"Der neue Zyklus beginnt! Verpasst das Ereignis zum Jahresbeginn nicht! Das Festival der Sechzehn Mephite! Alzor, der Gehennische Dretch-Schlucker! Wo? Natürlich in der Städtischen Festhalle! Der Zirkus der Unteren Ebenen und der Eichelhäher erwarten Euch! Eintritt nur fünf Stecher sowie freier Einlass für alle Sinnsaten und die Priesterschaft von Pan und Lliira! Das Fest zum Neuen Zyklus! Wie jedes Jahr in der Festhalle!“
Ausrufer der Sinnsaten
Dritter Gildentag von Regula, 126 HR
Bundmeisterin Erin stand im Foyer der neu renovierten Ren Halle und beobachtete zufrieden, wie die Gäste in das Theater strömten. Ein gut gekleideter Satyr im edlen blauen Gehrock fiel ihr auf, der eine Satyra mit hellem Fell und honigfarbenem Haar galant an seinem Arm führte. Was für ein reizendes Paar. Und dort, das war doch Aram Eichenschaffer, der Stellvertreter von Bundmeister Rowan Dunkelwald. Nun, auf den Herzog selber konnte sie gut verzichten. Sie war ihm nicht böse, wenn er nur seinen Stellvertreter schickte. Dann näherte sich ihr von der Seite eine Frau, deren Anwesenheit sie umso mehr schätzte. Ihr rotes Haar war an diesem Abend hochgesteckt, was eher selten vorkam. Normalerweise trug Bria es offen, ebenso wie ihre Kleidung ansonsten sehr schlicht gehalten war. Die Bardin war eine der inoffiziellen Anführerinnen der Freien Liga und eine begnadete Instrumentenbauerin. Erin begrüßte sie mit einer freundschaftlichen Umarmung.
„Bria! Wie schön, dich zu sehen. Es freut mich, dass du heute Abend deinen Weg hierher gefunden hast.“
„Für eines deiner Feste doch immer“, entgegnete die Bardin lachend und betrachtete die in die Halle strömenden Gäste. „Wirklich, Erin, ich bin sehr gespannt, was du dir diesmal hast einfallen lassen.“
„Ich bin sicher, es wird unvergesslich“, erwiderte die Bundmeisterin der Sinnsaten. „So wie jedes Mal.“
Sie bemerkte einen weniger erfreuten Ausdruck auf Brias Gesicht und folgte dem Blick der Bardin. Sie sah zu Ely Cromlich, dem Stellvertreter von Bundmeisterin Pentar, der in ihrer Nähe stand.
„Hm“, bemerkte sie wenig begeistert, „Ist ja einiges da, was Rang und Namen hat …“
„Die Festhalle ist für alle offen“, erklärte Erin diplomatisch.
Sie verstand Brias Abneigung gegenüber dem Cambion. Sie selber hatte ebenfalls nicht viel für die Sinker übrig. Doch ihre persönlichen Gefühle waren eine Sache. Die Funktion der Sinnsaten als der Bund, der Vergnügungen für alle Einwohner Sigils bot, war eine andere. Der Cambion sah Brias Blick wohl als Aufforderung an, herüberzukommen. Seine direkte Abstammung von einem Incubus war Cromlich deutlich anzumerken, sowohl was seine ausgesprochen attraktiven Gesichtszüge anging als auch die düstere Aura, die ihn umgab. Er verneigte sich tief vor Erin.
„Ely“, grüßte sie ihn so höflich es ihr möglich war. Sie konnte sich gut verstellen, was einen Vorteil in ihrem Amt bedeutete. „Schön, dass Ihr da seid.“
Der Cambion küsste die Hand, die sie ihm reichte und hielt sie ein wenig zu lange für ihren Geschmack. Sein Lächeln konnte keinesfalls anders als anzüglich genannt werden.
„Pentar bedauert, dass sie nicht da sein kann“, erklärte er.
„Ja, sehr bedauerlich“, bemerkte Bria ironisch.
Elys Blick wanderte nun zu der Bardin hinüber, die er bislang komplett ignoriert hatte. „Ach Bria, Ihr seid ja auch da“, stellte er grinsend fest, „Verzeiht, ich hatte Euch neben Erin gar nicht bemerkt.“
„Ich hätte damit leben können“, entgegnete Bria trocken.
Sie verzog nur leicht den Mund, doch Erin besaß eine hervorragende Menschenkenntnis und merkte ihr daher an, dass Elys boshafter Kommentar sie dennoch getroffen hatte. Sie ärgerte sich über den Cambion. Ein derartiges Verhalten war einfach nur unangemessen.
„Ely“, erwiderte sie daher mit einem leisen Tadel, „Wer wird einen so schönen Abend mit solchen Spitzen beginnen?“
„Spitzen?“ Cromlichs Grinsen war nicht weniger als offen provokant. „Aber, Lady Erin, welche Spitzen? Und das von mir? Ihr müsst scherzen.“
Oh nein, auf dieses Spiel würde sie sich nicht einlassen. Ely würde früher aufstehen müssen, um sie aus der Reserve zu locken.
Sie lächelte bezaubernd. „Dann habe ich es mir wohl nur eingebildet.“
Bria verschränkte die Arme und sah genervt zu Cromlich, der seine Enttäuschung darüber, dass Erin auf seine Provokation nicht einging, nicht vollkommen verbergen konnte. Im selben Moment trat Naghûl zu der Gruppe. Nein, korrigierte Erin sich innerlich. Nicht Naghûl. Der Eichelhäher. Es war essenziell, dies jetzt klar getrennt zu halten. Sie musterte ihn, als er näher trat. Er trug ein elegantes Kostüm in verschiedenen Blautönen und eine Maske, die den oberen Teil seines Gesichts bedeckte. Sie war dem Kopf eines Eichelhähers nachempfunden, mit einem leicht gebogenen Schnabel, der über die Nase reichte und vielen blauen Federn, zahlreich und lang genug, um den größeren Teil seiner Hörner zu verdecken. Sie schmunzelte innerlich. Dieser Mann war immer für eine Überraschung gut. Sie genoss die Situation durchaus. Um diese ganze Sache zu wissen, machte seinen heutigen Auftritt noch deutlich aufregender. Wenn da nur nicht die Sache mit Sarins Tochter Marinda gewesen wäre ...
„Hey“, grüßte der Eichelhäher nonchalant und mit verstellter Stimme, blieb jedoch ein Stück entfernt stehen.
Erin nickte anerkennend. Sie hätte Naghûl nicht erkannt, und somit standen die Chancen gut, dass auch Sarin es nicht würde – falls er erschien. Eingeladen hatte sie ihn zumindest.
„Ah, einer der Künstler“, stellte Ely fest, „Der Eichelhäher, oder? Sehr nett, freut mich.“
Er nickte grüßend, doch alsbald wanderte sein Blick zu einer jungen Frau, die in der Nähe stand. Sie hatte dunkles Haar und zwei Bocksbeine und war so attraktiv, dass Erin eine Abstammung von einer Succubus oder einem Incubus vermutete. Der Cambion musterte sie, als ob er sie mit seinen Blicken ausziehen wollte und zwinkerte ihr zu. Bria sah zu Erin und schüttelte nur den Kopf.
„Aye, so ist es“, erwiderte der Eichelhäher und grüßte dann eine weitere Person.
Dieser Mann war schlank, ja eher drahtig und trug ein Kostüm, das ebenfalls eine deutliche Vogel-Thematik aufwies. Seines war jedoch in den Farben gelb und schwarz gehalten, ebenso wie die Vogelmaske, die auch er trug. Erin nickte. Der Pirol, seines Zeichens der Gitarrist von Aucupium … und Naghûls Freund Sgillin, wie sie inzwischen wusste. Er zündete sich im Nähertreten eine Pfeife an. Die junge Alu, die im Moment das Ziel von Elys eindeutigen Blicken war, tippte leicht mit dem Huf, erblickte dann den Cambion und sah ihn kurz direkt an. Mit einem Grinsen hob sie eine Braue, doch dann fiel ihr Blick auf den Eichelhäher.
„Oh, der Musiker höchstpersönlich“ stellte sie mit einem Lächeln fest, „Wird es später wohl eine Autogrammstunde geben?“
Sie musterte ihn eindringlich, was Ely dazu veranlasste, seine Aufmerksamkeit ihr gegenüber fallen zu lassen. Er entfernte sich mit einem letzten längeren Blick auf Erins Dekolleté von der Gruppe und begann dann ein Gespräch mit einem nahestehenden Zentauren.
„Nun ja“, bemerkte Erin leichthin, „Herr Cromlich wie er leibt und lebt.“
„Kann man wohl sagen“, erwiderte Bria, „Wen erwartet Ihr noch?“
„Bundmeister Ambar hat sein Kommen angekündigt.“
„Ambar?“ Nun lächelte die Bardin zum ersten Mal seit Elys Erscheinen wieder, „Schön, ich habe ihn eine Weile nicht gesehen.“
Der Pirol sah zu der attraktiven Alu und drehte den Kopf zum Eichelhäher. „Paar süße Schnecken da, hm?“
Nachdem Cromlich sich entfernt hatte, winkte Erin den Eichelhäher näher zu sich „Der Segen der Dame“, grüßte sie ihn freundlich und auch Bria nickte ihm lächelnd zu.
Der Eichelhäher vollführte eine galante Verneigung. „Bundmeisterin Erin. Würde ich sie in Worte fassen können, würde ich meine Freude auszudrücken versuchen. Aber hier bleibt mir nur die Geste einer tiefen Verbeugung.“
Erin schmunzelte. „Schön, dass Ihr heute auftretet. Wir haben ein paar ausgewählte Gäste hier.“ Sie deutete auf Bria. „Ihr kennt gewiss Bria Tomay.“
„Es wäre eine Sünde, wenn nicht“, erwiderte der Musiker zu Erins Zufriedenheit.
Auch Bria lächelte. „Ein wenig charmanter als Herr Cromlich. Ich grüße Euch.“
Der Eichelhäher verneigte sich auch gen Bria, ehe er in Richtung Eingang blickte. „Ach herrje“, rutschte es ihm heraus, „Hohe Gäste.“
Die hohen Gäste, die er meinte, waren die Bundmeister Ambar Vergrove und Terrance. Erin war entzückt. Sie hatte fest mit Ambar gerechnet, doch auch Terrance in der Ren Halle zu sehen, war eine willkommene Überraschung.
