„Kein Schiedsrichter, keine Regeln, keine Zauber! Wer am Ende steht, gewinnt!“
Motto der Blutgrube
Erster Markttag von Retributus, 126 HR
Nachdem klar war, dass sie über den Nachtmarkt zur Blutgrube gehen würden, um dort weitere Nachforschungen bezüglich der Morde anzustellen, nickte Kiyoshi knapp. „Gut. Wenn Ihr unbedingt dorthin gehen wollt, ehrenwerte Gefährten, dann gehen wir dorthin.“
Jana musterte den jungen und in Sigil nur allzu unerfahrenen Harmoniumsoldaten nachdenklich. „Ich bin mir nicht mehr sicher, ob das eine gute Idee ist.“
Sgillin hob in seiner unbekümmerten Art die Schultern, lockerte jedoch vorsorglich schon einmal seinen Bogen. Lereia stand etwas verunsichert daneben. „Ich habe überhaupt keine Ahnung, was da auf uns zukommt“, seufzte sie.
Naghûl war sich nur allzu bewusst, dass dies kein aufregender, aber letztlich harmloser Spaziergang werden würde. Doch er sah keinen Sinn darin, seine Weggefährten und Freunde noch mehr zu beunruhigen, als sie es ohnehin schon waren.
„Entspannt Euch mal“, sagte er daher gespielt gut gelaunt. „Das wird sicher eine interessante Erfahrung.“
„Davon hatte ich schon mehr als genug ...“, erwiderte Lereia resigniert. „Aber wenn es den Ermittlungen dient, komme ich natürlich mit.“
Sgillin hingegen hob die Hände. „Ich bin locker.“
„Wir können da keinen Streit anfangen“, warnte Jana, die ebenfalls weniger entspannt wirkte. „Es gibt da nicht nur einfache Schläger, sondern ... also, ich würde meinen Kopf gerne behalten.“
Naghûl spürte, dass es Zeit war, die Gruppe zum Weitergehen
zu bewegen, ehe noch mehr Bedenken aufkamen, die die Mission möglicherweise gefährdeten. „Also, gehen wir“, forderte er die anderen daher auf.
„Ja, los“, pflichtete Sgillin ihm bei, dem das Hin und Her wohl ebenfalls zu viel wurde.
So setzten sie sich in Bewegung, ließen den beeindruckenden Eingang des Torhauses hinter sich und bahnten sich wieder ihren Weg durch den Stock. Auch hier waren die Straßen kaum gepflastert, dafür aber voller Unrat und schlammiger Pfützen, denen sie geflissentlich auswichen. An jeder Ecke waren Bettler, Straßenkinder, Prostituierte, Fusler und zwiespältige, oft bewaffnete Gestalten zu sehen – der ganz normale Anblick im Stock also. Wer daran nicht gewöhnt war, dem konnte es allerdings leicht auf die Stimmung schlagen. Dies merkte Naghûl zumindest Lereia an, die sich zwar tapfer durch die Gassen bewegte, aber sichtlich unwohl zu fühlen schien. Kiyoshi wahrte wie meist eine unbewegte Miene, doch in seiner neuen Eigenschaft als Ordnungshüter Sigils konnten ihm einige der Dinge, die er sah, gewiss auch nicht gefallen. Nachdem sie einige Minuten schweigend nebeneinander her gegangen waren, wandte Jana sich an den jungen Mann aus Kamigawa.
„Darf ich etwas fragen, Kiyoshi? Ich ... wir können davon ausgehen, dass dort Gladiatorenkämpfe stattfinden ... auf Leben und Tod. Und dass darauf gewettet wird.“
Sgillin verzog das Gesicht mit einem besorgten Blick zu dem Harmoniumsoldaten, der sich auch sogleich energisch straffte.
„Das ist gegen das Gesetz“, verkündete er entschlossen.
Naghûl atmete tief durch. Da fingen sie an, die Schwierigkeiten ...
„Na na, nicht unbedingt“, beschwichtigte er daher sofort. „Wetten sind schon einmal gar nicht zwingend verboten. Und bei den Kämpfen kommt es darauf an ...“
Sofort nickte Kiyoshi wissend. „Es sei denn, diese Kämpfe finden auf dem Grundstück einer Privatperson statt, die eine K5 Lizenz besitzt. Welches selbstverständlich sofort von mir überprüft werden müsste.“
Er schien sich mit den Gesetzen Sigils bereits sehr gut vertraut gemacht zu haben, das musste Naghûl anerkennend zugeben. Würde er doch nur auch das allgemeine Klima des Käfigs so gut verstehen ...
„Wie auch immer dieses Ding heißen mag, aber ja.“ Der Tiefling nickte. „Könnt Ihr nicht einfach davon ausgehen, dass diese Lizenz vorhanden ist?“
Kiyoshi setzte schon zu einer Antwort an, doch nun blieb Jana stehen und verschränkte energisch die Arme. „Wie soll das denn bitte gleich funktionieren, Naghûl? Das kann niemals gut gehen.“
Sie nickte dabei gen Kiyoshi und der Sinnsat seufzte innerlich. Sie hatte leider recht, es würde nicht gut gehen. Doch konnte er das dem jungen Soldaten ja wohl kaum ins Gesicht sagen.
„Das wird schon“, erwiderte er daher mit beschwörendem Blick gen Jana. „Gehen wir.“
Sgillin schien zu begreifen und kam ihm zu Hilfe, indem er sorglos abwinkte. „Ja, gehen wir.“
„Gut.“ Kiyoshi nickte auf seine militärisch knappe Art und wollte sich wieder in Bewegung setzen, doch Jana ließ nicht locker.
„Nein, wird es nicht, es sei denn, du schläferst den Betonkopf ein oder behext ihn irgendwie.“
Kiyoshi blieb ruhig, warf Naghûl aber einen vielsagenden Blick zu. Es kostete den Tiefling einiges an Selbstbeherrschung, nicht ungehalten auf Jana zu reagieren.
„Bleiben wir erst einmal alle ruhig und gehen einfach weiter“, erklärte er beherrscht. „Lassen wir es auf uns zukommen ... Und ich werde mich hüten, ihm etwas anzutun“, setzte er auf Kiyoshis Blick hin hinzu.
