Der Preis des Blutkriegs
eine Blutkriegsöldnerin in Pazunia, erste Schicht der Abyss
Lyxxia erwachte, als gerade die rote Sonne aufging, die immer wirkte, als würde sie viel zu tief über der Ebene der Unendlichen Portale hängen. Sie tauchte alles in ein blutiges Licht, und die junge Tieflingsfrau hätte sich nichts Passenderes vorstellen können. Mit einem leisen Seufzen erhob sie sich von ihrer Pritsche und stellte fest, dass ihr Rücken ein wenig dabei schmerzte. Kein Wunder bei diesen lausigen Betten, aber für Söldner wurde in der Abyss nicht viel geboten, noch weniger für solche, die nur Anwärter waren. Sie wusch kurz ihr Gesicht in der Waschschüssel ab und wunderte sich einen Moment, dass es überhaupt Wasser hier gab. Das war schon mehr als sie erwartet hatte, vielleicht sollte sie sich nicht beschweren. Sie legte ihre Lederrüstung an, steckte die Schlagdolche in die Halterungen an den Oberschenkeln und befestigte eine dünne, aber äußerst scharfe Klinge am Ende ihres langen Schweifs, vorerst noch mit einer Lederscheide geschützt. Dann verließ sie den engen Raum, und sei es nur, um dem lauten Geschnarche des Halborks neben ihr und dem Gestank des Gnolls ein Zimmer weiter zu entgehen.
Sie warf noch einen kurzen Blick auf die schäbigen Baracken zurück und ging dann zur Mitte des Rekrutierungslagers. Dort holte sie sich ihr Frühstück ab – einen merkwürdigen Brei, von dem sie gar nicht genau wissen wollte, was er enthielt – und ließ sich auf einem der Holzstämme nieder, die den Söldnern hier als Sitzgelegenheiten dienten. Oder denen, die es werden wollten ... Noch war sie nicht offiziell Teil der Blutkriegs-Armee der Tanar’Ri, doch das würde sich bald ändern. Ihre Entscheidung stand fest. Sie war dem dreckigen Loch, das sie in Sigil im Stock bewohnt hatte, entflohen mit dem festen Willen, fortan besser zu leben. Sicher, der Blutkrieg war ein dreckiges und gefährliches Geschäft, das wusste sie. Jeder wusste das. Doch sie hoffte, lange genug zu überleben, um ein wenig Gold zu sammeln und dann ein wenig besser dran zu sein als zuvor – und das war wahrlich nicht schwer. Sie sollte Baatezu töten? Würde sie gerne tun, war ihr doch egal. Waren nur Scheusale und jedes Scheusal weniger war ihr Recht, auch wenn sie selber von einem abstammte.
Nach dem Frühstück ließ der Vrock, der an diesem Tag für das Abholen neuer Einheiten zuständig war, die Anwärter auf dem Drill-Platz antreten. Hier in Styros befanden sich Tausende, nein eher Zehntausende von ihnen, die Barackenstadt war eines der wichtigsten Rekrutierungszentren der Tanar’Ri. Unter den drei- bis vierhundert in diesem Moment Angetretenen waren vor allem Tieflinge, Menschen, Halborks, Orks und Gnolle, ein paar Kobolde und Goblins und eine Handvoll Chaond, die chaosberührten Ebenenkinder. Der Vrock musterte jeden einzelnen, nickte dann oder schüttelte den Kopf. Er war nur noch ein kleines Stück von Lyxxia entfernt und sie hielt den Atem an. Ein kräftiger Halbork ... Der Vrock nickte. Ein drahtiger, junger Mensch ... Der Vrock nickte. Eine kleine, schmale Goblinfrau ... Der Vrock schüttelte den Kopf und ein widerlicher Rutterkin schleifte sie fort. Dann war er bei ihr ... Lyxxias Herz machte einen kleinen Sprung vor Aufregung. Der Vrock musterte sie mit seinen schwarzen Knopfaugen ... und nickte. Ehe, dass sie es recht begriffen hatte, war er schon bei dem Gnoll neben ihr. Sie hatte es geschafft ... Sie war nun eine Blutkriegssöldnerin.