Der Bundmeister der Göttermenschen winkte ihnen schon von weitem zu. „Erin, Bria, ich grüße Euch.“
Der Halbelf war von hohem Wuchs und schlanker Figur, aber sein menschliches Erbe schlug ebenfalls durch, wodurch er wiederum stattlicher und muskulöser als ein Elf war. Der attraktive Barde trug das kupferrote Haar etwa schulterlang und seine Augen waren von der Farbe frischer, junger Blätter. Nicht wenige Frauen und auch Männer drehten sich nach ihm um, als er vorbeikam.
Erin ging auf Ambar zu und reichte ihm die Hände. „Ambar, wie schön, dass Ihr da seid!“
Sie blickte dann zu Terrance, der ruhig an Ambars Seite ging. Der Bundmeister der Athar war in seinen frühen Sechzigern und relativ groß, nur unwesentlich kleiner als Ambar. Sein kurz geschnittenes Haar war noch immer dicht und voll, jedoch bereits ergraut, wie bei Menschen seines Alters üblich. Die blauen Augen des Bundmeisters waren hell und wach und spiegelten, wie Erin wusste, zumeist recht offen seine Gefühle wider. Gekleidet war der Bundmeister in eine dunkelblaue, silberbestickte Robe, die ihn deutlich als Priester erkennbar machte. Als eine Meisterin der Etikette wusste Erin natürlich um den hohen gesellschaftlichen Rang, der ihm als Hohepriester zukam und vollführte einen Knicks, als sie ihn begrüßte.
„Bundmeister Terrance. Ich muss zugeben, jetzt bin ich etwas überrascht.“
Der Eichelhäher nickte kaum merklich auf Erins Kommentar hin.
Terrance neigte den Kopf zur Begrüßung gen Erin und Bria. „Ambar hat mich überredet“, erklärte er freundlich, „Und er ist gut in solchen Dingen …“
Die hübsche Alu hatte sich beim Eintreffen der ranghohen Gäste von der Gruppe entfernt und setzte sich zu einer blonden Frau und einem dunkelhaarigen Mann an die Bar.
„Das freut mich sehr, wirklich“, erwiderte Erin auf Terrances Antwort hin strahlend. Sie meinte es ehrlich. Der Bundmeister der Athar war einer der selteneren Gäste in der Festhalle, aber Erin mochte ihn persönlich gerne und hatte auch bundpolitisch keine Differenzen mit ihm. Sie musste unbedingt daran denken, Ambar für seine Überredungskünste zu loben. Dann ließ sie den Blick wieder durch das Foyer schweifen. „Ich frage mich, wo Sarin bleibt.“
Der Eichelhäher hustete prompt. „Oh …“
Erin schmunzelte. Sie hätte ihn vorwarnen können. Aber was hätte das geändert? Er hätte den Auftritt gewiss nicht abgesagt und sich nur die Vorfreude verdorben.
Nun war es an Terrance, erstaunt zu sein. „Sarin kommt auch? Seht Ihr, jetzt bin ich überrascht.“
Es war eine winzige Spur Sarkasmus in seinem Lächeln, und Erin bemerkte es sehr wohl.
„Aber Terrance, seid doch nicht immer so zynisch“, erwiderte sie lachend, „Beim Harmonium kann man auch Spaß haben.“
Bria warf ihr einen zweifelnden Blick zu und auch Terrance hob die Brauen.
„Ähm … ja, sicher.“ Diesmal war der Sarkasmus in seiner Stimme ausgeprägter.
Ambar lachte herzlich in seiner unbekümmerten Art. „Terrance, Ihr seid doch nur schlecht auf Sarin zu sprechen, weil er in der Halle der Redner gegen Euren Antrag gestimmt hat.“
„Mhm“, entgegnete Terrance mit einem Schmunzeln, „Und somit auch gegen Euren, mein Freund.“
„Hauptsache mal dagegen“, warf der Eichelhäher ein, und es kam Erin vor als würde es einfach aus ihm herausplatzen.
Bria grinste zu diesen Worten breit und Erin schüttelte amüsiert den Kopf über ihren manchmal etwas hitzigen Faktotum.
„Aber, meine Herren“, warf sie begütigend ein, „Lassen wir die Politik doch zumindest heute Abend außen vor.“
Als der Pirol sich verschluckte und zu husten begann und der Eichelhäher „Ach du grüne ...“ hervorstieß, wusste sie, wer sich näherte noch ehe es gesehen zu haben. Der Bundmeister des Harmoniums kam mit dem gewohnten energischen Schritt auf sie zu. Er trug diesmal nicht seine Rüstung, wie Erin zufrieden feststellte, sondern eine karmesinfarbene Hose, ein weißes Hemd und darüber ein gleichfalls dunkelrotes Obergewand, einer knapp knielangen, doch eng geschnittenen Tunika mit langer Knopfreihe nicht unähnlich. Seine Kleidung war bestickt mit goldenen Ornamenten, die Erin des öfteren an seiner Gewandung auffielen. Die beiden Krummsäbel trug er dennoch am Gürtel. Er war in Begleitung seiner Gemahlin Faith, die ein schlichtes, aber gleichwohl edles weißes Kleid gewählt hatte und das schwarze Haar aufwändig hochgesteckt trug. Erin lächelte. Er hatte sich also einen Ruck gegeben. Sehr gut. Der Mann arbeitete zu viel und nahm sich zu selten Zeit, gemeinsam mit seiner Frau kulturelle Veranstaltungen in Sigil zu besuchen. So zumindest ihre persönliche Meinung, und sie wusste, dass Faith diese teilte. Zudem mochte sie Sarin. Er hatte eine ritterliche Ader und auch einen gewissen, manchmal selbstironischen Humor, den er jedoch gerne und oft erfolgreich hinter seinem schroffen, ja teils herrischen Gebaren verbarg. Doch sie wusste es besser. Zudem war Sarin im Vergleich zu anderen Bundmeistern des Harmoniums durchaus gemäßigt und auf bundpolitischer Ebene zugänglich. Beides in Kombination machte ihn zu einem Mann, der auf Erins Aufmerksamkeitsliste weit oben stand. Sehr weit oben. Ebenso wie Ambar und Terrance folgten dem Paar die Blicke vieler Gäste. Hoher Besuch war bei den großen Festen der Sinnsaten nicht unüblich, aber dennoch immer ein Ereignis. Als Sarin und Faith die Gruppe um Erin erreichten, verneigte sich der Paladin und küsste die Hand, die sie ihm hinhielt. Im Gegensatz zu Ely Cromlich entsprach sein Handkuss vollkommen jeglicher Etikette.
„Sarin, ich bin hoch erfreut, Euch hier zu sehen“, grüßte Erin ihn und wandte sich dann zu Faith. „Und Euch natürlich ebenso!“
„Erin, das kann ich nur zurückgeben“, erwiderte Faith herzlich und grüßte die Bundmeisterin der Sinnsaten mit einer kurzen Umarmung.
Es war kein Geheimnis, dass die beiden Frauen sich seit jeher gut verstanden. Erin fühlte sich Faith als Priesterin wie auch als hochrangiger Teilnehmerin am Kriegstanz auf vielen Ebenen verbunden. Der Eichelhäher hatte die Begrüßungsszene offenbar nutzen wollen, um sich unauffällig aus dem Staub zu machen, doch es war zu spät. Sarins Blick traf ihn und seine Augen verengten sich auf der Stelle.
„Ähm … der Segen der Dame, Bundmeister“, stotterte der Musiker.
Die Situation drohte brenzliger zu werden als es selbst Erin lieb war. Sie musste eine Konfrontation der beiden unbedingt verhindern, das war ihr klar. Sie wandte sich wieder von Faith zu Sarin und fasste ihn bei den Händen.
„Ach, Bundmeister, ich muss nochmals betonen, wie schön es ist, dass Ihr da seid!“ erklärte sie überschwänglich.
Etwas verwirrt durch ihre übertriebene Herzlichkeit runzelte Sarin die Stirn. „Ähm, ja … ich freue mich auch, Lady Erin …“ Er blickte an ihr vorbei zum Eichelhäher. „So. Also Ihr …“
„Und überhaupt, was trägt Eure Frau da für ein wundervolles Collier?“, plauderte Erin unbeirrt weiter. „Ein Geschenk von Euch?“
Ihr Faktotum unterdessen hatte begriffen. Er hatte sich bereits ein gutes Stück von der Gruppe entfernt. „Ja, also … Ich muss was vorbereiten und so …“, erklärte er hastig murmelnd.
Sarins Blick wanderte kurz zu dem von Erin erwähnten Collier seiner Gemahlin. „Ähm, ja … ich …“
Er sah dem sich schnell entfernenden Eichelhäher nach und gab es dann auf. Das war noch einmal gut gegangen. Erin warf einen Seitenblick zu Faith, und deren Schmunzeln entging ihr nicht. Sie wusste genau, was vorging. Und Sarin natürlich ebenso, jedoch konnte er ihr glücklicherweise in der versammelten Runde keine Szene machen. So seufzte er nur kurz und grüßte dann Ambar mit einem Nicken und Terrance mit einer recht tiefen Verneigung. Er mochte mit dem Bundmeister der Athar in vielen Fragen, politisch wie religiös, nicht übereinstimmen. Doch er respektierte die Etikette Sigils eindeutig genug, um Terrances Stellung als Hohepriester zu würdigen. Terrance nickte Sarin und Faith höflich zu, während Ambar dem Paladin gut gelaunt ein Stück entgegen kam.
„Also, Sarin, Ihr hier“, rief er begeistert, „Das ist ja mal …“
„Das ist ja mal was, Ambar?“, entgegnete Sarin umgehend, „Ich bin doch öfter hier im Theater.“
„Natürlich“, räumte der Halbelf ein, „Es ist nur … Na ja, die Darbietungen …“
Faith lachte ein wenig. „Ja, die sind recht … einschlägig.“
Sarin sah zu Erin. „Stimmt, das wollte ich auch ansprechen. Noch mehr von den Unteren Ebenen ging wohl nicht?“
Die Bundmeisterin seufzte innerlich. Natürlich musste er das ansprechen. „Aber das Thema rotiert doch“, erklärte sie unschuldig, „Obere, Untere, Konkordante, Innere, Materielle, Transitive, Chaotische, Rechtschaffene, Neutrale. Das wisst Ihr doch.“
Der Paladin winkte in seiner manchmal schroffen Art ab „Ja ja, schon gut. Ich weiß.“
Faith warf ihm einen tadelnden Blick zu, auf den hin er entschuldigend lächelte. Nun winkte Erin ab, schmunzelnd allerdings.