Jana schnaufte resigniert. „Das war auch nicht ernst gemeint ...“
Dessen war sich Naghûl allerdings nicht so sicher. Unterstützung kam in diesem Moment von Lereia.
„Wenn es soweit ist, kann ich mit Kiyoshi immer noch zurückgehen und auf euch warten“, schlug sie vor.
Darauf konnten sich alle einigen, und so drangen sie weiter in das Gewirr der Gassen vor. Sobald sie sich dem berüchtigten Nachtmarkt näherten, wurde der Stock noch ein Stück düsterer als er es ohnehin schon war. Vermehrt standen nun besonders leicht bekleidete Prostituierte an den Ecken und kaum eine der zwiespältigen Gestalten hier war unbewaffnet. Ein Geruch von Schwefel hing fast allgegenwärtig in der Luft, zurückzuführen darauf, dass hier deutlich mehr Scheusale zu sehen waren als im Stock sowieso üblich. Spinagons und Rutterkins, Alus und Cambione, aber auch Abishai, Bulezau und immer wieder ein Succubus oder eine Erinnye gehörten hier zum normalen Straßenbild. Lereia zog die Kapuze tiefer ins Gesicht, sie fühlte sich sichtlich unwohl. Auch Jana hielt den Blick gesenkt und sah sich nur ab und an nach den anderen um, redete nicht und beeilte sich, weiterzukommen. Kiyoshi hingegen schaute sich nun besonders aufmerksam um. Als sein Blick auf einen Stand fiel, an dem in Flaschen gesperrte Pixies verkauft wurden, wusste Naghûl, dass es an der Zeit war … Er tat etwas Derartiges nicht gerne oder leichtfertig. Doch ihm war klar, sie würden auf diese Weise mit dem in Sigil noch viel zu unerfahrenen, dabei aber geradezu übertrieben pflichtbewussten Kiyoshi niemals über den Nachtmarkt kommen. So blieb er ein wenig zurück, bis er hinter dem jungen Soldaten ging und nickte Sgillin leicht zu. Der begriff sofort, zog den Umhang fester um sich und legte darunter eine Hand an den Seitenköcher. Naghûl aber fixierte Kiyoshi und beschwor einen Zauber … Fast sofort sank der junge Mann zu Boden, als eine leuchtende, grüne Faust ihn herzhaft am Hinterkopf traf. Der Tiefling hätte einen Schlafzauber gewählt, doch besaß er als Hexer nicht das breitere Repertoire an Zaubern wie ein Magier und so hatte es eben eine magische Faust tun müssen. Sofort trat Sgillin hinzu, um die Szene ein wenig mit ausgebreitetem Umhang abzuschirmen.
„Oh nein ...“, stellte der Sinnsat trocken fest. „Er wurde ohnmächtig.“
Lereia sah sich zu Naghûl um. Nach der ersten Überraschung verstand sie sogleich, was vor sich ging, hob Kiyoshis Yari auf und verhüllte ihn unter ihrem Mantel. Jana nickte zufrieden, während Sgillin und Naghûl Kiyoshi vom Boden aufhoben, um ihn weiterzutragen. Es mochte weder besonders höflich noch besonders elegant sein, doch war es wahrscheinlich ihre beste Chance, ohne einen Zwischenfall zur Blutgrube zu gelangen. Als sie weitergingen, änderten sich sogar die Gerüche. Der Gestank von Blut, seltsam aromatisiertem Rauch und chemischen Substanzen, die sie nicht einordnen konnten, hing zusätzlich zum Schwefel in der Luft. Immer wieder erblickten sie Gestalten, die Naghûl als Assassinen einordnete, wenn man bedachte, wo sie sich befanden. An einer Ecke stand ein Mann ohne rechten Arm und ohne linkes Bein ... Mit einem Schaudern wurde der Gruppe klar, dass er seine Körperteile anbot, als er ihnen nachrief, ob sie den anderen Arm kaufen wollten. Sgillin zog sich die Kapuze tiefer ins Gesicht, Lereia würgte und hielt sich eine Hand vor den Mund. Der Anblick, aber vor allem auch die Gerüche schienen sie mit ihren Raubtiersinnen besonders empfindlich zu treffen. Kiyoshi hing zu Naghûls Erleichterung nach wie vor in den Seilen, wurde von ihm und Sgillin weiter geschleppt. Niemand achtete auch nur im Geringsten darauf, dass hier ein Bewusstloser von zwei anderen durch die Gegend getragen wurde. Das immerhin war einer der wenigen Vorteile dieser Umgebung. An einer Ecke, die sie nun passierten, stand ein Succubus und warb Söldner für den Blutkrieg an. An einer anderen sahen sie eine hölzerne Bühne, auf der anscheinend Sklaven verkauft wurden. Illegal, natürlich. Sgillin versuchte, möglichst flach zu atmen.
„Sei froh, dass du das nicht mitbekommst, Yoshi“, murmelte er dem bewusstlosen Soldaten zu.
Lereia senkte den Kopf bei dem Anblick, und auch Jana hielt den Blick auf dem Boden, bewegte sich sehr leise und schien die besonders dunklen Stellen der Gassen eher zu suchen als zu meiden, so als wolle sie sich vor all dem verstecken.
„Das ist ... zu viel“, flüsterte Lereia und hielt sich den Umhang vor den Mund, als sie leises Weinen von hinter der Sklaven-Verkaufsbühne hörten.
Von weiter weg waren immer wieder schmerzerfüllte Schreie zu vernehmen. Besorgt behielt Naghûl seine Gefährten im Blick. Er selber hatte Jahre im Stock gelebt, er kannte diese Schattenseite Sigils – was nicht hieß, dass es ihn nicht auch jetzt wieder aufs Neue bedrückte. Doch gerade Lereia war noch niemals in einer solchen Umgebung gewesen, und er wollte sie im Blick behalten, für den Fall, dass ihr alles zu viel wurde. Einmal zupfte ein Junge an ihrem Umhang, der kaum älter als zwölf oder dreizehn Jahre sein mochte. Er bot sich ihr offenbar für Geld an. Bestürzt gab sie ihm ein paar Münzen und schickte ihn dann weiter, wobei Naghûl ihr Entsetzen deutlich erkennen konnte. Selbst dem oft so abgebrühten Sgillin setzte die Umgebung allmählich zu.
