Gewiss, mit der Zeit bricht alles in sich zusammen.

Die Philosophie der Schicksalsgarde, zum Beispiel.“

Autor von Des Bundmeisters Manifest 

 


 

 

Zweiter Gildentag von Retributus, 126 HR

 

Rakalla lehnte an einer Hausecke auf dem Arcadia-Boulevard und sah finster über den Rand ihrer dunkel getönten Brillengläser hinweg. Präziser gesagt starrte sie hasserfüllt und nicht ohne Mordgedanken auf die Kaserne. Alles mussten sie sich unter den Nagel reißen, die verdammten Dickschädel. Nun war Eliath dort drin, und wer konnte schon ahnen, wann sie ihn wieder würden gehen lassen. Sie hatte einige Tage zuvor beobachtet, wie er abends mit ein paar Leuten die Schwarzen Segel verlassen hatte. Zwei Menschen – ein Mann und eine Frau – , ein Tiefling, ein Halbelf und irgendeine weißhaarige Tussi, was auch immer sie darstellen mochte. Rakalla war ihnen gefolgt, hatte sie in ein Haus nahe der Großen Gießerei gehen sehen. Nach einer Weile war ihr die Warterei zu dumm geworden und sie hatte einem Imp ein wenig Klimper zugesteckt, damit er das Haus im Auge behielt. Am nächsten Morgen hatte sie erneut vorbei geschaut, doch laut dem gierigen kleinen Scheusal hatte Eliath, im Gegensatz zu dem Tiefling und dem menschlichen Mann, das Haus nicht verlassen gehabt. Und in der Tat hatte sie die nun kleinere Gruppe bald wieder aufbrechen sehen. Sie war schon drauf und dran gewesen, den Haufen anzusprechen, Eliath ganz direkt zu fragen, warum er plötzlich mit ihnen herumhing. Doch irgendetwas hatte sie zurückgehalten. Eine vage Ahnung, dass die andere Gruppe ähnliche Interessen an Eliath haben könnte wie sie selber. Ein Gefühl, dass sie keinen Verdacht auf sich lenken sollte. Dass die drei Eliath zur Kaserne gebracht hatten, wo auch der Tiefling und der Mensch wieder aufgetaucht waren, war natürlich wenig erfreulich gewesen. Noch unerfreulicher, dass der Mensch offenbar zum Harmonium gehörte. Das hatte noch gefehlt. Nun waren bereits mehrere Tage vergangen, seit Eliath in die Kaserne gebracht worden war, und er war immer noch nicht zurückgekehrt. Zwar konnte es natürlich sein, dass er einfach nicht mehr in die Waffenkammer gekommen war. Aber er war auch nicht in seiner Wohnung gewesen, die Rakalla seitdem beobachtet hatte beziehungsweise hatte lassen. Die Medusa haderte mit sich und ihrer Unentschlossenheit. Gewiss, sie konnte zu Pentar gehen. Seit klar war, dass sie eine Rolle in jener merkwürdigen Prophezeiung spielte, hatte sie einen sehr viel direkteren Draht zur Bundmeisterin als ihr lieb war. Als Beobachterin hatte sie kein allzu herzliches Verhältnis zu Pentar – und ihre Bundmeisterin hingegen schätzte Rakallas neutrale Einstellung zur Entropie nicht allzu hoch. Dennoch würde sie ihm Rahmen dieser nebulösen Prophezeiung eng mit ihr zusammenarbeiten müssen, und schon das allein genügte, um Rakalla in eine gereizte Grundstimmung zu versetzen. Sie wollte nicht noch mehr Unstimmigkeiten, also vielleicht sollte sie Pentar einfach sagen, dass Eliath in der Kaserne war. Wenn er nicht bald wieder heraus kam, dann konnte der Bundmeister der Dickschädel das ja persönlich mit Pentar ausdiskutieren, und allein dieser Spaß wäre die Sache ja fast wert gewesen. Fast allerdings nur … Rakalla wurde den Gedanken nicht los, dass Eliath gar nicht zu den Sinkern gewollt hatte, nicht wirklich. Jene Vision von Lathander hatte ihm das eingegeben, und er schien selber seine Zweifel zu haben. Zu Recht, wie Rakalla schon gefunden hatte, bevor Zamakis ihr erzählt hatte, was auf der Feuerebene im Gange war. Die Vampirin hatte sich recht knapp gefasst, doch es war genug gewesen, um zu