„Schon gut, ich weiß.“ Sie ließ ihn gar nicht erst zu einer Erwiderung ansetzen. „Aber bitte, nehmt doch Platz, es geht gleich los.“
Ihre Gäste nickten und kamen ihrer Aufforderung nach, ihr in die Theaterhalle der Ren Bühne zu folgen. Sie nahmen in der vordersten Reihe Platz, Erin ganz in der Mitte, Terrance, Ambar und Bria rechts von ihr, Sarin und Faith zu ihrer Linken. Die Bundmeisterin der Sinnsaten seufzte innerlich, als Ely Cromlich heran geschlendert kam und neben Faith Platz nahm, nicht ohne sich mit einem provokanten Grinsen übertrieben tief vor Sarin zu verneigen. Einen seiner Handküsse konnte er Faith jedoch nicht abringen, die ihm nur höflich zunickte. Sarin wirkte nicht gerade begeistert darüber, dass Ely neben seiner Frau saß, sagte aber nichts dazu. Als Stellvertreter von Bundmeisterin Pentar hatte der Cambion das Recht, in der ersten Reihe zu sitzen, auch dies war Teil der Sigiler Etikette. Als das Gemurmel in der vollen Halle in Erwartung der kommenden Darbietungen ein wenig abnahm, betrat Erin die Bühne. Es wurde noch einmal deutlich leiser und sie lächelte zufrieden. Nicht nur das Kleid das sie trug – Rose von Amoria, eine Kreation der renommierten elysischen Schneiderin Yrathea – schien seine Wirkung zu tun. Sie war sich bewusst, dass auch ihre ganz eigene Erscheinung und Ausstrahlung dazu beitrug, all die vielen tausend Blicke in der Halle auf sich zu ziehen. Sie hatte es nie gescheut, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen. Im Gegenteil, sie genoss es. Sie badete darin. Als sie in die von Vorfreude erfüllten Gesichter der Menge unten blickte, als sie die Arme mit den Worten „Willkommen zum Fest des Neuen Zyklus!“ ausbreitete und als sich donnernder Applaus erhob, da wusste sie ganz genau, warum sie hier war. Hier, in der Festhalle. Hier, bei den Sinnsaten. Hier, ganz oben an der Spitze, als Bundmeisterin. Diese Freude zu bringen, die Aufregung, das Vergnügen. All dies war der Balsam, der verhinderte, dass Sigil sich wie eine eiternde Wunde entzündete. Und sie und ihr Bund hatten das Privileg, diese Erlösung zu bringen. Was mehr konnte eine Frau vom Leben erwarten? Als der Applaus abklang, verneigte sie sich ein wenig in Richtung der Menge.
„Ich danke euch! Danke, Sigil! Die Gesellschaft der Empfindung freut sich über jeden einzelnen Gast und heißt euch alle herzlich willkommen! Feiert mit uns den Beginn eines neuen Zyklus! Wir haben ein düsteres und doch zugleich alle Sinne ansprechendes Programm zu unserem diesjährigen Motto vorbereitet: Die Unteren Ebenen! Folgt uns in die Höllen!“
Sie schmunzelte, als sie sah, wie Sarin bei diesen Worten unten den Kopf schüttelte. Diese Paladine. Leichtfüßig und mit dem ihr eigenen Hüftschwung stieg sie die Treppen von der Bühne hinab und nahm unter erneutem Applaus wieder Platz. Als Erin wieder saß, wurden die Lichter gedimmt und die Bundmeisterin stellte fest, dass die Feuermagier der Festhalle wieder einmal ganze Arbeit geleistet hatten: Alle Kronleuchter wurden genau zeitgleich und gleichmäßig dunkler. Die erste Darbietung war der Auftritt von Alzor, dem Gehennischen Dretch-Schlucker. Erin hörte rechts neben sich Ambar lachen und links neben sich Sarin etwas wie „abstoßend“ und „jenseits von widerwärtig“ murmeln und musste schmunzeln. Es würde ein äußerst unterhaltsamer Abend werden. Nach Alzor folgte der Auftritt von Erasmus, dem Zweiköpfigen Silberdrachen. Es handelte sich um eine der wenigen Darbietungen, die nicht dem Thema der Unteren Ebenen folgten, und der zweistimmige Gesang des Drachen war eine bewegende Erfahrung für alle Anwesenden. Der danach auftretende Zirkus der Unteren Ebenen jedoch machte dem Motto des Festes wieder alle Ehre. Von den als Clowns verkleideten Manes über den Auftritt der Fleisch-Puppenspieler von Cathrys bis hin zum Drahtseilakt der Alu Nara war alles geboten, was man von einem verdrehten Zirkus des Makabren und Abgründigen erwarten konnte. Die Erinnye Veldris sang ihr berühmtes Lied „Willst du mich küssen“, und als Höhepunkt machte sie dann ihrer Geliebten Nara auf der Bühne einen Heiratsantrag. Die Alu nahm ihn bewegt und tränenreich entgegen und der Applaus war ohrenbetäubend. Erin zweifelte durchaus an der Authentizität des Antrages, doch sie musste zugeben, dass es eine gelungene Einlage war. Als das glückliche Paar gerade von der Bühne schlenderte, kam ein Harmoniumsoffizier heran gehetzt. Mit klirrender Rüstung rannte er bis nach vorne zur ersten Reihe, was tadelnde Blicke und auch missbilligendes Raunen in der Menge auslöste. Der Offizier bewegte sich rasch und zielstrebig auf Sarin zu.
„Bundmeister!“ rief er außer Atem.
Sarin machte ihm ein Zeichen, leiser zu sprechen, winkte ihn aber zu sich heran. „Was?“
Der Offizier redete leise und hektisch auf den Bundmeister ein, und Erin seufzte innerlich, als Sarin geradezu aus seinem Stuhl hoch schoss.
„Im Abyssalischen Roulette-Raum? Einen Zwischenfall nennt Ihr das?!“
Erin zuckte zusammen. Musste der Mann so laut sein? Schlimm genug, dass es offenbar zu einem Zwischenfall gekommen war. Der Abyssalische Roulette-Raum war von Anfang an als Bestandteil des Festes umstritten gewesen. Aber mussten denn gleich alle Gäste mitbekommen, dass etwas vorgefallen war? Der Offizier erklärte dem Paladin etwas und die Bundmeisterin zuckte erneut, als Sarins Stimme noch lauter wurde.
„Verdammt nochmal!“ Wütend wandte er ihr seinen Blick zu. „Erin!“
Mit einer entschuldigenden Geste hob sie die Hände. „Tut mir leid, Sarin, wie sollte ich denn ahnen …?“
Sarin ließ sie ihren Satz nicht beenden und seufzte hörbar. „Bei der Dame, Erin, wenn mal eines Eurer Feste ohne … Egal, ich komme gleich wieder.“
Damit eilte er hinaus, gefolgt von dem eingeschüchtert wirkenden Offizier. Erin warf einen Blick zu Faith, die nur mit einem leichten Lächeln die Schultern hob. Nun gut. So leicht ließ sich die Bundmeisterin der Sinnsaten nicht aus der Façon bringen. Es war ohnehin Zeit für eine Unterbrechung. Erin nutzte also den Zwischenfall, um zu einer kleinen Pause im Foyer mit Getränken und Erfrischungen einzuladen. „Danach kommt der Eichelhäher!“ rief sie den in die Vorhalle strömenden Besuchern noch hinterher.
Nachdem sie sich einem eher unangenehmen Gespräch mit Reggia Pylk, der Wyrm-Wärterin der Gnadentöter, hatte entziehen können, schlenderte Erin durch das Foyer der Ren Halle. Sie genoss den kurzen Moment des Für-Sich-Seins, denn gewiss würde sich ihr nur allzu bald wieder ein Gesprächspartner nähern. Nicht, dass sie die Konversationen auf ihren Festen nicht genoss – zumindest überwiegend. Doch einfach den Blick über die bunte Menge schweifen zu lassen, die so vielgestaltigen und unterschiedlichen Gäste zu beobachten, auch dies war eine Freude, die sie sich immer wieder gerne gönnte. Sie hätte sie natürlich gerne mit ihrem Gefährten Da'nanin geteilt. Doch er hatte wichtige Aufgaben in der Goldenen Halle auf Arborea und konnte daher an diesem Abend dem Fest nicht beiwohnen. Die Bundmeisterin beobachtete eine elegante Luftgenasi, die mehr vorüber schwebte als ging. Sie meinte, sie flüchtig zu kennen. Handelte es sich nicht um eine der Hetären aus dem Haus der Dreizehn Orchideen? An ihrer Seite schritt Favur Temk, ein hochrangiger Richter der Herrschner, der offenbar einer ihrer Kunden war. An anderer Stelle flatterte eine Harpyie vorüber, die mit bemerkenswertem Schmuck geradezu behängt war. Dann vernahm Erin eine nur allzu bekannte Stimme und wandte sich dem Eingang zu. Sarin kehrte aus dem Abyssalischen Roulette-Raum zurück und war offensichtlich nicht in bester Stimmung. Der Bundmeister des Harmoniums durchquerte leise fluchend den vorderen Teil des Foyers und ging zielstrebig zur Bar.
„Einen Schnaps“, orderte er knapp, „Irgendwas Starkes.“
Der junge Tiefling hinter der Theke schenkte ihm rasch ein Glas mit einer tiefroten Flüssigkeit voll. Der Paladin trank es in einem Zug aus.
„Noch einen.“ Es klang eher nach einem Befehl als nach einer Bestellung. Der Tiefling gehorchte hektisch und mit dem zweiten Schnaps setzte Sarin sich dann hin. „Diese Sinnsaten …“, murmelte er.