„Bei allen Göttern ...“, murmelte er in sich hinein.
Naghûl nickte betroffen. „Auch das ist Sigil“, sagte er leise.
Immer wieder sahen sie Stände, die ominöseste Waren anboten. Auf einem Tisch lagen frische humanoide Organe, auf einem anderen vermeinten sie eine blutige Harmoniumsrüstung zu erkennen. Ein Glück, dass Kiyoshi es nicht sehen konnte … Irgendwo diskutierten zwei dunkel gekleidete Priester, und es klang, als ob sie über den Preis für ein lebendiges Opfer redeten.
Jana würdigte all dies kaum eines Blickes, wohl um nicht darüber nachdenken zu müssen, was hier alles geschah. „Wir sind gleich da“, erklärte sie nur leise.
„Ich hoffe es ...“, erwiderte Sgillin, untypisch still und ernst, seit sie den Nachtmarkt betreten hatten.
Weiteres blieb der Gruppe zum Glück erspart, da sie nicht allzu tief in den Markt vordringen mussten, ehe sie die Blutgrube erreichten. Es handelte sich um ein Gebäude aus dunkelgrauem Stein, verziert mit den für Sigil typischen Metallklingen unter dem Giebel. Das Dach war kuppelförmig und von korrodierten Messingziegeln bedeckt. Im Inneren schlug ihnen sofort die für schäbige Tavernen übliche Mischung aus Gerüchen entgegen: billiges Bier, Schweiß, Rauch, zu scharf angebratenes Fleisch und eine Prise Schwefel. Aus dem hinteren Bereich waren Gelächter, Rufe und das Klirren von Waffen zu vernehmen. Direkt gegenüber der Eingangstür befand sich ein Steintresen, hinter dem eine junge Menschenfrau einige nicht allzu sauber wirkende Krüge abtrocknete.
„Ich …“ Jana sah sich unschlüssig um. „Soll ich ...? Also, ich kenne mich mit Kämpfen nicht aus …“
Es war einer jener Momente, in denen Naghûl dankbar war für seine Vergangenheit im Stock und für das Wissen und die Erfahrung, die diese oft unangenehme Zeit mit sich gebracht hatte.
„Ich mach schon“, bot er an. „Haltet mal unseren Freund.“
„Danke, Naghûl.“ Jana lächelte erleichtert, während Sgillin nickte.
„Geht klar, ich halte ihn. Bin ich froh, dass er seine Rüstung ausgezogen hat.“
Lereia half, Kiyoshi von der anderen Seite zu stützen, während Naghûl sich auf den Tresen lümmelte.
„He da, Süße!“, rief er der dahinter arbeitenden Frau zu.
„He, Schleifer“ grüßte sie ihn, ohne jedoch ihre Tätigkeiten zu unterbrechen.
„Welcher Kampf is denn der nächste?“ wollte der Tiefling wissen und wechselte dabei in die verwaschene, schludrige Tonart des Stocks. „Und wie is die Quote?“
„Der nächste is zwischen Grack, dem Grausamen und der Roten Lara von den Tonoe“, erklärte die Barfrau. „Is zwei Stunden vor Gegenzenit. Wegen Wetten musste hinten fragen.“
Naghûl nickte. „Haste ne Liste da, wer heut sonst noch dran ist?“
„Liste?“ Sie lachte. „Der war gut.“
„Nur noch der eine?“ bohrte der Tiefling nach, und sie schüttelte den Kopf.
„Ne, aber wegen der Liste. Sind ja hier nich in der Festhalle, dass wir den Klimper hätten, was auf Papier zu kritzeln. Unsere Jungs rufen's doch regelmäßig durch die Straßen. Bluthorn und Roshkor kämpfen dann auch noch, so um Gegenzenit rum. Aber die üben grad nur.“
Natürlich gab es keine Listen. Naghûl wurde bewusst, dass er dem Stock doch schon länger und gründlicher entwachsen war, als ihm bewusst gewesen war.
„Klar, verstehe“, überspielte er seinen kleinen Ausrutscher. „Dann gehen wir mal wetten.“
Die Frau nickte. „Noch könnt ihr umsonst rein.“
Über den bewusstlosen Kiyoshi schien auch sie sich nicht groß zu wundern. Einer der Vorteile dieser Umgebung.
„Passt ja“ erwiderte Naghûl und drehte dann den Kopf zu den anderen. „He, kommt. Und vergesst den besoffenen Penner nicht, sonst muss der nachher noch löhnen.“ Er ging zu Jana hinüber und zog sie am Arm mit sich. „Komm, Puppe, ich geb dir einen aus.“
Die anderen nickten, offenbar erleichtert darüber, dass Naghûl die Situation ohne Aufsehen zu erregen gelöst hatte. Sie gingen durch einen offenen Torbogen weiter nach hinten in das Gebäude. Dort konnten sie in der Mitte des Raumes zwei breite Steinstufen erkennen, die zu einer großen, runden Öffnung hinaufführten. Von dort vernahmen sie Waffengeklirr, und oben standen mehrere Zuschauer, die plauderten, tranken und die übenden Kämpfer unten anfeuerten. In mehreren Nischen außen herum standen steinerne Tische mit massiven Holzstühlen.