erahnen, dass Eliath aus ganz anderen Gründen zur Schicksalsgarde gegangen war als wegen einiger salbungsvoller Worte des Morgenfürsten. Rakalla mochte Eliath und machte sich Sorgen, was Pentar wohl mit ihm anstellen konnte. Sie hatte ihrer Bundmeisterin daher noch nichts von dem Gespräch mit Zamakis berichtet – aber das war auch gar nicht nötig. Gewiss hatte Faktor Trevant mit Pentar darüber gesprochen, ebenso wie mit Lhar und Karan. Nur, dass sie zu dem Hork und dem Gith mehr Zutrauen gehabt hätte als zu ihrer eigenen Bundmeisterin, wenn es um Eliath ging. Und das war ein Grund mehr, schlecht gelaunt zu sein. Zu verraten, wo sich Eliath aufhielt, war also vielleicht auch nicht die beste Idee. Ihre Unschlüssigkeit machte sie noch wütender. Manchmal wünschte sie sich in diesen Tagen zurück nach Pelateia. Die Schöne auf den Hügeln. Oder die Gorgonen-Stadt, wie manche sie auch einfach nannten. Doch egal, welcher Name auch gewählt wurde: ihre Heimat. Ihre alte Heimat, ehe sie nach Sigil gekommen war. Die einzige planare Metropole, die fast ausschließlich von Medusen und einigen anderen Geschuppten bewohnt wurde. Ihre Mutter war noch dort, ebenso wie ihre Schwester. Natürlich, auch dort war nicht alles schön und gut gewesen. Bei ihren gegenwärtigen Problemen in Sigil verdrängte sie, dass es auch gute Gründe gegeben hatte, die Stadt zu verlassen. Aber sie vermisste die Wärme dort. An der Grenze zu Makshapuram gelegen, war es dort stets sonnig und heiß, wie alle Medusen es schätzten. Rakalla vermisste die Strahlen der Sonne auf ihrer Haut, die Hände auf den aufgeheizten Stein der Gebäude zu legen und die Wärme geradezu in sich aufzusaugen. Sigil war zu oft kühl und klamm, und obgleich keine wirkliche Kaltblüterin, so fühlte sich Rakalla als Medusa bei kühlen Temperaturen doch steifer, langsamer, unbeweglicher. Allein das Wetter in Sigil war oft ein Grund, schlecht gelaunt zu sein, die Dickschädel waren ein weiterer. Die nervtötenden Zerstörer in ihrem eigenen Bund ein dritter. Und doch hatte Sigil auch Vorzüge – derer genügend, um in der Stadt zu bleiben, trotz der Unannehmlichkeiten. Nirgendwo sonst kam sie so schnell und leicht an all die Zutaten, die sie als Alchemistin benötigte wie hier in einem Zentrum des planaren Handels. Außerdem war die Stadt so vielseitig, so lebendig und erfüllt von den verschiedensten Völkern, dass es jeden Tag etwas Neues zu entdecken und zu erleben gab, was Rakallas angeborener Neugier entgegen kam. Nicht zuletzt war ihr Bund hier stark und bot ihr Rückhalt. Und natürlich hatte sie inzwischen auch Bande geknüpft, Freunde hier gefunden. Die Barbarin Lyssa zum Beispiel oder den Tiefling Haer'Dalis. Eliath würde sie noch nicht wirklich einen Freund nennen, aber sie mochte ihn. Fühlte sich auf seltsame Weise irgendwie verantwortlich für ihn. Und dann waren da seit Kurzem noch die anderen. Nicht von ihrem eigenen Bund, aber von Bünden, die dem ihren nahestanden. Zamakis war eine Vampirin und gar nicht so leicht einzuschätzen, doch etwas an ihrer stoischen Art, wie sie sich nie aus der Ruhe bringen ließ, sprach Rakalla an. Es bildete einen Gegenpol zu ihrem eigenen impulsiven, aufbrausenden Wesen, der ihr manchmal durchaus willkommen war. Der Minotaurus Schwarzhuf war für einen Trostlosen recht gesellig, dabei ruhig und ausgeglichen, so lange man ihn nicht unnötig provozierte. Er machte den Eindruck von jemandem, der für seine Freunde durchs Feuer gehen würde, und auch wenn er bislang noch nicht viel von sich preisgegeben hatte, hatte sie doch den Eindruck, ihm bis zu einem gewissen Grad vertrauen zu können. Und dann war da noch …