Erin wollte schon zu ihm hinüber gehen, doch sie hielt erschrocken inne, als sie sah, wer sich ebenfalls gerade der Bar näherte. Sarin sprang prompt von seinem Stuhl auf.
„Marinda!
Sie war es tatsächlich. Die junge Frau trug ein – in Erins Augen reizendes, in Sarins Augen gewiss zu freizügiges – blaues Kleid und war ungezwungen und offenbar voller Vorfreude durch das Foyer geschlendert. Als sie jedoch ihren Vater an der Bar erblickte und ihre Blicke sich trafen, erstarrte sie. Der Paladin stellte geräuschvoll sein Glas ab und ging mit energischem Schritt auf seine Tochter zu.
„Ähm … guten Abend, Vater …“ stotterte das Mädchen ertappt.
Erst jetzt bemerkte Erin, dass auch der Pirol in der Nähe der Bar stand – zu dessen Entspannung Marindas Erscheinen offenbar auch nicht gerade beitrug. Sarin hingegen warf seiner Tochter einen vernichtenden Blick zu.
„Sag mal, tickst du noch …“, setzte er an und unterbrach sich sogleich wieder, offenbar einigermaßen fassungslos. „Also, das ist ja …“
Marinda hingegen hatte sich offenbar wieder etwas gefasst. „Ich wusste ja gar nicht, dass du auch herkommst“, sagte sie in einem gezwungen unbekümmerten Ton, so als sei ihre Anwesenheit keine große Sache.
„Ach was“, erwiderte Sarin knapp.
„Ähm, aber … ich kann doch bleiben, oder?“ Marinda warf ihrem Vater einen herzerweichenden Blick zu. „Bitte, Vater, das wäre echt gemein …“
Sarin vergrub kurz das Gesicht in den Händen, dann packte er seine Tochter sanft am Arm und zog sie ein Stück zur Seite. „Wir sollten uns mal unterhalten …“
Er führte sie ein Stück weg von der Gruppe nahebei stehender Gäste, die allesamt neugierig zu ihnen herüber starrten. Der Pirol trank hektisch noch ein paar Schlucke und eilte dann in Richtung Bühne. Erin musste schmunzeln. Das Schauspiel hier im Foyer war unterhaltsamer als so manche Darbietung des Abends. Sarin redete leise auf seine Tochter ein. Sein Blick war erst finster, wurde jedoch auf Marindas Antworten hin zunehmend resignierter … und auch ein wenig weicher. Wie so viele Töchter schien auch Marinda ihren Vater zu so manchem überreden zu können, und Erin beobachtete es mit einem zufriedenen Lächeln. Schließlich breitete Sarin in einer Geste des Aufgebens die Hände aus und Marinda umarmte ihn begeistert.
„Danke! Danke, Papa, du bist der beste!“
„Ja, schon gut.“ Sarin sprach nun wieder etwas lauter, so dass Erin ihn verstehen konnte. Möglicherweise war sie auch ein kleines Stückchen näher gekommen.
„Darf ich bis zum Schluss bleiben?“ fragte das Mädchen aufgeregt.
Der Paladin seufzte vernehmlich. „Ja, aber bitte mit dem gebührenden Anstand! - Wozu dieses Kleid nicht gehört, aber zu spät.“
Den letzten Satz rief er seiner davoneilenden Tochter noch hinterher und sorgte damit für erheitertes Gelächter unter den nahen Gästen. Auch Erin kam lachend näher.
„Wundervoll, Sarin“, bemerkte sie gut gelaunt.
„Wie schön, dass ich zur Unterhaltung Eurer Besucher beitragen kann“, erwiderte Sarin, jedoch nur halb verärgert. Er war kein Narr und sich sehr wohl über die Außenwirkung der gerade geschehenen Szene bewusst, das war Erin klar. Mit ausgebreiteten Armen wandte er sich kurz an die umstehende Menge.
„Die Freuden der Elternschaft“, bemerkte er ironisch, und die versammelten Gäste lachten.
Erin entging nicht, wie er die ursprünglich unangenehme Szene zu seinen Gunsten gewendet hatte. Interessanterweise war sie nicht völlig sicher, ob dies eine geschickte, jedoch ungeplante oder im Gegenteil völlig durchdachte Reaktion seinerseits gewesen war. Sie traute ihm beides zu, und das machte es so spannend für sie. Ja, definitiv ein Mann, den sie im Auge behalten sollte. So trat sie ganz an ihn heran und schenkte ihm ihr bezauberndstes Lächeln.
„Sehr großzügig von Euch, dass Ihr Eurer Tochter die Teilnahme am Fest gestattet.“
„Ich bin sicher, ich werde es noch früh genug bereuen“, erwiderte er und bot ihr seinen Arm an.
Sie hakte sich bei ihm unter und ließ sich von ihm in die Bühnenhalle zurück geleiten. Es folgten ihnen zahlreiche Blicke, als der Bundmeister des Harmoniums die Bundmeisterin der Sinnsaten durch das Foyer führte, und Erin war sich dessen wohl bewusst. Falls dies auch auf Sarin zutraf, so ließ er es sich zumindest nicht anmerken. Ehe die Darbietungen fortgesetzt wurden, betrat Erin noch einmal die Bühne.
„Meine verehrten Gäste“, hob sie an. „Es geht nun weiter. Aber vorher noch eine kurze Erklärung … Aufgrund eines Zwischenfalls zwischen dem Grubenteufel Zurfil und dem Balor J'laxx im Abyssalischen Roulette-Raum ist dieser …“ Sie unterbrach sich und blickte noch einmal hoffnungsvoll zu Sarin, doch dieser nickte energisch. Sie seufzte. „ … ist dieser für heute Abend geschlossen.“
Teils zustimmendes, teils enttäuschtes Gemurmel erhob sich im Raum, und als sie wieder Platz nahm, beugte sich der rechts von ihr sitzende Terrance mit einem freundlichen Lächeln zu ihr.
„Also, Erin, ich hoffe, dass am Ende des Abends nicht der ganze Bezirk in Trümmern liegt.“
„Ach, Terrance …“, entgegnete die Bundmeisterin amüsiert, und der Hohepriester des Großen Unbekannten schmunzelte.
Dann kam der Moment, auf den Erin schon den ganzen Abend gewartet hatte: der Auftritt von Aucupium. Die Gruppe des Eichelhähers kam nun auf die Bühne, und sie warf einen kurzen Seitenblick zu Sarin. Die Augen des Paladins verengten sich ein wenig und er ließ ein leises, jedoch abfälliges Schnauben hören. Erin lehnte sich entspannt zurück, um die Erfahrung in vollen Zügen zu genießen. Als erstes kam eine schlanke Dunkelelfe auf die Bühne. Trotz ihrer schwarz und grau gefiederten Maske waren das weiße Haar und dank des knappen Kleides die schwarze Haut deutlich zu erkennen. Sie nahm am Cello Platz und begann in tiefen Tönen zu spielen. Das musste Dohle sein, erinnerte sich Erin. Danach betrat ein kleiner Mann, wahrscheinlich ein Gnom, die Bühne, der eine schwarz-grau-rot-weiß gefiederte Maske trug und zur Melodie pfiff. Ihm folgte eine Frau, deren Maske mit gelben Federn besetzt war. Ein eindrucksvoller Skorpionschwanz ragte hinter ihrem Rücken bis über ihren Kopf. Mit eben diesem begann sie, die tiefe Trommel im Takt zu schlagen. Erin nickte. Gimpel und Goldammer. Die nächsten Akteure waren ihr nur allzu bekannt: Der Pirol betrat mit seiner Gitarre die Bühne und ihm folgte Eichelhäher, der Sänger der Gruppe. Goldammer begann auf den anderen Trommeln zu spielen, Pirol fiel mit der Gitarre ein, Dohle begleitete Pirols Melodie auf dem Cello. Der Gimpel stieg mit den tiefen Tönen der Panflöte ein. Dann begann der Eichelhäher zu singen:
Schwere Hämmer, rote Roben,
Sie berühren nie den Boden.
Sie versetzen Wand um Wand,
Im Käfig jedem wohl bekannt.
Dohle fiel mit glockenheller Stimme ein:
Wenn ich durch die Straßen geh
Und all die neuen Häuser seh,
Setzen sie beständig Stein um Stein -
Ao weiß, ich will kein Dabus sein!
Dann sang wieder der Eichelhäher:
Keiner kennt ihr trautes Heim,
Wollen der Dame nur hörig sein.
Es gibt kein Männlein und kein Weib,
Aus bleibt die Freude für den Leib.
Wenn ich durch die Straßen geh
Und all die neuen Häuser seh,
Setzen sie beständig Stein um Stein -
Ao weiß ich will kein Dabus sein!
Als das Lied endete und der Saal applaudierte, breitete der Eichelhäher die Arme aus „Danke Sigil!“ rief er, „Wir sind Aucupium! Wir begrüßen alle hier zum Fest des Neuen Zyklus. Vielleicht haben ja auch ein paar Besucher hergefunden, die nicht aus Sigil stammen. Soweit ich gehört habe, sind viele Portale offen …“
Er machte eine künstlerische Pause und sah zu Pirol. Dieser begann, eine langsame Melodie auf seiner Gitarre zu spielen und der Eichelhäher stimmte das nächste Lied an:
Im Ring, der sich über der Spitze dreht,
Wo Dolores durch die Straßen schwebt,
Ist die größte Ruhe, die es noch gibt,
Das Buch, in das man dich schrieb!
Jeder Bund tut hier sein Tagewerk,
Auf sein Ziel höchst konzentriert,
Des Roten Todes großes Augenmerk:
Der Anarchist wird inhaftiert!
Der Dickschädel seine Runden dreht,
Die Sinker stets bei übler Tat,
Der Staubmensch allein im Stocke steht,
Zwischen Scheusalen ein Blutbad!
HEY, das ist Sigil!
Portale auf – Dussel komm herein!
HEY, das ist Sigil!
Portale auf – ein bisschen planlos darf schon sein!
Auf der Suche nach Erfahrung,
Ziehen sie von Welt zu Welt,
Leiden unter der Verstörung,
Genießen Liebe und Brutalität!
Erst wenn sie ihre Kunst vollendet sehen,
Beginnt der Skandal.