Naghûl nickte zu einem davon. „Der?“
Jana schüttelte rasch den Kopf, auf den nahebei herum schlurfenden Nupperibo deutend. „Mir wird schlecht, wenn ich den die ganze Zeit riechen muss.“
Der Hinweis war durchaus nachvollziehbar, also deutete der Sinnsat auf einen anderen Tisch. „Hier?“
Jana nickte. „Ja, der ist besser,“
Dieser Platz bot zudem den Vorteil, dass außer den Holzstühlen auch eine recht breite, steinerne Bank an der Wand der Nische stand. Zu dieser schleiften Sgillin und Lereia den noch bewusstlosen Kiyoshi und legten ihn dort ab. Sie nahmen Platz und sahen sich vorsichtig um. Es war die typische raue, ungehobelte und nicht allzu saubere Umgebung einer Stock-Taverne. Und doch, im Vergleich zum Nachtmarkt draußen, waren sie nun geradezu erleichtert, hier zu sitzen. Sgillin holte an der Bar einen Krug Blutkriegswein und einen mit Käfigbier und brachte beide zusammen mit einigen Krügen zum Tisch. Als sie sich einschenkten, ließ ein Gespräch zu ihrer Linken Naghûl aufhorchen. Die beiden Gäste waren ihm bekannt: Es handelte sich um die Chaosmagierin Quake Lavendel und Mordrigaarz Antill, zwei bekannte und einflussreiche Mitglieder der Xaositekten. Sie war eine wohl feyblütige Halbelfe, denn sie hatte intensiv violettes Haar, und er wirkte wie ein typischer Stockschläger: groß, muskulös, in ledernen Rüstungsteilen und gut bewaffnet.
„Weiß ich doch, Quake“, sagte der blonde Mann gerade, das Gespräch laut genug, dass sie gut mithören konnten. „He, hast du das mit den Stühlen in deiner Bude gemacht?“
„Nix hab ich gemacht“, erwiderte die Magierin. „Ich hab die Wände verziert ... Du, ich hab das mit den baatorianischen Blutbirnen gemacht.“
„Echt?“ Der Mann klatschte mit einer kindlichen Begeisterung in die Hände, die nicht wirklich zu seinem eher bedrohlichen Äußeren passte. „Klasse! War meine Idee, weißt du noch?“
„Weiß ich doch, Mordi.“ Die Halbelfe klopfte ihm auf die Schulter. „Also, was haste nun rausgefunden?“
Mordi hob die Schultern. „Ja, nix halt.“
„Dann find mal was raus. Karan will das auch wissen.“
Naghûl nickte mit dem Kopf möglichst unauffällig in Richtung der beiden Xaositekten.
„Hoher Besuch hier …“ bemerkte er flüsternd. „Die Dame dort oben mit dem violetten Haar ist ein hohes Tier bei den Xaositekten. Karan, der Name, der gerade fiel, ist ihr Bundmeister.“
„Hab schon eine Idee“, verkündete Mordi derweil auf Quakes Aufforderung hin.
Die Halbelfe nickte. „Also?“
In diesem Moment regte Kiyoshi sich wieder und setzte sich langsam auf, um sich überrascht umzusehen. Jana sprach leise zu ihm, erklärte ihm wohl wie besprochen, dass ihn auf dem Weg zur Blutgrube unglücklicherweise ein herabfallender Ziegel am Kopf getroffen hatte. Er nickte, noch etwas benommen, doch zu Naghûls Erleichterung gab es keine Anzeichen, dass er Jana die zugegebenermaßen fragwürdige Geschichte nicht abkaufte. So konzentrierte sich der Tiefling wieder auf das Gespräch der Xaositekten.
„Also: Ich denk, die sind nich ausm Stock“, erklärte Mordi gerade. „Da schlag ich jeden zusammen, der nich hierher gehört. Dann erwisch ich irgendwann die Richtigen.“
„Toller Plan, Mordi“, erwiderte Quake sarkastisch.
Er nickte begeistert. „Ja, gut oder?“
Die Halbelfe seufzte resigniert. „Mordi, das is total bescheuert.“
„Ich find's gut.“ Der Mann verschränkte trotzig die Arme. „Ich werd's so machen.“
„Bei der Dame ...“ Quake setzte schon an, beschloss dann aber wohl, sich gar nicht erst die Mühe zu machen. „Na, wie auch immer, find was raus. Karan interessiert, wer hier Leute ins Buch steckt.“
„Klar, mach ich“, versprach Mordi. „Ich hätt noch ne Idee für die Tische in deiner Kneipe.“
Die Halbelfe hob die Schultern. „Da wollte Krixxi was machen, glaub ich.“
„Oh.“ Mordi grinste. „Sicher mit viel Dampf und so?“
„Ganz sicher.“ Quake lachte, dann wurde das Gespräch der beiden leiser und sie drehten sich zur Grube, um dem Übungskampf zwischen dem Minotauren und dem Leoniden unten zuzusehen.
Lereia sah in die Runde. „Die Xaositekten suchen wohl auch den oder die Mörder“, stellte sie mit gesenkter Stimme fest.
Kiyoshi, der sich inzwischen wieder einigermaßen zurechtgefunden hatte, nickte dazu „Natürlich“ erklärte er etwas altklug. „Es ist das Verbrechen.“
Sgillin unterdessen erhob sich und schlenderte zur Grube, um einen besseren Blick auf den Übungskampf zu bekommen und vielleicht bei anderen Gesprächen das eine oder andere aufzuschnappen. Gleichzeitig wurde das Gespräch zwischen Quake und Mordi wieder lauter.
„Doch, das machen wir“, erklärte der Mann begeistert. „Das war letztes Mal so lustig, mit der Kaserne was zu machen!“
Quake kicherte. „Da regt sich Sarin sicher unglaublich auf. Dann gehen wir in die Halle der Redner und hören zu, wie er mit Karan streitet.“
„Au ja! Ich mach das!“
Mordi rieb sich die Hände, während Naghûls Blick besorgt zu Kiyoshi wanderte, der das Gespräch leider auch mitbekam.
„Ne nix“, erwiderte Quake energisch. „Du machst das mit den Morden. Ich mach's.“
Kiyoshi blickte nun starr zu den beiden Xaositekten, während Mordi enttäuscht die Schultern hängen ließ.
„Och ... Aber ich will dabei sein, wenn's passiert, ja?“
„Alles klar“, lenkte die Halbelfe ein. „Ich sag dir vorher Bescheid. - Also gut, ich bereite alles vor.“ Sie schlenderte beschwingt Richtung Ausgang und Kiyoshi erhob sich.
„Kiyoshi …“, bat Lereia leise. „Sie haben doch noch nichts getan.“
Naghûls Tonfall war energischer, nachdrücklicher. „Bleibt bitte sitzen, Kiyoshi.“
Natürlich nahm er nicht wieder Platz, der frisch gebackene Dickschädel.