Danach musste sie lange bei den Rüstungs- und Waffenlagern anstehen, um sich ein wenig neue Ausrüstung holen zu können. Die Tanar’Ri waren nicht gerade bekannt dafür, ihre Söldner gewissenhaft auszustatten, doch ein wenig war besser als nichts. Das Alu-Scheusal, das die Waffen und Rüstungen ausgab, maß sie kurz prüfend, warf ihr dann ein Kettenhemd und stählerne Beinschienen sowie einen abgewetzten Lederrucksack zu. Lyxxia nickte zufrieden, das war mehr als sie erwartet hatte. Sie wusste, dass die Ausrüstung, die sie erhalten hatte, Eigentum eines anderen, inzwischen gefallenen Söldners war, einer Frau, der Größe nach zu urteilen. Doch das berührte sie wenig. Die hatte Pech gehabt, so war das eben, und nun gehörte das Zeug ihr. Als sie den mit ein paar Blutflecken besprenkelten Rucksack durchsuchte, fand sie eine einigermaßen brauchbare Feldflasche, eine Zunderbüchse und sogar noch ein wenig Klimper ... doch da war noch etwas, ganz unten. Sie tastete danach und zog es heraus. Ein Bild ... Es zeigte ein kleines Mädchen, wahrscheinlich nicht älter als vier oder fünf Jahre, mit roten Locken, grünen Augen und vielen Sommersprossen. Auf der Rückseite stand: „Mein Stern, der wichtigste Schatz meines Lebens“ Auf einmal versetzte es Lyxxia einen Stich. War das die Tochter der Söldnerin gewesen, die vor Kurzem gefallen war? Hatte sie nur für das kleine Mädchen im Blutkrieg gekämpft, nur des Goldes wegen? Aber umsonst, ihre Tochter würde sie nie wieder sehen. Lyxxia spürte, wie sich etwas in ihr zusammen zog und schnell wollte sie das Bild wegwerfen ... Doch seltsamerweise steckte sie es dann doch in ihre Gürteltasche.
Nach einem Mittagessen aus zähem Vaathfleisch und schalem Bier wurden die neuen Söldner dann ihren Einheiten zugeteilt. Lyxxia kam zusammen mit dem schnarchenden Halbork zu einem fetten, krötenartigen Hezrou, doch inzwischen hatte sie sich sogar an Grack, wie er hieß, gewöhnt und war ganz froh, wenigstens einen Bekannten zu haben. Ein Cambion, der Adjutant des Hezrou, wie es schien, trieb sie zur Eile an und hetzte sie auf eines der Boote, die auf dem Styx vor Anker lagen. Schon bald legten die Schiffe ab und brachten die neuen Söldner einem unbekannten Schicksal entgegen. Lyxxia war gespannt, denn man hatte ihnen noch nicht gesagt, wo sie stationiert werden sollten. Würde es Ferrug sein, die große Festung, von der aus die Geschmolzenen Eisenseen bewacht wurden? Oder Galgentor, das von der Marilith Jaranda beherrscht wurde? Vielleicht auch eine der anderen Festungen wie Mithrengo, Chiryns Turm oder die Gefallene Treppe. Vielleicht gar Buchstein, die Torstadt zu den Außenländern.
Als sie abends müde auf die Pritsche in ihrer Koje sank, fiel etwas aus ihrer Tasche ... Das Bild des rothaarigen Mädchens. Lyxxia betrachtete es lange, und irgendetwas versetzte ihr abermals einen Stich. Etwas stimmte nicht, aber sie wusste nicht, was. Dass die Mutter des Mädchens tot war, war ihr doch egal ... oder? Aber irgendwie war es dennoch nicht richtig ... All das, der ganze Blutkrieg ... War das wirklich ihr Ziel? Das was sie wollte? Sie war sich in Sigil doch so sicher gewesen! Energisch schüttelte sie den Kopf. Es war nicht der rechte Zeitpunkt zum Zweifeln. Und es war zu spät, sie war nun Teil der Blutkriegsarmee. Sie konnte nicht zurück. Und wollte auch nicht zurück ... Nein, wollte sie nicht! Fast wütend öffnete sie das kleine, runde Fenster in der Schiffswand, um das Bild in den Styx zu werfen.
Doch als später der Halbork Grack an ihr vorbei zu seiner Pritsche ging, sah er, wie die junge Tieflingsfrau mit dem Bild eines rothaarigen Mädchens in der Hand schlafend auf ihrem Bett lag. Ihre Wangen waren feucht ... Tränen? Als er sich zu ihr beugte, fiel ihm auf, wie hübsch sie war. Vielleicht war sie auch gar nicht hübsch, aber er, Grack, fand es. Er, Grack, würde auf sie aufpassen, damit ihr nicht so bald etwas passierte. Vorsichtig nahm er das Bild aus ihrer Hand und steckte es in ihre Gürteltasche, damit es ihr nicht im Schlaf herunter fiel, damit nicht am nächsten Morgen jemand achtlos darüber hinweg trampelte.



Kommentare
Kommentar veröffentlichen