Der Herrschner muss zum Gesetze stehen,
Sonst ist das Chaos überall!
HEY, das ist Sigil!
Portale auf – Dussel komm herein!
HEY, das ist Sigil!
Portale auf – ein bisschen planlos darf schon sein!
Athar gegen Einen,
Ihre Philosophie bald jeder kennt.
Die Kryptisten mit sich im Reinen,
Der Profit der Nehmer ist horrend!
Opfer Aoskar war schon dran,
Wenn der Trostlose dir sagt:
„Dein Sinn ist längst vertan,
längst vertaaaan!“
HEY, das ist Sigil!
Portale auf – Dussel komm herein!
HEY, das ist Sigil!
Portale auf – ein bisschen planlos darf schon sein!
Erin lachte immer wieder herzlich über den Text des Liedes und wagte ab und an einen schnellen Blick zu Sarin. Der Bundmeister des Harmoniums musterte den Eichelhäher nach wie vor mit scharfem, ungnädigem Blick. Nun, vielleicht, so dachte die Bundmeisterin bei sich, brauchte es einfach nur noch ein, zwei Lieder, bis der Paladin auftaute und zumindest vor sich selbst zugeben konnte, dass die Musik von Aucupium durchaus hörenswert war. Der Eichelhäher wandte sich nach einer Verbeugung erneut an das Publikum.
„Wir haben ja Bundmeisterin Erin versprochen, ihr ein neues Lied mitzubringen“, erklärte er, „Leider hat unsere Kreativität und unsere Phantasie nicht ausgereicht, ein passendes Lied für sie zu schreiben.“
Die Menge klatschte erneut ob des geschickten Kompliments an die Bundmeisterin und sie warf dem Eichelhäher eine Kusshand zu, während sie so tat, als würde sie Sarins Seitenblick dabei nicht bemerken.
„Aber dennoch ein Lied über eine schöne Frau“, fuhr der Musiker fort.
„Richtig, aber sie ist nur fast so schön“, warf der Gimpel ein.
Der Eichelhäher nickte zustimmend und rief dann in die Menge: „Succubus!“
Sarin schnaubte leise, während Ambar der Musik von Aucupium durchaus zugetan schien. Goldammer leitete mit starken Paukenschlägen das Lied ein, Dohle stieg kurz darauf mit schnellen und kurzen Bogenzügen über die Saiten des Cellos ein. Der Gimpel untermalte mit den tiefen, leicht schwingenden Tönen eines Didgeridoos, und als letzter stieg der Pirol mit der Gitarre ein. Eichelhäher sang:
Nun stehst du da, mein Blick bei dir.
Mein Atem stockt, du siehst zu mir.
Kann deinem Reiz nicht entfliehen.
Und wo eben Glaube war, pure Angst gebar
Kein Gebet mehr in meinem Kopf.
Wenn ich in Deine Augen seh,
Wird mir warm, denn dein Gesicht
Ist so schön, es tut weh.
Ich wollte gehen, wollte glauben.
Du bist zu heiß,
Und doch ich weiß,
Ich werde untergehen.
Meine Seele war rein, mein Geist ist nun dein!
Du saugst ihn heraus, und mich lachst du aus!
Mein Geist war mein, bin nun ohne Gott.
Will bei dir sein, abseits vom Trott.
Hab dich geliebt und für dich gelebt.
Wann hab ich zuletzt vor Leidenschaft gebebt?
Ausgebrannt und unbekannt,
Im fremden Land bin ich verkannt.
Ein alter Herr erkannte mehr.
Ihn zu töten war nicht schwer!
Ich wollte gehen, wollte glauben.
Du bist zu heiß,
Und doch ich weiß,
Ich werde untergehen.
Meine Seele war rein, mein Geist ist nun dein!
Du saugst ihn heraus, und mich lachst du aus!
Der Saal tobte und der Applaus war donnernd. Erins Herz ging geradezu auf, als sie die Begeisterung der Gäste sah. Was für ein wundervoller Auftritt für ihren Faktotum und dessen Gruppe! Wenn nur Sarin nichts bemerkte … Doch Naghûl war gut. Von der Verkleidung über die verstellte Stimme bis hin zu seiner veränderten Gestik und Körperhaltung. Er verstellte sich so perfekt, dass auch sie selbst ihn nicht erkannt hätte. Sie konnte also wohl unbesorgt den Abschluss des Auftrittes genießen, den der Eichelhäher nun ankündigte.
„Sigil, unser Käfig!“ rief er, „Unser letztes Lied für heute. Ein Lied aus dem Multiversum. Ein Stück Geschichte. Ein Stück Realität. Ein Stück Zukunft! Pssst ... ganz still ...“ Er deutete dem Publikum mit einer Handbewegung an, ruhig zu sein. „Vögel singen auch im Krieg“, sagte er mit etwas leiserer Stimme, eher er das letzte Lied anstimmte.
Von Ebene zu Ebene zieht Heer für Heer,
Mit Schild und Schwert - vornweg der Speer.
Sie wetzen ihre Klauen voller Gier.
Seht ihr all die Leichen? Ihr Krieg tobte hier!
Gestern waren wir Freunde, heute unter Sold.
Mein Schwert war schärfer, dein Tod war nie gewollt.
Keine Zeit für Trauer, zum Ansporn die Peitsche trifft.
Mein Gewissen hinter Mauern, meine Seele voller Gift.
Es regnet, es regnet Blut.
Es regnet - des Scheusals BLUT!
Vor Jahren saß ich auf deinem Schoß.
Nun lieg ich auf der Lauer unter dunklem Moos.
Der Feind hängt am Baum, blutend durch meine Marter.
Wie sehr hab ich dich geliebt, du mein Vater.
Ich ziehe meinen Dolch aus eigen Fleisch und Blut.
Zwischen Chaos und Ordnung bleibt mir nur die Wut.
Ich beging an Familie und Volk Verrat,
Doch all dies sei vergessen im nächsten Blutbad.
Es regnet, es regnet Blut.
Es regnet - des Scheusals BLUT!
Es regnet, es regnet Blut.
Es regnet - des Scheusals BLUT!
Erin applaudierte begeistert. Was für ein Lied über den Blutkrieg! Der Text ging durchaus unter die Haut. Bei einem erneuten Seitenblick zu Sarin sah sie dann tatsächlich, dass der Paladin leicht nickte. Das letzte Lied schien seine Zustimmung gefunden zu haben. Hatte er nicht gar bei den letzten Strophen leicht mit dem Fuß gewippt?
„Danke Sigil!“ rief der Eichelhäher, „Wir sind die Singvögel in eurem Käfig! Wir sind Aucupium! Viel Spaß beim Fest!“
Und mit einer Verbeugung verließen die Musiker die Bühne. Erin neigte sich zu Sarin.
„Nun, werter Bundmeister? Sagt selbst: Hat Eure Tochter nicht doch einen guten Musikgeschmack?“
„Die Musik des Mannes ist nicht mein Problem“, entgegnete Sarin knapp, „Der Platz, den er in Marindas Gedanken einnimmt, ist es.“
Erin schmunzelte. Er würde niemals zugeben, dass zumindest das letzte Lied ihm gefallen hatte. Auf jeden Fall nicht heute Abend. Als letzte Attraktion flatterte und purzelte nun das Festival der 16 Mephite auf die Bühne. Die chaotische Truppe setzte sich aus je einem Mephit von jeder der 16 Elementarebenen zusammen und hatte schon einige Auftritte auf großen, planaren Bühnen hinter sich. Sie veranstalteten mit ihren Kräften eine Farb- und Effekte-Darbietung, die die manch eines Illusionisten in den Schatten stellte. Graue Nebelschwaden zogen durch die Luft, Blitze zuckten nieder, Salzkristalle sprühten, Asche und Sand wirbelten durch die Luft. Dann begann der Wassermephit Aquatus seine Rezitation:
Wasser trägt im Ozeane
Tröstend fernhin den Betrübten,
Spült im Fluss auf leichtem Kahne
Den Geliebten zur Geliebten.
Wasser rauscht aus Felsenklüften
Als Gesang herab zum Tale,
Perlt als Tau aus Morgenlüften
In der Blumen Duftpokale.
Wasser träuft, als milder Regen,
Kühlend in die trockne Erde,
Wasser labt als Quell an Wegen
Wand’rer, Hirten, Wild und Herde.
Ohne dass es Wasser sauge,
Stürb‘ auf Erden alles Schöne,
Ach! und nur Eurem Auge
Ist das Wasser - eine T r ä n e ! 1)
Es war ein durchaus denkwürdiges Erlebnis, ein Geschöpf wie einen Mephit einen so getragenen und ernsthaften Text vortragen zu hören. Erin musste ebenso schmunzeln wie viele andere Gäste. Und doch war die Schönheit der Worte unbestritten. Aquatus verneigte sich dramatisch in Richtung des Publikums und wies dann auf den Feuermephit der Truppe. „Ich übergebe an meinen Bruder Feuer!“ rief er.
Daraufhin flatterte der Feuermephit Incendius nach vorne, um inbrünstig zu rezitieren:
„Dich vor allen Deinen Geschwistern
Hab' ich von jeher geliebt,
Feuer, Du hohe, herrliche Flamme!
Träg und schwer lagert die Erde,
Traurig verträumt wandert das Wasser
Hin und her, in ziellos kreisender Wiederkehr! “
Die Schmähung der Elemente Erde und Wasser nach der Lobpreisung des Feuers kam jedoch nicht bei allen seinen Kollegen gut an.
„He, Moment mal!“ rief der Erdmephit Terrenus.
Auch Aquatus beschwerte sich lauthals, doch Incendius ließ sich nicht beirren.
„Wirr und leer schweift über Wasser und Erde
Die Gauklerin Luft -
Du aber, Flamme,
Starkmütig stolze Tochter der Sonne ... “
„Was? He!“ kreischte nun auch der Luftmephit Aerius. Incendius jedoch machte einfach weiter.
“… Himmelan reckst du dich auf,
Hochreißend das Träge zu läuterndem Brand,
Das Traurige lösend in schwebende Schleier,
Das Schweifende bannend, bis es dir dient,
In zitternder Demut die dürstenden Lippen dir netzt!“
„Jetzt reicht's aber!“, rief Terrenus erbost.