„Aber ich könnte hier einen Angriff auf unsere Kaserne verhindern“, erklärte er stattdessen. „Angriffe auf andere Bünde verstoßen gegen das Gesetz.“
„Die malen höchstens was an“, schwächte der Tiefling ab.
„Das gilt sicherlich als Anarchie“, beharrte der junge Soldat. „Darauf steht immerhin die Todesstrafe.“
Lereias Miene nahm einen fassungslosen Ausdruck an. „Etwas anzumalen wird mit dem Tode bestraft?“
Der Tiefling fragte sich, ob man neuen Harmoniums-Mitgliedern die Gesetze Sigils tatsächlich auf so verdrehte Weise nahebrachte, oder ob einfach nur Kiyoshi verdreht war. Beruhigend schüttelte er den Kopf gen Lereia auf ihre Frage hin und sah dann ungehalten zu dem Soldaten. „Verdammt Kiyoshi, setzt Prioritäten“, forderte er scharf und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Dann sprach er etwas leiser weiter. „Entweder Ihr geht den wahnwitzigen Künstlern nach oder wir tun das, wozu wir hier sind: Morde aufklären.“
„Und mehr über uns herausfinden“, ergänzte der in diesem Moment zum Tisch zurückkehrende Sgillin.
Kiyoshi blieb noch immer stehen, und seine gewohnte, stoische Ruhe wich nun einem leichten Unwillen. „Verzeiht, ehrenwerter Naghûl-san, aber was haben wir bisher getan?“ fragte er. „An einem Tisch zu sitzen, wird uns nicht helfen. In diesem Fall sollte ich zumindest eine Nachricht senden.“
Naghûl atmete tief durch und bemühte sich um Beherrschung. Ein Dickschädel und planlos, das war wirklich ein harter Brocken.
„Ja, Kiyoshi“, erklärte er mit kaum unterdrückter Ungeduld. „Das ist das erste, was Ihr macht, wenn Ihr wieder daheim seid. Aber im Moment haltet bitte mal die Füße still.“
Währenddessen hatte Sgillin leise mit Lereia gesprochen, und diese hatte überrascht die Augen geweitet.
„War irgendetwas auffällig, bevor ihr getauscht habt?“ fragte sie nun.
Als auch Naghûl sich nun an Sgillin wandte, konnte er erkennen, dass sein Freund tatsächlich etwas blass um die Nase war.
„Auffällig ... hm, ich hab mich mit dieser Alu unterhalten.“
„Was ist passiert?“, wollte nun auch Jana wissen.
Sgillin nickte mit dem Kopf in Richtung Kampfgrube. „Ich hab grade den Körper mit dem Mino da unten getauscht. Für einige Sekunden stand ich da unten in der Kampfgrube. Das war ziemlich irritierend. Vielleicht … war diese Alu der Auslöser?“
„Wie kommst du darauf?“ wollte Lereia wissen.
Der Halbelf kratzte sich am Kinn. „Weil ... als Sgillin ... also, mein Körper, sich von ihr entfernte, wurde der Tausch rückgängig gemacht. Ist aber wirklich nur eine vage Vermutung.“
Er verstummte und blickte nachdenklich zur Kampfgrube hinüber, was Kiyoshi offenbar als Aufforderung ansah, das Gespräch wieder auf das vorherige Thema zu lenken.
„Ehrenwerter Naghûl-san, ich sage Euch nicht, wie Ihr Eure Pflicht gegenüber Eurem Bund zu tun habt, also versucht Ihr das nicht bei mir.“
Der Tiefling spürte, wie ihm auch der letzte Rest an Beherrschung zu entgleiten begann.
„Ich sage Euch aber, was Ihr nicht tun sollt, wenn es auch um meine Haut geht. Ihr steckt hier nicht alleine in ... diesem Loch.“
Jana lehnte sich vor, stützte die Ellbogen auf den Tisch und sah nachdenklich zu Kiyoshi. „Glaubst du nicht“, fragte sie, „dass Bundmeister Sarin unsere Sicherheit und unsere ... Aufgabe als wichtiger einschätzen wird?“
„Und was soll ich zu dem ehrenwerten Bundmeister Sarin-gensui sagen, wenn ich zurückkomme und sehe, dass die Kaserne gesprengt wurde?“ erwiderte Kiyoshi unnachgiebig. „Dass ich sie nicht warnen konnte, weil etwas anderes wichtiger war?“
Nun wurde es Naghûl zu viel und er stand seinerseits abrupt auf. „Gut, er hört nicht. Warum auch immer. Regelt ihr das. Ich sehe mich um und schnappe mir den Xaositekten. Vielleicht klärt sich das dann.“
Ohne irgendwelche Erwiderungen abzuwarten, begab sich der Sinnsat zur Mitte des Raumes, wohin Mordrigaarz sich zurückgezogen hatte. Wenn er in einem Gespräch dem Xaositekten zumindest die Information entlocken konnte, dass sie nichts Schlimmeres planten als einen harmlosen Streich, vielleicht gab der Harmoniums-Dickschädel dann endlich Ruhe. So dass sie sich wieder ihrer eigentlichen Aufgabe zuwenden konnten. Auf halbem Weg aber bemerkte er, dass Lereia ihm gefolgt war. Nicht, um sich mit ihm gemeinsam dem Xaositekten zu widmen, sondern um seine Aufmerksamkeit auf eine Gruppe von Personen zu lenken, die sie offenbar bereits während der Diskussion mit Kiyoshi beobachtet hatte. Es handelte sich um einen überwiegend schwarz gekleideten Halbelfen und zwei männliche Tieflinge, die abseits in einer Ecke saßen. Naghûl musterte sie kurz und musste zugeben, dass Lereia einen guten Instinkt hatte: Dass die drei weder wetteten noch dem Übungskampf zusahen, ja noch nicht einmal tranken, wirkte in der Tat auffällig. Und gerade, als seine Freundin ihn auf die drei hingewiesen hatte, stand der Halbelf auf und bewegte sich Richtung Ausgang. Lereia machte Naghûl ein Zeichen, dass sie dem Mann unauffällig folgen würde, und er nickte. Zwar war ihm nicht unbedingt wohl dabei, die junge Frau ganz alleine in den Stock zu lassen, noch dazu so nahe am Nachtmarkt. Doch wusste er auf der anderen Seite, dass sie sehr geschickt darin war, mit den Schatten zu verschmelzen und sich daher hervorragend tarnen konnte. Ganz zu schweigen davon, dass sie sich zur Not in eine starke weiße Tigerin zu verwandeln vermochte. So huschte sie ebenfalls durch die Tür hinaus und Naghûl sah sich erneut nach dem Xaositekten um. Er war leicht zu erspähen und ließ sich ebenso leicht davon überzeugen, sich von dem Tiefling auf ein Bier einladen zu lassen.