„He, was stehst'n du da so rum und ziehst ne Flappe?“

Krixxi. Genau. Rakalla mochte die feyblütige Mechanikerin mit dem pinken Haar. Sie war liebenswert und baute tolle Sachen, aber ihre hibbelige Goblinart konnte auch nerven. Warum die Xaositektin sich gerade hier herumtrieb, ob sie gar nach ihr gesucht und wie sie sie gefunden hatte, war Rakalla nicht ganz klar. Doch nun stand sie neben ihr, zupfte an ihrem Ärmel und freute sich offenbar, sie entdeckt zu haben. Krixxis Blick wanderte zu ihrem Schlangenhaar.

„He, kann ich einer der Schlangen eine Maus füttern?“

Rakalla seufzte. „Die essen nichts.“

„Echt nicht?“ Krixxi reckte sich auf die Zehenspitzen, um ihre rechte Hand neugierig nach einer der Schlangen auszustrecken.

„Nein, aber sie können vorwitzigen Goblin-Mädchen einen Finger abbeißen.“

Erschrocken zog die Xaositektin die Hand zurück. Rakalla ließ sie in dem Glauben, damit sie sich von ihrem Haar fernhielt. Ein kurzer Blick zu dem nun hinter Krixxi auftauchenden Figaro verriet der Medusa, dass er ihr die Geschichte nicht abkaufte. Er, das war ein Hahn. Ein ansehnlicher, großer Hahn mit weißem Gefieder und blaugrünen Schwanzfedern. Es gab jedoch einige Auffälligkeiten an ihm. Zum einen hatte er rechts ein mechanisches Bein. Zum anderen trug er eine Schweißerbrille mit grünen Gläsern und noch einige andere Ausrüstung am Körper: am linken Bein eine gläserne Ampulle mit einer grünen Flüssigkeit, um den Bauch einen ledernen Werkzeuggürtel mit diversen Utensilien und auf dem linken Flügel einen Aufsatz mit mehreren Täschchen. Insgesamt gab er ein recht auffälliges und selbst für Sigil ungewöhnliches Erscheinungsbild ab.

„Hallo, Rakalla“, grüßte er sie.

Sie nickte ihm zu und hob die Rechte, um ihm kurz zuzuwinken. Figaro war kein gewöhnlicher, sondern ein erweckter Hahn, was bedeutete, er hatte durch einen Zauber eine deutlich erhöhte Intelligenz und ein Humanoiden vergleichbares Bewusstsein erhalten. In der Tat schien sein Intellekt den vieler Humanoider sogar zu übertreffen, da er offenbar in kurzer Zeit das Mechaniker-Handwerk erlernte hatte. Er war der ständige Begleiter - und offenbar der beste Freund – von Krixxi. Die beiden waren ein wirklich ungewöhnliches Paar, und gemeinsam mit ihnen, Schwarzhuf und Zamakis bildete Rakalla eine Gruppe, die des Käfigs durchaus würdig war, wie sie fand. Wozu sie diese Gruppe bildeten … Nun, das war eine andere Frage, auf die niemand von ihnen bisher eine wirkliche Antwort hatte. Ihre Bundmeister hatten die Fragmente einer uralten Prophezeiung gefunden und daher beschlossen, in einer Sache zusammen zu arbeiten, die mit einer so genannten Göttermaschine in Zusammenhang stand. Sie hatten von Leuten mit merkwürdigen Träumen im Stock gehört und vermutet, dass einer von ihnen vielleicht der so genannte Träumer sein konnte, von dem die Prophezeiung sprach. Offenbar war das jedoch eine falsche Spur gewesen. Zumindest hatten die Staubmenschen ein größeres Problem ihres Bundes aufgedeckt. Schön für sie, doch in der Frage nach dem Sinn der Prophezeiung hatte sie das leider nicht weiter gebracht.

„Willst du da jetzt reingehen und nach dem Eliath fragen?“ riss Krixxi sie aus ihren Gedanken.

Rakalla sah zu ihr hinunter und schnaubte missvergnügt. „In die Kaserne? Bin ich bescheuert?“

„Aber warum stehst du dann da rum und schaust so finster?“ Die Goblinfrau riss die Augen auf, als ihr eine mögliche Antwort einfiel. „Oh … oh … willst du denen etwa eine von deinen alchemistischen Bomben draufwerfen?“

„Das wäre unvermummt am hellichten Tag im Bezirk der Dame keine besonders gute Idee“, bemerkte Figaro trocken und rückte mit dem nicht-mechanischen Bein seine Schweißerbrille zurecht.

Für einen Xaositekten fand Rakalla ihn erstaunlich besonnen und überlegt. Vielleicht, so dachte sie bei sich, gehörte er ja auch gar nicht dem Bund an, sondern hing einfach nur gerne mit einer bestimmten Xaositektin herum. Rakalla nickte zu seinen Worten.

„Richtig. Außerdem bin ich weder eine Zerstörerin noch eine Anarchistin. Sondern grade einfach nur genervt.“

„Lass uns in Quakes Bar was trinken gehen“, schlug Krixxi unvermindert fröhlich vor. „Das bringt dich auf andere Gedanken.“

Ihr gut gemeinter und ehrlicher Eifer heiterte Rakalla tatsächlich auf und sie gab sich einen Ruck. „Weißt du was? Du hast recht. Komm, gehen wir.“

„Super!“ Die Goblinfrau klatschte in die Hände. „Wir schauen noch am Torhaus vorbei und fragen Schwarzhuf, ob er mitkommt.“

Figaro plusterte ein wenig das Gefieder auf. „Der bekommt einen Anfall, wenn du da schon wieder auftauchst und ihn nervst.“

„Ich nerv ihn gar nicht!“ entgegnete Krixxi und schob schmollend die Unterlippe vor. „Der mag mich voll.“

Rakalla musste schmunzeln. Sie hatte den Eindruck, dass das sogar stimmte. Obgleich Schwarzhuf oft angestrengt auf Krixxi reagierte, schien er ihr gegenüber auch einen ausgeprägten Beschützerinstinkt zu haben. Und Figaro wusste es besser als zu insistieren, woraufhin Krixxis gute Laune umgehend zurückkehrte. So wendeten sie der Kaserne den Rücken zu und machten sich auf den Weg zurück in den Stock. Irgendwann, das war Rakalla klar, würde sie wegen Eliath mit Pentar reden müssen. Aber dieser Tag musste ja nicht unbedingt heute sein.

Kommentare

Beliebte Posts