„Du spinnst wohl!“ fiel der Nebelmephit Fumeus mit ein.
„Ja, Frechheit!“ Auch der Mineralmephit Gemmeus war empört.
Incendius flatterte rasch ein Stück zurück und hob abwehrend die kleinen Klauenhände. „He, langsam ...“
„Was ist denn das für ein neuer Text?“ fragte der Schlamm-Mephit Limosus empört.
„Ich dachte eben nur, ich könnte ja mal … na ja, was Neues machen“, erklärte sich sein Feuer-Bruder, „So ein Loblied auf mein Element …
„Aber nicht, indem du unsere in den Dreck ziehst!“ zeterte Salarius, der Salzmephit.
„Dreck? He!“ rief Limosus empört, und Salarius quiekte auf. „Tschuldigung!“
Besonders Aquatus war nun nicht mehr zu halten. „Das wirst du büßen!“ rief er und schoss einen Wasserstrahl nach dem Feuermephit.
Es zischte und dampfte, und Incendius schrie erschrocken auf. „Ahh! Hee!“ Hals über Kopf flüchtete er flatternd und quietschend von der Bühne, gefolgt von der erbosten, zeternden Schar der übrigen fünfzehn Mephite, die ihm Eisstrahlen, Aschewolken und Blitze hinterherjagten. Das Publikum lachte herzlich ob dieses unerwarteten Abschlusses. Nach dem Auftritt betrat Erin wieder die Bühne.
„Oha …“, sagte sie lachend, „Ähm, nun ja, das war ein unerwartetes Ende. Dennoch bitte ich um Applaus.“
Die Gäste leisteten ihrer Aufforderung Folge und es erhob sich donnernder Beifall zum Ende der Darbietungen. Als er abebbte, nickte Erin lächelnd.
„Liebe Gäste, wir sind somit am Ende des offiziellen Teils des Festes zum Neuen Zyklus angekommen. Ich freue mich sehr, dass ihr alle zugegen wart, um mit uns zu feiern!“
Sie unterbrach sich, als sie aus dem Augenwinkel einen Magier durch den Raum taumeln sah, der offensichtlich betrunken war und vor sich hinmurmelte. Hatte er nicht eine Flasche Mango-Rosmarin-Wein in der Hand, der in der Festhalle aus gutem Grund nicht ausgeschenkt wurde? Und er war damit gefährlich nahe an … Sie hob die Hand und wollte rufen, doch zu spät ...
„Hups! Nicht dieser Schlüssel ...“ lallte der Magier erschrocken, „Das war ein Fehler … Oh nein, das darf nicht sein!“
„Nein, bleibt stehen!“ rief Erin.
Doch da hatte sich das Portal zwischen zwei der Säulen bereits geöffnet.
„Nicht dieser Schlüssel …“ rief der Magier mit einem Schluckauf, „Das ist der falsche ...“
Alarmiert erhob sich Sarin in der ersten Reihe und auch die anderen Gäste sahen verwirrt bis ängstlich zu dem Portal.
„Oh oh …“, murmelte Erin, „Das ist nicht gut.“
Kaum, dass das Portal offen war, sprangen auch schon Dutzende von Bacchae heraus - es war leider groß genug, eine solche Horde hindurchzulassen. Die wilden Bewohner Arboreas sahen Satyrn recht ähnlich, waren jedoch deutlich wilder als diese. Sie hatten größere Hörner, zottigeres Fell und einen deutlich zerstörerischen Charakter. Sie brauchten nicht lange, sich in der Ren Halle zu orientieren – oder hielten sich einfach nicht damit auf. Blindlings stürmten die Wesen in den Zuschauerraum.
„Bacchae!“ rief der Pirol, „Jetzt wird’s lustig.“
„Juhuu!“, grölte einer der ungeladenen Gäste, „Ein Fest?“
„Wir feiern mit!“ schrie eine andere.
„Nein“, rief Sarin energisch, „Keinesfalls!“
„Feiern!“ brüllte die ganze Horde und stampfte mit den Hufen, „Auf jeden Fall!“
Das hatte gefehlt. Mango-Rosmarin-Wein war in der Festhalle so streng verboten, weil eine Flasche davon der Schlüssel für ein Portal zu einer der größten Bacchae-Lichtungen auf Arborea war. Die Sinnsaten mochten Feste, aber sie mochten auch ihre Festhalle. Erschrocken blickte Erin zum Bundmeister des Harmoniums. „Sarin, ich … Das ist nicht Teil des Programms!“
„Das will ich hoffen!“ erwiderte Sarin heftig.
Die Gäste, welche den durch das Portal purzelnden Bacchae am nächsten saßen, erhoben sich schnell von ihren Plätzen und entfernten sich, viele in Richtung Ausgang. Die wilden Bittsteller Arboreas sprangen auf die leeren Stühle oder rannten auf die Besucher los.
„Jaaa, feiern!“ grölte einer von ihnen und riss einer nahestehenden Geisha den Fächer aus der Hand.
Eine andere sprang über die Bühnenabsperrung in Richtung der Trommeln. Auch Terrance, Ambar und Faith hatten sich erhoben, und als mehrere Bacchae in den Gang zwischen Bühne und erster Reihe strömten, schob Sarin seine Frau und Erin die Stufen zur Bühne hoch, gerade als einer der Kerle sich auf die Bundmeisterin stürzen wollte. Der Paladin stellte sich zwischen die Frauen und die Bacchae und machte Terrance und Ambar eine Geste, auch auf die Bühne zu gehen. Beide Männer folgten seinem Wink, und Erin blieb dankbar an Faiths Seite.
„Sehr ritterlich, Sarin, danke …“
Die Bacchae, die bereits auf der Bühne war, begann wie wild zu trommeln. Die meisten Mitglieder von Aucupium hatten sich geistesgegenwärtig in den Hinterbühnenbereich zurückgezogen. Nur der Pirol war noch da und beobachtete das Treiben. Der Bacchae, der es auf Erin abgesehen hatte, hüpfte nun mit ausgestreckten Armen auf Sarin zu.
„Los, kommt, feiern! Dann tanz ich eben mit dir!“
Der kleine Kerl reichte dem Paladin nicht einmal bis zur Brust, und Sarin hielt ihn kurzerhand an einem seiner Hörner fest.
„Nein!“ herrschte er ihn an, „Ihr geht zurück nach Arborea!“
Der Bacchae deutete lachend auf die Flasche Mango-Rosmarin-Wein, die in Scherben auf dem Boden lag. „Geht nicht! Kein Schlüssel!“
„Da beschaffen wir schon wieder einen“, versicherte Sarin, während er sich bemühte, mit dem anderen Arm zwei weitere Bittsteller von der Treppe zur Bühne fernzuhalten.
Ambar packte einen der kleinen Kerle, der bereits hinauf gesprungen war und ließ ihn wieder von der Bühne plumpsen. Aber schon versuchte ein weiterer, hinaufzuklettern. Immer mehr Zuschauer verließen fluchtartig de Saal, aber einige wurden auch von den Bacchae festgehalten.
Terrance warf Erin mit gehobener Braue einen Blick zu. „Wie war das mit den Trümmern?“
Die Bundmeisterin der Sinnsaten breitete die Hände aus. „So war das wirklich nicht geplant.“
Sie entdeckte die junge Alu in der Menge, die Ely im Foyer gemustert hatte. Einer der Bacchae hüpfte auf sie zu. „Komm du!“ schrie er, „Tanzen!“
Die Alu sprang zurück, als der Bacchae auf sie zukam. „Verschwinde!“ rief sie empört.
Erin blickte sich nach Bria um, doch der Bardin war es wohl gelungen, den von den Bacchae besonders belagerten Bühnenbereich noch rechtzeitig zu verlassen.
„Kommt! Feiern! Tanzen!“, schrie einer der wilden Kerle, ein anderer kletterte auf einen Stuhl und hüpfte darauf herum.
„Hier gibt's doch sicher Wein!“ rief eine dritte, und ein vierer warf einen Stuhl zur Seite.
„Der ist im Weg!“ grölte er heiser.
Es waren Dutzende, wirklich. Sarin beschloss wohl, dass dem Haufen weder mit Worten beizukommen war noch die wenigen anwesenden Harmoniumsoffiziere zur Klärung der Lage ausreichten. Er erspähte seine Erstgeborene, die sich gerade den Weg nach vorne zur Bühne, zu ihren Eltern, freikämpfte.
„Marinda!“, rief er, und seine laute Stimme schaffte es tatsächlich, den Lärm zu übertönen, so dass seine Tochter ihn hörte. „Geh in die Kaserne! Hol deine Ausrüstung und hol Verstärkung!“
Marinda salutierte, was in ihrem freizügigen blauen Kleid ein etwas bizarres Bild bot. „Jawohl, Va … Bundmeister!“
„Gut, Marinda, und bitte pass auf dich auf!“
Sie erwiderte sein Lächeln, mit dem er seine Sorge nicht ganz verstecken konnte. „Ja, Vater!“
Dann eilte sie hinaus. Sarin wandte sich an die verbliebenen Gäste.
„Jeder, der sich dazu fähig fühlt, hilft, diese Bacchae einzufangen!“
„Kann man sie auch in Stücke reißen?“ fragte die junge Alu grimmig.
„Es wäre mir lieber, wenn es bei nicht-tödlicher Gewalt bliebe“, erwiderte der Paladin, während er einen Bacchae an einem seiner Bocksbeine von der Bühne zog.
„Komm schon!“ beschwerte der sich. „Feiern!“
Der Pirol erhob sich von dem Hocker hinter dem Cello und nickte. „Ich tu meinen Teil, um sie einzufangen.“
Er griff nach seiner Gitarre, während unten im Saal mehrere der Eindringlinge einen Berg aus übereinander geworfenen Stühlen aufgebaut hatten.
„Weg mit den Stühlen!“ schrien sie. „Die brauchen wir nicht! Aus denen machen wir ein großes Feuer, um das wir tanzen können!“
Eine der Bacchae bei der Bühne versuchte, Sarins Umhang schnappen, den er ihr sogleich brüsk entriss. Ein anderer begann, die Armlehne eines Stuhles abzureißen.