Als sie zum Tisch zurückkehrten, wandte sich Kiyoshi gerade an Jana. „Habe ich Euer Wort, ehrenwerte Jana-san, dass diese Chaoten keine Leben gefährden werden?“
Mordi lehnte sich gegen die Säule neben dem Tisch und grinste breit. „He, wer redet von Leben gefährden?“ Als Kiyoshi, Jana und Sgillin überrascht hoch sahen, vertiefte sich sein Grinsen. „Hab euch mit euren Knochenschüsseln über uns klappern hören.“
„Da hast du dich sicher verhört“, schwächte Jana sofort ab, während Naghûl wieder neben Sgillin Platz nahm.
Der stämmige Xaositekt fasste sich nun mit beiden Händen an die Ohren und drehte ein wenig daran. Dann schüttelte er den Kopf. „Meine Ohren … Nein, hab keine Grünwurzeln drin stecken.“
„Nun, ehrwürdiger Fremder“, erwiderte Kiyoshi höflich. „Es geht das Gerücht, Ihr wolltet die Kaserne sprengen.“
Sgillin stöhnte leise auf und Naghûl vergrub kurz das Gesicht in den Händen. Jana sah fast flehentlich zu Kiyoshi und formte mit ihren Lippen ein überdeutliches bitte, ehe sie sich wieder dem Xaositekten zuwandte. Der riss die Augen auf. „Wer erzählt das?“
Kiyoshi fiel nicht aus der Rolle, sondern machte unbeirrt weiter. „Ich möchte niemanden in Verlegenheit bringen, ehrwürdiger Fremder, deshalb möchte ich keine Namen nennen.“
„Sprengen?“ Mordrigaarz schien nachzudenken. „Hm, auch eine gute Idee vielleicht. Habt ihr so Pulver? Dann könnten wir was sprengen gehen.“
„Nein, haben wir nicht“, erwiderte Sgillin schnell.
Auch Kiyoshi schüttelte den Kopf, wobei er sehr ernsthaft und vollkommen ohne jegliche Ironie erwiderte: „Mit einem solchem Pulver kann ich Euch leider nicht aushelfen, ehrwürdiger Fremder.“
Jana starrte ihn entgeistert an und Naghûl musste sich beherrschen, seinen Kopf nicht mit der Tischplatte Bekanntschaft machen zu lassen.
„Ach, schade.“ Der Xaositekt seufzte. „Ich frag Krixxi, die hat oft so'n Zeug. Aber sprengen ... Hm, ne, wollen wir doch nicht. Aber trinken, wie der Tiefling sagte? Trinken ist immer gut.“ Er setzte sich nun einfach zwischen Jana und Kiyoshi an den Tisch und goss sich Bier aus dem noch halb vollen Krug ein. „He! Also, letztes Jahr zum Neuen Zyklus, wisst ihr, was wir da gemacht haben?“
„Ähm, nein, woher denn?“ fragte Jana vorsichtig.
„He, stand in allen Zeitungen! In SIGIS, im Tempus und anderen! Also, letztes Jahr, ja? Da haben unsere Magier die Kaserne verzaubert. Dann sah sie so aus, als wär sie aus Chaosmaterie!“
Sgillin prustete los. „Und wie haben die dann reagiert?“
Nun wirkte der Xaositekt ein wenig enttäuscht. „Ich hab gehört, dass Sarin das gar nicht witzig fand. Schade eigentlich, ich hab gehofft, dass er es lustig findet.“
Jana entspannte sich nun offenbar ein wenig und lächelte kurz. „Hast du ihn mal getroffen, Schleifer? Glaub mir, der findet gar nichts lustig.“
Mordi machte große Augen. „Kann nich sein, Süße. Jeder findet irgendwas lustig.“
„Mag sein“, gab Jana zu. „Aber Chaosmaterie ist sicher nicht seine Art von Humor.“
Naghûl nickte zustimmend und Mordi seufzte.
„Also, echt schade. Ich fand die Idee super. War ja auch von Quake!“
„Wer is denn Quake?“, wollte Sgillin wissen.
„Quake is eine unserer hohen Tiere. Hat ne Taverne beim Stock.“
Sgillin nickte. „Ah, klingt gut. Was schenkt sie denn aus? Hat sie nen guten Met?“
„Klaro“, erwiderte Mordi lachend.
„Wie heißt der Laden?“ hakte Sgillin weiter nach.
„Quake's Bar, Schleifer.“ Der Xaositekt hob erstaunt die Brauen. „Kennste echt nicht?“
„Ne, noch nicht. Hübsche Mädels?“
„Sicher! Musste echt hin. Quake zaubert immer, das is witzig.“
„Wo ist denn das genau?“ schaltete Jana sich nun wieder in das Gespräch ein. „Im Stock ist ja nicht sonderlich präzise.“
Mordi schüttelte den Kopf. „Nicht im Stock, ne? Beim Stock, dem unser-Hauptquartier-das-der-Xaositekten-Stock.“
Jana grinste kurz. „Hm, ich komm von der Materiellen.“
„Ach, planlos?“ Mordi lachte gutmütig, als Sgillin die nächste Frage stellte.
„Kann man da auch pennen? Ich bräuchte nämlich noch ne Unterkunft, solange hier Mörder ihr Unwesen treiben.“
„Nur, wenn man gut mit Quake steht“ erklärte der Xaositekt ohne weiter auf die Erwähnung der Morde einzugehen. „Bring ihr was Nettes für die Einrichtung mit, dann mag sie dich vielleicht.“
„Was ist denn was Nettes in Quakes Augen?“ fragte Naghûl, den an diesem Punkt nun doch eine gewisse sinnsatische Neugier packte.
