ja ein Früchtchen angelacht. Zu seiner Verteidigung: Er ist wirklich verdammt neu in Sigil. Und wie soll es nun weitergehen?“
Sarin schmunzelte etwas. Ja, Killeen hatte Recht. Kiyoshi war so unerfahren in den Ebenen, dass er ihm diese Unwissenheit in der Tat nicht nachtragen konnte. Es war nur sehr ungewohnt, dass jemand so wenig bis gar nichts über ihn wusste, vor allem seit er Bundmeister war. Auf der anderen Seite war es auch irgendwie erfrischend.
„Im Moment macht Kiyoshi erst einmal die Grundausbildung“, erklärte er seinen Legaten. „Dafür war vor den Stock-Morden keine Zeit gewesen. Aber ich halte es für sinnvoll, damit wir ihn auch mit gutem Gewissen einen Soldaten des Harmoniums nennen können. Danach sehen wir weiter.“
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basierend auf dem Rollenspiel mit Kiyoshis Spieler am 10. Mai 2012




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