„Das wird ein schönes Feuerchen. Richtig groß!“
Im selben Moment kam der Pirol mit seiner Gitarre nach vorn und begann Tanzlieder zu spielen, wohl in der Hoffnung, dass die Bacchae näher zur Bühne kamen und von den Gästen im Saal abließen. Die bocksbeinige Trommlerin, die es als bislang einzige geschafft hatte, die Bühne zu erklimmen, fühlte sich dadurch umso mehr angespornt.
„Jaaa!“ Sie trommelte wie eine Verrückte. „Musiiik! Kommt tanzen!“
Terrance bemerkte, dass er zu nah am Bühnenrand stand, als er seine Robe aus den Fingern eines Bacchae ziehen musste.
„Also, Erin, das ist ja wirklich …“ Er schüttelte den Kopf. „Ihr würdet es wohl eine interessante Erfahrung nennen.“
Als der Pirol sah, dass sich bereits ein paar Bacchae, von seiner Musik angezogen, unten an der Bühne sammelten, forderte er die Trommlerin auf: „Ruf doch mal deine Freunde hier nach vorne! Da ist viel mehr Platz zum Tanzen.“
Doch ein Großteil der anderen Unruhestifter war nach wie vor über den ganzen Saal verstreut, tanzte wild, warf mit Stühlen und belästigte die Gäste. Erin seufzte. Sie musste es einsehen, die Situation war außer Kontrolle.
„Sarin, ich bitte offiziell um das Eingreifen des Harmoniums, ehe die uns die ganze Festhalle zerlegen.“
„Ich werde mein Möglichstes tun“, entgegnete Sarin, als ein Stuhlbein haarscharf an ihm vorbeigeflogen kam.
„Weg mit dem Stuhl!“ kreischte es von unten.
„He!“ rief Erin empört, als ein Bacchae begann, das Mosaik von den Bodenfliesen zu lösen.
Der Pirol ging mit der Gitarre weiter nach von, damit möglichst viele Bacchae die Musik hörten. Tatsächlich strömten noch ein paar mehr von ihnen zur Bühne. Ehe sich das Portal geschlossen hatte, mussten sicher mehrere Dutzend hindurch gekommen sein. Der Plan des Musikers ging insofern auf, als nun weniger Gäste im Saal von den wilden Wesen bedrängt wurden. Jedoch wurde dadurch die Lage vor der Bühne brenzliger. Es waren nun so viele, dass Sarin und Ambar es nicht mehr schafften, sie alle von der Treppe und dem Rand der Bühne fernzuhalten. Schon kletterte der erste hinauf, stürmte zum Cello und riss an den Saiten herum. Im selben Moment jedoch bahnte sich auch ein Trupp Harmoniumsoffiziere den Weg durch die Halle.
„Die Befehle, Bundmeister?“ rief der Dekurio an der Spitze Sarin zu.
„Die Festhalle sichern!“ rief der Paladin, „Möglichst alle Bacchae verhaften, wenn möglich nicht töten. Sie sind nicht böse, das liegt nicht in ihrem Wesen. Aber höchst chaotisch und daher eine Gefahr. Verstärkung aus der Kaserne holen! Tonat Shar Bescheid geben! Lady Erin und meine Frau schützen!“
„Ja, Bundmeister!“
Der Offizier salutierte und die Soldaten begannen, gegen die randalierenden Bacchae vorzurücken. Doch die Wesen waren nicht nur wild und chaotisch, wie waren auch wendig und schnell. Immer wieder schlüpften sie den Soldaten durch die Hände, die ihr bestes taten, um dem Befehl ihres Bundmeisters Folge zu leisten und die Wesen nicht ernsthaft zu verletzen. Oben auf der Bühne griff derweil ein Bacchae nach Pirols Instrument.
„Gib mir die Gitarre!“ rief er.
Der Musiker schlug dem Kerl auf die Finger. „Nix gibt's. Das ist meine! Flossen weg!“
Die Bacchae unten im Saal schlugen derweil die Einrichtung kurz und klein und viele der Gäste flohen aus dem Theater. Zum Glück trafen noch weitere Harmoniumsoffiziere ein. So schnell hatte Marinda die Kaserne nicht erreichen können, daher nahm Erin an, dass es sich um die der Festhalle nächsten Patrouillen handelte, die von dem Aufruhr durch geflohene Besucher erfahren hatten. Einige der Gäste jedoch waren Sarins Aufruf nachgekommen, die Bacchae in Schach zu halten. Einer der Randalierer, der gerade auf einem umgefallenen Stuhl herumhackte, wurde von einem Leonal gepackt und weggeschleudert. Auch die Alu, die Erin aufgefallen war, stand noch unten und schien zu überlegen.
„Wir sollten dem Harmonium vielleicht helfen“, sagte sie, überlegte es sich dann aber offenbar anders. „Oder ich gehe einfach.“
Mit diesen Worten machte sie sich auf den Weg zum Ausgang, nicht ohne einem der Bacchae in ihrem Weg einen energischen Huftritt zu verpassen. Auch der Pirol schulterte die Gitarre.
„Zwecklos“, stellte er fest.
Ambar und Sarin hatten weitere Bacchae von der Bühne gezogen, während eine kurze Handbewegung von Terrance einen Windstoß erzeugte, der eine seitlich hochkletternde Gruppe hinunter fegte. Einige der Harmoniumsoldaten hatten sich auf einen Ruf ihres Bundmeisters hin ganz bis zur Bühne durchgekämpft.
„Faith, es ist eine Patrouille für dich und Erin eingetroffen“, erklärte Sarin.
Faith nickte und raffte den zerfetzten Saum ihres Kleides, um unter dem Schutz der Soldaten die Treppe hinabzusteigen, doch Erin schüttelte den Kopf.
„Ich bleibe!“
„Erin …“ setzte der Paladin an, doch sie ließ ihn nicht aussprechen.
„Nein, Sarin, ich bleibe.“
Er seufzte tief und sah wohl ein, dass sie sich nicht würde überzeugen lassen, ihr Bundhauptquartier zu verlassen. Faith drehte sich noch einmal nach ihr um.
„Werte Erin, bitte pass auf dich auf.“
Sie nickte ihrer Freundin zu, dann wurde Sarins Frau von den Soldaten abgeschirmt zum Ausgang der Ren Halle eskortiert. Der Paladin folgte der Gruppe mit wachsamem Blick, bis sie unbeschadet die Tür erreicht hatten. Der Pirol versuchte sich unterdessen die Bacchae zu schnappen, die die Trommeln malträtierte. Doch ehe er sie erreichen konnte, sprang sie mit voller Wucht auf die Instrumente, und eine der Trommeln ging zu Bruch.
„Dich krieg ich schon!“ rief der Musiker und jagte der Trommlerin hinterher. Tatsächlich bekam er sie zu fassen. „Hab ich dich!“
„Lass mich los!“ protestierte die Bacchae, „Tu lieber feiern!“ Sie trat mit ihren kleinen Hufen nach Pirols Bein.
„Ich feier, wenn du wieder auf deiner … Auu!“ Mit einem schmerzerfüllten Schrei ließ der Pirol los, als der Huf hart sein Schienbein traf.
Erin sah sich im Saal um und musste vor sich zugeben, dass das Fest zum Neuen Zyklus gewaltig in die Schieflage geraten war. Was für ein Chaos! Sie holte tief Luft und erhob die Stimme:
„Ich entschuldige mich für das chaotische Ende!“ rief sie in die sich auflösende Runde. „Es war dennoch ein Riesenspaß!“
Sarin sah sie an, als habe sie den Verstand verloren. Mit einem entschuldigenden Lächeln hob sie die Schultern. Was sollte eine Bundmeisterin der Sinnsaten sonst sagen? Der Pirol sah der fliehenden Trommlerin hinterher und zuckte mit den Schultern.
„Ach, drauf geschissen … Ich geh mich betrinken.“
Ambar ließ seinen Blick durch den Saal schweifen, in dem inzwischen fast so viele Bacchae wie verbliebene Zuschauer waren. „Tja, und nun?“
Terrance schüttelte sacht den Kopf. „Ambar, Ihr und Eure Einladungen.“
„Na ja …“ Ambar duckte sich, als abermals ein Stuhl geflogen kam.
Der Bundmeister der Athar raffte ein wenig seine Robe, als er die Treppe hinabstieg. „Versuchen wir mal, den Leuten zu helfen, die nicht so viel Glück hatten, hier unverletzt heraus zu kommen“, meinte er.
„Guter Plan.“ Ambar folgte ihm. „Versprecht mir, mich in die Große Gießerei zu bringen, sollte ich irgendwo bewusstlos liegenbleiben.“
Schon kam ein Bacchae auf ihn zugesprungen. „Kommt! Trinken wir was und feiern wir! Seid nicht so lahm!“
Sarin wandte sich nun an die Bundmeisterin der Sinnsaten. „Lady Erin, wenn Ihr schon nicht gestattet, dass eine meiner Patrouillen Euch unbeschadet hier heraus bringt, dann begebt Euch bitte zumindest in den Garten der Festhalle.“
Sie wollte widersprechen, doch sie erkannte die Sorge in seinem Blick, die er auch gar nicht zu verbergen versuchte. Seine Anspannung entging ihr ebenfalls nicht. Sie verstand ihn natürlich. Sollte einem der Bundmeister hier etwas geschehen, würde man ihn verantwortlich machen. Und Terrance und Ambar konnten sich gegen die Bacchae besser verteidigen als sie selbst, das musste sie zugeben. Sie blickte zur Tür in den Garten. Der Weg dorthin war frei. Erin nickte Sarin zu.