„Hm, weiß man nie so genau“, erwiderte Mordi schulterzuckend. „Kann ne wertvolle Vase oder ein altes Gemälde ebenso sein wie n Glaskrug mit Trichakrallen, je nach ihrer Stimmung.“
„Hm.“ Sgillin nickte. „Ich werd was finden, denke ich.“
In diesem Moment schien dem Xaositekten etwas einzufallen und er wandte sich wieder an Kiyoshi. „He, was war nun mit der Kaserne?“
„Verzeiht meine Unwissenheit“, setzte der junge Soldat an. „Aber ich wollte fragen, ob man erfahren könnte, was die diesjährige Überraschung! ist. Oder soll es eine Überraschung bleiben?“
Mordi lachte. „Sicher soll die Überraschung! eine Überraschung bleiben! Sonst wär's ja keine Überraschung.“
„Ich verstehe, ehrwürdiger Fremder. Mich hätte nur interessiert, ob es sehenswert ist.“
„Absolut!“ versicherte der Xaositekt stolz. „Lassen's bei den Göttermenschen bauen!“
„Den Göttermenschen?“ hakte Kiyoshi nach. „Werden sie das denn schaffen?“
„Klar, die bauen doch unglaubliche Sachen. Was die in der Gießerei nicht alles konst … also, bauen halt.“
„Und wo wird der Spaß stattfinden?“, wollte Naghûl wissen.
„Na, in ganz Sigil!“
„Oh Mann, du machst mich neugierig“, kam Sgillin dem Tiefling zu Hilfe.
Mordi trank aus und knallte seinen Krug auf den Tisch. „Glaub ich dir! So soll's sein! Aber jetzt muss ich weiter. Hab noch ein paar gute Ideen für heute. Also dann, war nett zu plaudern, Schleifer. Schönen Abend noch!“
„Dir auch!“ rief Sgillin ihm nach und wandte sich dann an Kiyoshi. „Siehst du, keiner will eure Kaserne sprengen.“
Naghûl schüttelte nur den Kopf und war sicher, seine genervte Grundstimmung in keiner Weise verbergen zu können. Kiyoshi jedoch wirkte sichtlich zufrieden.
„Aber das weiß ich auch erst seit eben jetzt, ehrenwerter Sgillin-san.“
Der Halbelf nickte begütigend, dann sah er sich suchend um. „Wo ist Lereia hin?“
„Sie tut was Sinnvolles“, erwiderte der Tiefling.
Sgillin nahm einen großen Schluck Met. „Das ist gut, denn bisher waren unsere Versuche hier ziemlich vergeblich. Keinen hier scheinen die Morde zu interessieren. Und außer, dass ich mit nem Mino den Körper getauscht hab und immer noch nicht weiß, warum, hab ich nichts rausfinden können. Und du?“
„Ich hab nur am Rande eine Diskussion von denen da mitbekommen.“ Naghûl nickte nach rechts, wo die beiden Tieflinge saßen, mit denen der dunkel gekleidete Halbelf gesprochen hatte. „Einer ist gegangen und Lereia verfolgt ihn.“
„Ah, deswegen ist sie weg.“
„Genau.“ Der Sinnsat nickte und sah dann angesäuert zu dem jungen Harmoniumsoldaten. „Kiyoshi will also keine Nachricht zur Kaserne bringen?“
„Nein, ehrenwerter Naghûl-san“, erwiderte dieser. „Ich konnte herausfinden, dass keine Gefahr für Leben besteht.“
„Ach, Überraschung“, entgegnete Naghûl genervt. „Na ja, wenn das Ei wieder schlauer sein will als die Henne.“
Sgillin musste lachen. „Es ist tiefe Weisheit in Euren Worten, ehrenwerter Naghûl-san“, imitierte er Kiyoshis Sprechweise und neigte leicht den Kopf gen Naghûl.
Kiyoshi hingegen schien sich mehr an der Bemerkung des Sinnsaten als an Sgillins Nachäfferei zu stören. „Wenn Ihr mich beleidigen wollt, ehrenwerter Naghûl-san, dann tut es bitte anderswo“, bemerkte er steif. „Ich schreibe Euch nicht vor, wie Ihr Eure Pflicht erfüllt und Ihr mir nicht, wie ich die meine erfülle.“
„Nein“, erwiderte Naghûl in gereiztem Tonfall. „Aber wenn Ihr irgendeinem Fremden mehr glaubt als mir, dann funktioniert diese Sache hier mit Sicherheit nicht.“
„Es war niemand bereit, mir sein Wort zu geben, dass diese Chaoten nichts Gefährliches im Sinne haben“ hielt Kiyoshi dagegen. „Was erwartet Ihr von mir, ehrenwerter Naghûl-san? Offenbar muss ich für mich selbst sorgen, wie die Begebenheit auf dem Markt draußen bewies.“
„Wie oft habe ich Euch gesagt, dass nichts passieren wird?“ entgegnete Naghûl. „Und eine andere Frage: Hat dieser absolut wahnwitzige Chaot sein Wort gegeben?“
„Das nicht“, räumte Kiyoshi ein. „Aber er gab damit an, wie witzig es sein würde. Und Personen, die versuchen, sich selbst zu erhöhen, kann man in solchen Dingen vertrauen.“
Einen Moment lang wusste er tatsächlich nicht, was er auf diese Bemerkung erwidern sollte. Dann winkte der Tiefling ungehalten ab. „Ich fasse es nicht, das ist mir zu dumm. Wir sollten einander anschweigen, bevor ich die Geduld mit Euch verliere.“
„Wie Ihr wünscht, ehrenwerter Naghûl-san“, antwortete Kiyoshi mit steinerner Miene.
„Nein, sagt nicht mehr ehrenwert,“, gab Naghûl zurück. „Denn das bin ich in Euren Augen nicht, sonst würdet Ihr mir vertrauen. Und den -san lasst bitte auch stecken.“
In diesem Moment wurde die Diskussion glücklicherweise unterbrochen, als Lereia leise vor sich hin schimpfend wieder zum Tisch zurück kam. Sie setzte sich mit unzufriedenem Gesichtsausdruck.