„Also schön. Ich begebe mich dorthin. Ihr rettet die Ren Halle.“
Sarin nickte erleichtert. „Ich habe die Tür im Auge behalten“, rief er ihr nach, als sie die Bühne verließ, „Es sind noch keine Bacchae dort hingelangt. Die Hälfte von denen ist zum Vorderausgang und hat die Gäste verfolgt. Ich lasse die Tür bewachen, sobald Ihr draußen seid.“
Die Bundmeisterin warf einen letzten Blick zurück. Das Theater leerte sich zusehends, als die Zuschauer vor den marodierenden Bacchae flohen. Terrance kniete bei einer offenbar verletzten Halblingsfrau, während Ambar und Sarin einige Bacchae von einem älteren Tieflingspaar zurückhielten. Als sich die beiden Soldaten näherten, die die Gartentür bewachen sollten, nickte Erin ihnen dankend zu und trat dann hinaus. Es war dunkel und für Sigiler Verhältnisse erstaunlich lau und mild. Die Stille des Gartens legte sich über sie wie eine Decke. So ruhig und friedlich war es hier, dass man kaum glauben konnte, welch ein Chaos direkt hinter der Mauer der Festhalle im Gange war. Erin schlenderte zum Brunnen und bemerkte dabei, dass ihr Kleid – Rose von Amoria, eine wundervolle gelb, rot und rosafarbene Kombination – an einigen Stelle zerrissen war. Ein Jammer um die wundervolle Kreation. Sie würde der Schneiderin einen Entschuldigungsbrief schreiben. Als sie sich auf der Bank am Brunnen niederließ, hörte sie Stimmen und bemerkte, dass sie sich nicht als einzige in den Garten der Festhalle geflüchtet hatte: der Eichelhäher und der Pirol standen nahebei. Lächelnd winkte sie sie zu sich heran und begann ein lockeres Gespräch. Sie redeten über den chaotischen Abend, den Auftritt von Aucupium, die Darbietungen der anderen Künstler. Nach einer Weile vernahm sie erneut Stimmen und sah, dass nun auch Ambar und Terrance die Festhalle verlassen hatten. Sie steuerten den Brunnen an und Erin konnte ihrem Gespräch lauschen, als sie näherkamen.
„Ich stimme Euch in Vielem zu, Terrance“, erklärte Ambar gerade, trotz des chaotischen Vorfalls offenbar gut gelaunt.
Terrance schmunzelte. „Zum Beispiel darin, dass wir ohne Götter besser dran wären?“
„Darin im Besonderen nicht“, erwiderte der Halbelf lachend, „Ich möchte doch immerhin selbst mal einer werden, wenn irgendwie möglich.“
„Also, ich werde Euch nicht verehren“, entgegnete der Bundmeister der Athar.
Mit gespielter Betroffenheit legte Ambar die Hände an die Brust. „Nicht einmal mich?“ Er grinste. „Schade!“
Terrance lachte über seine scheinbare Enttäuschung. „Ich werde aber für Euch beten.“
„Zu wem?“ entgegnete Ambar scherzend und Terrance lachte gutmütig.
Als die beiden den Brunnen fast erreicht hatten, kam auch Sarin etwas ramponiert wirkend und mit einer blutigen Lippe aus dem Theater. Bei seinem Anblick erhoben sich Pirol und Eichelhäher rasch und entfernten sich mit einer hastigen Verneigung in Richtung Gartenausgang. Ambar sah ihnen nach.
„Oh … und weg sind sie. Schade, ich hätte gerne noch paar Worte zu ihrem Auftritt gewechselt.“
„Warum kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren“, bemerkte Terrance, „dass sie vor Bundmeister Sarin die Flucht ergreifen?“
„Bitte?“ fragte der gerade zu der Gruppe tretende Paladin.
„Was?“ erwiderte Terrance unschuldig.
„Ihr habt über mich geredet?“ stellte Sarin fragend fest.
„Nur das Beste, Sarin“, versicherte Ambar, „Aber das könnt Ihr Euch ja denken.“
„Mhm … gewiss“, erwiderte der Paladin, doch seine Mimik verriet, dass er es nur halb ernst meinte.
„Und?“ fragte Terrance, „Langsam wieder die Kontrolle da drin erhalten?“
„Drinnen wird es besser“, bestätigte Sarin, „Aber einige von denen sind nun in der Stadt und treiben es da noch bunter.“
Terrance schmunzelte. „Also, Sarin, Ihr seht, Ihr hättet heute so oder so herkommen müssen.“
„Da fühle ich mich doch gleich viel besser, Terrance“, entgegnete der Paladin sarkastisch, dann seufzte er, „Aber danke für Eure Hilfe da drinnen.“
Er nickte den Bundmeistern der Athar und der Göttermenschen dankend zu. Terrance grinste kurz.
„Bedeutet das, Ihr würdet unserem Antrag in der Halle der Redner doch zustimmen?“
„Ach, Terrance …“ Sarin verzog leicht den Mundwinkel, aber eher zu einem Lächeln.
Der Hohepriester blickte zu Ambar und lachte. „Hab ich doch gesagt.“
Der Halbelf hob die Hände in einer „einen Versuch war es wert“ Geste und Erin lachte ebenso.
„Meine Herren“, sagte sie erheitert, „Seid Ihr des Kriegstanzes denn selbst zu so später Stunde nicht müde? Oder sollte ich sagen: zu so früher?“
„Da redet die richtige“, versetzte Sarin mit einem kurzen Grinsen, eher er wieder zu Ambar und Terrance sah. „Soll ich Euch eine Patrouille mitgeben?“
Der Bundmeister der Gläubigen schüttelte den Kopf. „Ich denke, wir kommen unbeschadet durch.“ Terrance nickte nur zu seinen Worten.
„Aber bitte wirklich, meine Herren“, sagte Sarin ernst, „Sonst ist das Harmonium dafür dann auch noch verantwortlich.“
„Ein reizvoller Gedanke …“, erwiderte Terrance lächelnd, „Nun, fast.“
Erin lachte herzlich. „Aber, meine Herren ...“
Auch Ambar verfolgte den Schlagabtausch amüsiert. „Ihr beide seid mir das Zusehen immer wert“, bemerkte er.
Sarin warf ihm einen vielsagenden Blick zu. „Schön, dass Ihr Euch amüsiert.“
Auch Terrance hob eine Braue. „Ach, deswegen habt Ihr mich hergeschleppt.“
„Was dachtet Ihr denn?“ entgegnete Ambar gut gelaunt.
Erin war erfreut, zumindest einen ihrer Kollegen in so guter Stimmung zu sehen. Sie hakte sich bei Ambar ein und lächelte Sarin und Terrance zu.
„Es war doch ein gelungener Abend, auch wenn das Ende etwas chaotisch verlief.“
„Ich fand ihn sehr gelungen …“ pflichtete der Halbelf ihr bei, „Bis auf die Sachschäden und die Verletzten natürlich.“
Der Bundmeister des Harmoniums schüttelte den Kopf. „Ehrlich, Ambar, manchmal weiß ich nicht, ob ich Euch in der Gießerei oder bei den Xaositekten suchen sollte.“
„Das war jetzt aber schon ein bisschen böse, Sarin“, stellte Terrance fest.
„Mhm“, brummte der Paladin, „Ich bin sicher, Ambar ist tief betroffen.“
Der Halbelf grinste. „Und ob.“
Erin wandte sich an den Bundmeister der Athar. „Und Terrance? Meint Ihr, dass die Leute nun wegen dieses Chaos mehr oder weniger an ihre Götter glauben?“
„Na, ich hoffe doch weniger“, erwiderte der Hohepriester.
Sarin atmete beherrscht durch und Ambar versuchte, die Wogen zu glätten.
„Kommt schon, Terrance, so schlecht sind die Götter auch wieder nicht.“
Der Bundmeister der Athar hob die Brauen. „Deswegen versucht Ihr ja auch, Götter zu werden, hm?“
„Genau“, bestätigte Ambar vergnügt.
Sarin winkte ab. „Was beweist, dass Eure Bünde beide irrsinnig sind. - So, ich sehe nach den restlichen Bacchae. Lady Erin, drinnen ist alles soweit gesichert, dass Ihr ohne Bedenken Euer Quartier aufsuchen könnt.“
Sie nickte ihm dankbar zu, und er verneigte sich, ehe er den Garten der Festhalle verließ, um seinen harmoniumsbundmeisterlichen Pflichten nachzukommen. Terrance konnte nicht umhin, sich nochmals an Ambar zu wenden.
„Außerdem habe ich nie gesagt, dass alle Götter schlecht sind, Ambar. Ich sage nur, dass sie nicht göttlich sind. Warum hört mir eigentlich nie jemand zu?“
„Dazu sind wahrscheinlich alle zu schockiert über Eure Philosophie“, mutmaßte der Halbelf.
„Ach, kommt schon, Ambar, weil das in Sigil noch jemanden schockiert.“
„Sarin fand das Thema nicht so gut“, stellte der Bundmeister der Göttermenschen fest.
„Fände ich auch nicht als Paladin“, bemerkte Erin.
„Ihr seid immerhin auch Priesterin“, erwiderte Terrance lächelnd.
„Ach, na ja. Das mag stimmen. Aber ich bin Bundmeisterin der Sinnsaten, ich muss mir da einen … weiteren Blickwinkel gestatten.“
„Wie praktisch für Euch“, entgegnete Terrance schmunzelnd.
Erin quittierte die ironische Bemerkung mit einem charmanten Lächeln und der Hohepriester des Großen Unbekannten ließ es ebenso auf sich beruhen. Sie plauderten noch kurz über die Ereignisse des Abends, über die nächste geplante Skulpturen-Ausstellung in der Festhalle und über die politische Situation in Tir na Og. Dann verließen Ambar und Terrance den Garten, und Erin sah ihnen nach, bis sie das Tor passiert hatten. Zwei Bundmeister, die allein und ohne Wächter durch die Straßen Sigils gingen, das war nicht unbedingt üblich. Und viele ihrer Kollegen hätten dies auch nicht getan. Aber Ambar und Terrance waren sich ihrer Fähigkeiten wohl bewusst, und Erin war klar, sie musste sich eher um jene sorgen, die töricht genug wären, den beiden nachzustellen. Als sie zum Himmel blickte, bemerkte sie, dass das Erste Licht bereits nahte. Mit einem zufriedenen Summen schlenderte sie zurück in Richtung der Festhalle. Der Vorfall mit den Bacchae mochte nicht geplant gewesen sein, aber sicher dafür sorgen, dass dieses Fest lange unvergessen bleiben würde. Genau der Anspruch, den sie an ihre Feste hatte.
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gespielt am 13. Januar 2012
Die Ereignisse dieses Abends basieren auf der ersten und zweiten Ausgabe der wunderbaren, von Fans erstellten Sigil-Zeitung SIGIS aus dem Jahr 1997.
1) Gedicht von Karl Egon Ebert




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