„Was ist los?“ fragte Sgillin besorgt.
„Ich habe die Spur des Halbelfen verloren, weil ein Dabus auf mich zukam und mir etwas sagen wollte“, erklärte Lereia missmutig. „Dies erwies sich leider als unwichtig. Es tut mir leid. Über meine Fähigkeit habe ich jedoch immerhin herausgefunden, dass ich die geistige Signatur verliere, wenn derjenige außer Reichweite ist. Anders als bei einem realen Geruch.“
Interessiert beugte Jana sich vor. „Was hat er denn erzählt, der Dabus?“
„Dass er Tiere mag.“ Finster blickte Lereia auf den Tisch. „Bis ich verstanden hatte, was er überhaupt erzählt, ist schon viel zu viel Zeit vergangen gewesen.“
Sgillin lachte leise. „Er hat dir erzählt, dass er Tiere mag?“
„Ich finde das nicht lustig“, erwiderte Lereia. „Ich dachte, ein Dabus will sicher etwas wichtiges und jetzt habe ich diesen Mann verloren ...“
Seufzend lehnte sich Naghûl zurück. „Nachdem das tolle Verhör von Mordi auch sinnlos war, haben wir im Moment nichts.“
„Es tut mir so leid“, beteuerte Lereia. „Ich habe es falsch eingeschätzt, ich wollte einen Dabus nicht ignorieren.“
Tröstend legte Sgillin ihr eine Hand auf den Arm. „Ist ja nicht schlimm. Wenn wir dem Dabus letztes Mal nicht gefolgt wären ... ha, dann würden wir jetzt nicht hier sitzen.“
Er musste grinsen, und seine wohl platzierte Selbstironie ließ auch Naghûl wieder ein wenig schmunzeln. Nach dem noch in der Luft hängenden Wortwechsel mit dem Tiefling, wandte Kiyoshi sich nun an den Halbelfen.
„Verzeiht, ehrenwerter Sgillin-san, aber könnten wir nicht bei dem Gasthaus im Stock weitere Erkundigungen einziehen? Das der Minotaurus am Torhaus erwähnte?“
„Ja.“ Sgillin nickte. „Das ist unser einziger … na ja … Hinweis?“
Der junge Soldat nickte und sah dann zu Lereia. „Nachdem unser Gefährte nicht mehr von mir angesprochen zu werden wünscht, möchtet Ihr ihm bitte ausrichten, ehrenwerte Lereia-san, dass ich nicht seine Kenntnis über diesen Ort in Zweifel gezogen habe, sondern vielmehr aus Pflichtgefühl gehandelt habe, welches das einzige ist, was man mir hier zur Orientierung mitgegeben hat und wovon man mir einschärfte, es habe absolute Priorität?“
„Bla, bla, bla“, murmelte Naghûl.
Lereia seufzte leise und erhob sich. „Ich denke, er hat es verstanden. Gehen wir.“
„Will jemand Kiyoshi noch erklären, was er draußen vielleicht bleiben lassen sollte?“ bat Naghûl im Aufstehen.
Die ganze Situation schien Lereia ziemlich anzustrengen, sie wandte sich aber dennoch an den Harmoniumsoldaten. „Das da draußen ist keine schöne Umgebung. Versuchen wir einfach, schnell und zügig durchzugehen. Fangt bitte keine Diskussionen an, es ist übel, und ich persönlich möchte schnell weg.“
Diesen Worten konnten alle anderen nur zustimmen, und so verließen sie rasch die Blutgrube, gerade als der erste Kampf zwischen Grack, dem Grausamen und der Roten Lara von den Tonoe angekündigt wurde. Es war inzwischen etwa zwei Stunden vor Gegenzenit und sehr dunkel draußen. Die Luft fühlte sich klamm und kühl an und es fiel ein leichter Nieselregen. Lereia zog instinktiv den Umhang enger um sich.
„Die Gassen sind dunkel und zwielichtig und wir sind fast unbewaffnet“, murmelte sie.
Sgillin warf Kiyoshi einen vielsagenden Blick zu. „Also, wenn du hier lebend rauskommen willst, dann tu bitte das, was wir sagen.“
„Was Sgillin und Lereia sagen“, stichelte Naghûl, „Oder vielleicht ein dahergelaufener Xaositekt.“ Er verstand selber nicht ganz, warum er nicht damit aufhören konnte. Aber etwas an der Situation reizte ihn ausnehmend.
Und Kiyoshi bestätigte seine Gemütslage einmal mehr, als er erwiderte: „Wenn dort draußen ein Mord, eine verbotene Anbetung oder ein gefährlicher Angriff auf einen Bund geschieht, muss ich eingreifen. Die anderen Verbrechen sind erst einmal kleiner.“
„Das ist ja schonmal was“, meinte Sgillin rasch, aber Kiyoshi setzte sogleich nach.
„Größere Verbrechen sind eine andere Sache.“
„Erste Priorität: Lebend zurückkehren“, meinte Lereia freundlich, aber eindringlich. „Wenn Ihr hier aufräumen möchtet, dann tut dies mit Verstärkung. Im Moment erreichen wir nichts. Ich bin sicherlich dafür, das Recht walten zu lassen, aber nur, wenn es die Vernunft zulässt.“
„Das Recht unterliegt nicht der Vernunft“, widersprach Kiyoshi. „Es ist klar und muss eingehalten werden.“
Naghûl schlug die Hände vors Gesicht und auch Sgillin schüttelte den Kopf. Jana hatte es offenbar schon länger aufgegeben, aber Lereia stemmte die Hände in die Seiten.
„Wie wollt Ihr das Recht alleine und unbewaffnet durchsetzen? Mit Verstärkung und geordnet könnte es gelingen, momentan aber auf keinen Fall. Ein Ritter stürmt auch nicht alleine auf eine Horde Dämonen zu, er zieht sich zurück, berichtet und sieht, was sein König ihm sagt.“
„Ein Samurai stürmt alleine los“, stellte Kiyoshi nüchtern fest.
Naghûl atmete tief durch und stellte sich innerlich auf das Beschwören einer weiteren magischen Faust ein …
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gespielt am 18. und 23. Februar 2012




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